«Zum Kotzen schön»

Das Werk Schlittschuhläufer auf dem Bodensee von Otto Dix aus dem Jahr 1941 (Bild: pd/Kunstsammlung Gera, Copyright ProLitteris Zurich)

Otto Dix und Adolf Dietrich – zwei Künstler, die kaum gegensätzlicher sein könnten. Die Ausstellung im Museum Allerheiligen in Schaffhausen beleuchtet ihre überraschenden Gemeinsamkeiten und ihre unterschiedliche Auseinandersetzung mit Idylle und Krieg.

Ot­to Dix, der mit sei­ner Kunst die Bru­ta­li­tät des Ers­ten Welt­krie­ges und die Ent­frem­dung der mo­der­nen Ge­sell­schaft an­klag­te, war we­nig be­geis­tert von der Idyl­le des Bo­den­sees. Rück­bli­ckend soll er ge­sagt ha­ben: «Ein schö­nes Pa­ra­dies. Zum Kot­zen schön.» Ge­malt hat er den Land­strich trotz­dem: ge­wal­tig und mit dra­ma­ti­scher In­ten­si­tät.

Adolf Diet­rich, der eben­falls das Pa­ra­dies am Bo­den­see mal­te, fand die länd­li­che Har­mo­nie wohl nicht so «zum Kot­zen». Et­was zu­rück­hal­ten­der und ru­hi­ger als Dix, in­sze­nier­te er in sei­ner Kunst ei­ne fast nai­ve Ein­heit von Mensch und Na­tur.

In der ak­tu­el­len Aus­stel­lung «Ot­to Dix – Adolf Diet­rich: Zwei Ma­ler am Bo­den­see» im Mu­se­um zu Al­ler­hei­li­gen be­geg­nen sich die Künst­ler. Die Ge­gen­über­stel­lung zeigt, wie un­ter­schied­lich die bei­den ih­re Um­welt in­sze­nier­ten und ver­weist auf die un­ge­bro­che­ne Ak­tua­li­tät ih­rer Wer­ke.

Länd­li­cher Rück­zug

Un­ter dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus galt Dix als Ver­tre­ter «ent­ar­te­ter Kunst», sei­ne Wer­ke wur­den ver­bo­ten oder so­gar ver­nich­tet. 1933 zog er sich mit sei­ner Frau aus Dres­den zu­rück und liess sich im länd­li­chen Hem­men­ho­fen nie­der. Die Idyl­le des Bo­den­sees, in der er nun leb­te, war für den Stadt­men­schen Dix je­doch nicht mehr als ein Ort der Flucht.

Im Ge­gen­satz zu ihm fühl­te sich Adolf Diet­rich, der auf der an­de­ren Sei­te des Sees im thur­gaui­schen Ber­lin­gen leb­te, tief mit der Land­schaft ver­bun­den. Ob sich die zwei je­mals be­geg­net sind, bleibt un­klar. Si­cher ist je­doch, dass sie in ähn­li­chen künst­le­ri­schen Krei­sen ver­kehr­ten: Bei­de ar­bei­te­ten mit den­sel­ben Ga­le­rien und ih­re Wer­ke wur­den min­des­tens ein­mal ne­ben­ein­an­der aus­ge­stellt.

Düs­te­re Idyl­le

Die Aus­stel­lung zeigt 100 Wer­ke der Künst­ler, die in acht the­ma­ti­sche Ka­pi­tel un­ter­teilt sind. Das Ka­pi­tel «Nach­barn am Bo­den­see» stellt ih­re Land­schafts­ma­le­rei­en ge­gen­über. Deut­lich wird, wie un­ter­schied­lich die bei­den ih­re Um­welt in die­sen Kriegs­jah­ren wahr­nah­men: Diet­rich hält die Idyl­le des Bo­den­sees in ru­hi­gen, har­mo­ni­schen Far­ben fest, wäh­rend Dix ei­ne düs­te­re, fast un­heim­li­che Na­tur malt. Bei­de re­flek­tie­ren den Schre­cken des Zwei­ten Welt­krie­ges aber nur in­di­rekt.

