Go all the way #1

Wir sind seit rund zwei Monaten unterwegs zu Fuss ans Schwarze Meer. Erst nach Salzburg gewandert von St.Gallen aus. Dort hat das, was viel tiefer als aus Worten zu uns kommt, die innere Stimme, gemeldet, «hier nicht weiter. Zurück nach Innsbruck. Südlicher gehen. Mehr Wald, Berge, Hügel.»
Es wäre falsch, zu sagen, dass die Ansage nicht zu inneren Kämpfen führte. In Innsbruck trat denn auch mein treuer Begleiter in eine Scherbe, nur damit mein Verstand rebellieren konnte, was rauskomme, wenn ich meiner Intuition folge. Verbandschlachten. Innsbruck. Warum und wozu? Ich glaube, einfach um da zu sein, wo wir gerade sein sollten. Als ob das nicht genug wäre.
Innsbruck hatte eine Knacknuss für mich parat. Mein Selbstbild war das einer digitalen Null. Und zutiefst uninteressiert daran… Und ich brauchte ein potentes neues Handy oder Tablet. Mit dem Vorsatz «Menschen den Bauch löchrig fragen» zog ich los. Heute zu erledigen! Ohne Ausrede. Mein Begleiter leinenfrei und seidig mit dabei, eine Intensität an Verbindung, die ich nicht täglich in dem Mass zu halten fähig bin. Heute schon. Ich war grad dran, «selber gross zu sein». Er voll dabei! Auf einer kleinen Brücke ein Rabe mit was Essbarem im Schnabel. Homer, wie der Fuchs in der Fabel, unten. Schauend. Ich wie die Erzählerin dem Gesamten zuschauend. Und sehe ein Schild. Tiflisbrücke. Stimmt! In mir, der Weg von Salzburg ans Schwarze Meer führt über Innsbruck!
Als jeglicher Fluchtinstinkt ausgefühlt und ich mit neuer Technologie ausgerüstet, zogen wir los. Südwärts. Hoch zum Brenner. Erst in klebrig winzigen Etappen. Da war noch einiges am Ausrebellieren in mir. Seit Salzburg, und nicht zuletzt mit dem näherkommenden Süden und Frühling, und ausgerüstet mit einem wertvollen Goldstück der Coachin, die mir, kompromisslos dem angepeilten Wachstum verschrieben, über alle Widerstände und Rumpelkammern half, diese Reise in mir wachsen zu lassen, und dann auch wirklich in den doch sehr gross wirkenden Schuh zu schlüpfen, war ich nun reservationsfrei unterwegs. Wir würden nicht verlorengehen und wir würden unterkommen. Gut unterkommen.
Wir kamen unter und plötzlich auch in ungekanntem Mass voran! Es zog uns förmlich hoch. Das Leben versorgte uns gut und mit allem Notwendigen. Pfote heilte auch gut, wenn auch langsam.
Der Brenner selber wurde zu einem Irrlauf. Ich folgte nun weitgehend der Intuition. Wanderwegsignale halbtauglich, da sie hier über viel Asphalt führten. Ein Graus für die Pfoten, trotz regelmässiger liebevoller Pedicure. Brenner also. Und wegen Steinschlag nicht einmal der Wanderweg begehbar. Nix Berge, Zivilisationswirrwarr vom Ärgsten. Mich flog kurz an: Klar verkümmert unsere Intuition, wir können hierin nur bestehen, wenn wir sie zu Gunsten von Schilderlesen abgeben. Und darauf hoffen, dass niemand das Schild woandershin richtet, ehe wir darauf zu achten gezwungen werden… gnadenlos. Als würde sich alles nur um den Menschen drehen auf diesem Planeten.
Endlich und sehr erleichtert übers Ärgste weg, eine Wiese. Ich kann mein geliebtes Tier sausen lassen, noch ist nichts da, was er stören würde. Beeindruckend, mit welcher Entschlossenheit er den Zivilisationsstress rausrast und dann zu mir liegt. Mittagessen! Jetzt! Von Herzen gern!
Seither gehts der Intuition nach. Mir kommt manchmal vor, sie sei wie unsichtbare Tentakel, die die Welt um uns abtasten und dann gebündelt den Impuls geben: hier lang!
Zum ersten Mal (im Leben) allein wild campiert, die Intuition hat vom Bau des Brennerbasistunnels nichts mitgekriegt, zielgerichtet zur einzigen Unterkunft geführt, nur dass die halt auf Jahre der Baustelle verschrieben ist. Also ist nun die Hürde «wild Campieren» auch genommen und erlebt, dass wir nicht dadurch so verlottert ausschauen, dass wir anschliessend nirgendwo mehr jemals unterkämen. Ein lustiges Panikszenario, aber ohne Wohnung – ich hab auch diese aufgegeben für diese Reise – tatsächlich in seiner Absurdität kurz bedrohlich.
In Mühlbach, bei einem Espresso und sehr glücklich darüber nach der Zeltnacht, Blick ins Pustertal. Da würden wir nun weitergehen Richtung Bruneck. Südlicher, das hatten wir eingelöst, und nun wieder zielgerichtet ostwärts. Schaue da rein und es kommt ein klares «Nein. Das ist dunkel, da gehen wir nicht lang. Südwärts. Weiter südwärts.» Ich nehme die Ansagen mittlerweile an. Wir mussten erst zurück, dann gings südwärts weiter dem inneren Kompass nach. Er führte in beglückende Wälder. Und die folgenden Tage durch Kastanienhaine, Schluchten, Wiesen, zu Erdpyramiden, durch täglich anderen Wald. Stets am westlich gelegenen Hang runter nach Süden.
Bozen. «Station. Erst einmal bleiben.» Wir tuns. Erholen uns, akklimatisieren uns. Es ist warm! Die Ansage wird kommen, wo es weitergeht. Zwei Berge sind mir nun mehrere Tage ins Auge gestochen. Spüre, das Schwarze Meer ist näher gerückt. Ich hab den Verdacht, dass es bald weitergeht!