Zur Stadt Paris

Sehnsucht umgekehrt: Pferde mit Pflug an den Champs-Elysees in Paris 1935 (Bild: Archiv Stefan Keller). – Die Warenhäuser «Zur Stadt Paris» wurden häufig von jüdischen Kaufleuten gegründet, vgl. Angela Bhend: Triumph der Moderne. Jüdische Gründer von Warenhäusern in der Schweiz, Chronos-Verlag, Zürich 2021.

Peter Bichsel ist tot, am 24. März wäre er 90 geworden. Aus diesem Anlass hier nochmals Stefan Kellers Kolumne aus dem aktuellen Märzheft über eine Kürzesterzählung des Schriftstellers und über die Sehnsucht des Landes nach der Stadt (und umgekehrt).

Pe­ter Bich­sel, der am 24. März neun­zig Jah­re alt ge­wor­den wä­re, schrieb ei­ne Er­zäh­lung, die nur aus ei­nem Ti­tel und drei Haupt­sät­zen be­steht. Der Ti­tel: Sehn­sucht.

Die Sät­ze: «In Lang­nau im Em­men­tal gab es ein Wa­ren­haus. Das hiess Zur Stadt Pa­ris. Ob das ei­ne Ge­schich­te ist?»

1993 ver­öf­fent­lich­te Bich­sel den Text in ei­nem Buch gleich zwei­mal. Zu­erst als Mot­to am An­fang, dann auf Sei­te 44, und der Buch­ti­tel war Zur Stadt Pa­ris.

Ein Wal­li­ser in Zü­rich, ein Freund, er­zählt mir, dass er Zur Stadt Pa­ris da­mals er­war­tungs­froh kauf­te und dass er von Bich­sels Ti­tel­ge­schich­te ent­täuscht war. Die El­tern die­ses Wal­li­sers hat­ten in Brig das Kauf­haus «Zur Stadt Pa­ris» be­trie­ben. Spä­ter über­nahm es die Schwes­ter, bis es durch das Bri­ger Hoch­was­ser 1993 ver­wüs­tet wur­de.

Auch das wä­re ei­ne Ge­schich­te. Aber eher nicht für Pe­ter Bich­sel, der ein The­ma oft nur an­tippt, die Ge­schich­te re­du­ziert statt aus­malt, mit der Form ex­pe­ri­men­tiert und weiss, dass je­ne, die le­sen, bei Be­darf aus der Fan­ta­sie wei­ter­erzäh­len. Wir His­to­ri­ker:in­nen da­ge­gen be­mü­hen uns ger­ne, al­le Lü­cken mit har­ten Fak­ten zu fül­len.

Das ers­te be­kann­te Ge­schäft «Zur Stadt Pa­ris» in­se­rier­te 1844 in der «NZZ», es sei auf der Zür­cher Mes­se mit «acht Lä­den» ver­tre­ten. Die Be­sit­zer be­trie­ben Häu­ser in Pa­ris und Genf und ver­kauf­ten Tex­ti­li­en zu fi­xen Prei­sen, Um­tausch in­ner­halb 24 Stun­den. Ab 1846 lo­gier­te «Zur Stadt Pa­ris» in ei­ge­nen Räu­men an der Lim­mat, 1862 zog man ins Erd­ge­schoss des Ho­tels Baur am Pa­ra­de­platz, be­vor die Fir­ma aus den In­se­ra­te­tei­len wie­der ver­schwand.

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Hier könn­te ich bei­fü­gen, dass Kauf­häu­ser mit Na­men «Zur Stadt Pa­ris» spä­ter vor al­lem in Land­re­gio­nen er­öff­net wur­den. In Grin­del­wald, In­ter­la­ken, Fru­ti­gen, Zweis­im­men, Biel, Mou­tier, Delé­mont, La Neu­veville, Aar­au, Woh­len, Aar­berg, Lu­zern, Gos­sau, Alt­stät­ten, Fri­bourg, Lau­sanne, Lu­zern, Lan­gen­thal, Len­gnau, Mar­tigny, Si­on, Brig und eben in Lang­nau im Em­men­tal. In et­li­chen Städ­ten hies­sen die Häu­ser auch «Au Lou­vre». In Bern stan­den ein «A la Ville de Pa­ris» und ein «A la Ville de Ly­on». In Ro­mont be­sass je­mand die Ver­we­gen­heit, das ört­li­che Kauf­haus «A la Ville de Ro­mont» zu tau­fen. Da­mit wä­re die Fan­ta­sie nun völ­lig am En­de, gä­be es nicht die­sen Gast­hof in Saint-Lou­is bei Ba­sel, der mit­ten im Ers­ten Welt­krieg nach dem win­zi­gen Ju­ra­städt­chen Fe­ret­te um­be­nannt wur­de, aber auf deutsch: Aus «Zur Stadt Pa­ris» wur­de «Zur Stadt Pfirt».