Im Ka­pi­tel «Ge­fro­re­ne Land­schaf­ten» wird ei­ne ge­mein­sa­me künst­le­ri­sche Hal­tung sicht­bar: Bei­de Künst­ler in­sze­nie­ren den Win­ter als ein er­starr­tes, be­droh­li­ches Ge­bil­de, das die Ängs­te und Un­si­cher­hei­ten der Kriegs­zeit wi­der­spie­gelt. Diet­richs Wor­te aus dem Jahr 1939: «Wir sind ja bis jetzt ver­schont ge­blie­ben, ob­schon die wo­gen­den Wel­len hie und da zu uns hin­über­ge­bran­det sind», fan­gen die po­li­tisch auf­ge­la­de­ne Zeit gut ein.

Das Werk Landschaft über Berlingen im Vorfrühling von Adolf Dietrich aus dem Jahr 1933 (Bild: pd/Museum zu Allerheiligen Schaffhausen)

Lei­chen und Ku­mu­lus­wol­ken

Die Aus­ein­an­der­set­zung der Künst­ler mit dem Ers­ten Welt­krieg zeigt sich be­son­ders im Ka­pi­tel «Feu­er und Grau­en». Dix, der selbst in die­sem Krieg ge­kämpft hat­te, ver­ar­bei­te­te sei­ne Er­fah­run­gen in bru­ta­len, ent­lar­ven­den Dar­stel­lun­gen von Ge­walt und Tod. In sei­ner Werk­grup­pe Tod und Auf­er­ste­hung von 1922 zeigt Dix ver­stö­ren­de Sze­nen von Selbst­mord, Ver­ge­wal­ti­gung und kämp­fen­den Sol­da­ten – die Bild­spra­che ist roh und un­ver­blümt. 

Adolf Diet­rich da­ge­gen, der den Krieg nicht di­rekt er­leb­te, stell­te das Grau­en sub­ti­ler dar. Das Abend­see­bild (1917) zeigt den düs­te­ren Bo­den­see mit leich­tem Wel­len­gang. Be­droh­li­che Ku­mu­lus­wol­ken be­de­cken den Him­mel, die un­ter­ge­hen­de Son­ne taucht die Sze­ne­rie in ein leuch­ten­des Blut­rot. Die dra­ma­ti­sche Licht­stim­mung und die bei­na­he abs­trak­te Dar­stel­lung der Na­tur wi­der­spie­gelt die po­li­ti­sche und ge­sell­schaft­li­che Un­si­cher­heit je­ner Zeit. 

Ak­tua­li­tät un­ge­bro­chen

In der Aus­stel­lung «Ot­to Dix – Adolf Diet­rich: Zwei Ma­ler am Bo­den­see» zei­gen sich sehr un­ter­schied­li­che Um­gangs­wei­sen mit zeit­ge­nös­si­schen Kri­sen. Da­bei ma­chen die Wer­ke der bei­den Künst­ler die Gleich­zei­tig­keit von Schre­cken und Schön­heit deut­lich. Nicht weit ent­fernt tobt der Krieg, und sie ma­len Land­schaf­ten.

Die Aus­stel­lung for­dert uns auf, die­se Gleich­zei­tig­keit zu re­flek­tie­ren – so­wohl in ih­rer His­to­ri­zi­tät als auch in ih­rer Ge­gen­wär­tig­keit. Denn die­se Gleich­zei­tig­keit hat bis heu­te Ak­tua­li­tät – in ei­ner Welt, die von Krie­gen, po­li­ti­scher Un­si­cher­heit und kli­ma­ti­schen Ver­än­de­run­gen ge­prägt ist. Ei­ne Welt, die schön, aber manch­mal eben auch zum Kot­zen ist.

«Ot­to Dix – Adolf Diet­rich: Zwei Ma­ler am Bo­den­see»: bis 17. Au­gust, Mu­se­um zu Al­ler­hei­li­gen, Schaff­hau­sen.

al­ler­hei­li­gen.ch