Otto Dix, der mit seiner Kunst die Brutalität des Ersten Weltkrieges und die Entfremdung der modernen Gesellschaft anklagte, war wenig begeistert von der Idylle des Bodensees. Rückblickend soll er gesagt haben: «Ein schönes Paradies. Zum Kotzen schön.» Gemalt hat er den Landstrich trotzdem: gewaltig und mit dramatischer Intensität.
Adolf Dietrich, der ebenfalls das Paradies am Bodensee malte, fand die ländliche Harmonie wohl nicht so «zum Kotzen». Etwas zurückhaltender und ruhiger als Dix, inszenierte er in seiner Kunst eine fast naive Einheit von Mensch und Natur.
In der aktuellen Ausstellung «Otto Dix – Adolf Dietrich: Zwei Maler am Bodensee» im Museum zu Allerheiligen begegnen sich die Künstler. Die Gegenüberstellung zeigt, wie unterschiedlich die beiden ihre Umwelt inszenierten und verweist auf die ungebrochene Aktualität ihrer Werke.
Ländlicher Rückzug
Unter dem Nationalsozialismus galt Dix als Vertreter «entarteter Kunst», seine Werke wurden verboten oder sogar vernichtet. 1933 zog er sich mit seiner Frau aus Dresden zurück und liess sich im ländlichen Hemmenhofen nieder. Die Idylle des Bodensees, in der er nun lebte, war für den Stadtmenschen Dix jedoch nicht mehr als ein Ort der Flucht.
Im Gegensatz zu ihm fühlte sich Adolf Dietrich, der auf der anderen Seite des Sees im thurgauischen Berlingen lebte, tief mit der Landschaft verbunden. Ob sich die zwei jemals begegnet sind, bleibt unklar. Sicher ist jedoch, dass sie in ähnlichen künstlerischen Kreisen verkehrten: Beide arbeiteten mit denselben Galerien und ihre Werke wurden mindestens einmal nebeneinander ausgestellt.
Düstere Idylle
Die Ausstellung zeigt 100 Werke der Künstler, die in acht thematische Kapitel unterteilt sind. Das Kapitel «Nachbarn am Bodensee» stellt ihre Landschaftsmalereien gegenüber. Deutlich wird, wie unterschiedlich die beiden ihre Umwelt in diesen Kriegsjahren wahrnahmen: Dietrich hält die Idylle des Bodensees in ruhigen, harmonischen Farben fest, während Dix eine düstere, fast unheimliche Natur malt. Beide reflektieren den Schrecken des Zweiten Weltkrieges aber nur indirekt.
Im Kapitel «Gefrorene Landschaften» wird eine gemeinsame künstlerische Haltung sichtbar: Beide Künstler inszenieren den Winter als ein erstarrtes, bedrohliches Gebilde, das die Ängste und Unsicherheiten der Kriegszeit widerspiegelt. Dietrichs Worte aus dem Jahr 1939: «Wir sind ja bis jetzt verschont geblieben, obschon die wogenden Wellen hie und da zu uns hinübergebrandet sind», fangen die politisch aufgeladene Zeit gut ein.

Das Werk Landschaft über Berlingen im Vorfrühling von Adolf Dietrich aus dem Jahr 1933 (Bild: pd/Museum zu Allerheiligen Schaffhausen)
Leichen und Kumuluswolken
Die Auseinandersetzung der Künstler mit dem Ersten Weltkrieg zeigt sich besonders im Kapitel «Feuer und Grauen». Dix, der selbst in diesem Krieg gekämpft hatte, verarbeitete seine Erfahrungen in brutalen, entlarvenden Darstellungen von Gewalt und Tod. In seiner Werkgruppe Tod und Auferstehung von 1922 zeigt Dix verstörende Szenen von Selbstmord, Vergewaltigung und kämpfenden Soldaten – die Bildsprache ist roh und unverblümt.
Adolf Dietrich dagegen, der den Krieg nicht direkt erlebte, stellte das Grauen subtiler dar. Das Abendseebild (1917) zeigt den düsteren Bodensee mit leichtem Wellengang. Bedrohliche Kumuluswolken bedecken den Himmel, die untergehende Sonne taucht die Szenerie in ein leuchtendes Blutrot. Die dramatische Lichtstimmung und die beinahe abstrakte Darstellung der Natur widerspiegelt die politische und gesellschaftliche Unsicherheit jener Zeit.
Aktualität ungebrochen
In der Ausstellung «Otto Dix – Adolf Dietrich: Zwei Maler am Bodensee» zeigen sich sehr unterschiedliche Umgangsweisen mit zeitgenössischen Krisen. Dabei machen die Werke der beiden Künstler die Gleichzeitigkeit von Schrecken und Schönheit deutlich. Nicht weit entfernt tobt der Krieg, und sie malen Landschaften.
Die Ausstellung fordert uns auf, diese Gleichzeitigkeit zu reflektieren – sowohl in ihrer Historizität als auch in ihrer Gegenwärtigkeit. Denn diese Gleichzeitigkeit hat bis heute Aktualität – in einer Welt, die von Kriegen, politischer Unsicherheit und klimatischen Veränderungen geprägt ist. Eine Welt, die schön, aber manchmal eben auch zum Kotzen ist.
«Otto Dix – Adolf Dietrich: Zwei Maler am Bodensee»: bis 17. August, Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen.