Zu zeigen: Wir sind da!
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Der 14. Juni sei «ein historischer Tag, der mit Sicherheit ein Meilenstein in der CH-Geschichte sein wird». So fingen Lisi Schegg und Monika Paminger ihre «Rede an die versammelten Frauen» zum Frauenstreiktag 1991 an. Ort des Geschehens, wie auf dem maschinengeschriebenen Redemanuskript vermerkt ist: «am Arbeitsplatz im Justiz- und Polizeidepartement SG». Denn streiken war, damals genauso wie heute, nicht erlaubt.
Heute geben sich die Behörden dank flexiblen Arbeitszeitmodellen allerdings kulant: Streikabwesenheit sei mit den Vorgesetzten zu koordinieren und zu kompensieren. Damals entschied die St.Galler Regierung laut Protokoll vom 21. Mai 1991: Streiken sei «aus dienstrechtlichen Gründen» nicht erlaubt, doch wolle man «die Möglichkeit einräumen, während der Arbeitszeit departements- oder abteilungsweise Diskussions- oder Orientierungsveranstaltungen durchzuführen» zu Themen wie «Dienstrecht, Gleichberechtigung, Frauenförderung, Vorsorge, Weiterbildung, Wiedereinstieg». Dauer: maximal zwei Stunden – diese galten als Arbeitszeit. Immerhin.
Mit dem Bus zu den Fabriken
Damals – heute… Manches hat sich geändert, vieles ist geblieben, unter anderem die Gründe. Man streike, sagten die Rednerinnen damals im Departement weiter, «weil Frauen immer noch ein Drittel weniger verdienen als Männer, weil Frauen bei den Sozialversicherungen die Geprellten sind, weil Hausarbeit immer noch Frauensache ist und leitende Funktionen immer noch Männersache sind». Der Lohnunterschied hat sich heute auf durchschnittlich knapp 20 Prozent reduziert, aber er besteht weiterhin. Und leitende Positionen sind noch immer weitgehend in Männerhand. Was die Hausarbeit betrifft, verteilt sie sich laut Statistik 2016 zum Beispiel bei Familien mit Kleinkindern so: Von 70 Stunden Wochenarbeitszeit stecken Mütter knapp 60 Stunden in Haus- und Familienarbeit, den Rest in Lohnarbeit. Bei den Vätern ist die Verteilung circa halbe-halbe – immerhin.
Der Lohnbschiss
Save the date! Noch immer verdient eine Berufsfrau im Schnitt 3 Franken pro Stunde weniger, nur weil sie eine Frau ist. Im Monat macht dieser Lohnbschiss 590 Franken aus, im Jahr 7000 Franken. Und 303’000 Franken im ganzen Erwerbsleben. Hätten wir endlich Lohngleichheit, würde das also zünftig einschenken.
Marie-Josée Kuhn in der «Work»-Zeitung, Juni 2018
Margrit Blaser, Gewerkschafterin beim VPOD, war 1991 eine der Organisatorinnen der Streiks in der Ostschweiz. Den Anstoss, erinnert sie sich, habe Nationalrätin Christiane Brunner, die nachmalige Bundesratskandidatin, gegeben mit ihrem Streikaufruf zehn Jahre nach der Einführung des Gleichstellungsgesetzes. Was «streiken» in dem Fall bedeuten würde, dafür habe es aber weder Vorbild noch eine Vorstellung gegeben. Und dennoch entwickelte sich auch in der Ostschweiz «eine riesige Dynamik», sagt Margrit Blaser. «Es war eine Bewegung von unten.»
Statt eigentlicher Arbeitsstreiks hätten «kreative Aktionen» im Vordergrund gestanden. Herausragend in ihrer Erinnerung: Für die Fabrikarbeiterinnen und Verkäuferinnen, für die ein Streik nicht in Frage kam, organisierten die St.Galler Gewerkschafterinnen eine «tour du canton» auf der heutigen Strecke der S4. Im Gepäck hatten sie «Transparente, Flugis, Ansteckknöpfe und Schöggeli für die Arbeiterinnen». Mit Pauken und Transparenten fuhren die Demonstrantinnen vor Fabriken und Warenhäusern vor, holten die Arbeiterinnen und Angestellten an die Fenster und provozierten einzelne Chefs damit heftig. Andere, «die schlaueren», hätten schon im Vorhinein organisierte Kaffeepausen und Diskussionsrunden im Betrieb zugelassen.
«Vergnügt und nicht verhärmt»
In St.Gallen startete der Tag mit einem Streikkaffee am Bärenplatz, es folgte eine Kundgebung in der «pumpenvollen» Marktgasse, am Nachmittag gab es ein Podium unter Leitung der Journalistin Barbara Hasler mit den Parteivertreterinnen Erika Forster (FDP), Anita Dörler (LdU), Pia Hollenstein (MUT, die Grünen-Vorläufer-Bewegung Mensch-Umwelt-Tier), Marina Widmer (Politische Frauengruppe PFG) und Jutta Osterwalder (SP). Im Kantipark stand ein Streikzelt, die Dile-Tanten traten auf und die Frauenrockband Les soeures d’ailleurs. «Es war ein kraftvoller Tag, vergnügt und nicht verhärmt», sagt Margrit Blaser.
Neue Dimension
Hunderttausende von auf- geweckten jungen und älteren Frauen schafften an einem einzigen Tag eine neue politische Dimension: Nicht nur Linke und als «Emanzen» Verschriene, sondern Vertreterinnen aller Schichten offenbarten in fantasievollen Demonstrationen und Warnstreiks, was alles passieren kann, wenn Frauen ihre als selbstverständlich hingenommene Arbeit einmal aufkündigen.
Aus dem Buch Frauenstreik – Ein Anfang, Zytglogge 1992
Im kleineren Stil wurde ebenfalls protestiert. Lehrerinnen im Schulhaus Engelwies formulierten eine Reihe von Postulaten zur Gleichberechtigung in der Schule. Dazu gehörten: die vollständige Gleichstellung von Mädchen und Knaben in Lehrplan und Lektionenzahlen, die ständige Überprüfung aller Lehrmittel in Bezug auf die Darstellung von Frauen und Männern, Mädchen und Knaben oder eine «gezielte Aufarbeitung der Frauengeschichte und der Alltagsgeschichte» im Gegensatz zum «verherrlichenden Heldentum». Und generell: Das «Rollen- und Machtverhalten von Mann und Frau» müsse in Aus- und Weiterbildungen beständig thematisiert werden.
In Herisau kochte der Regierungsrat
Judith Schläpfer, die in Ausserrhoden an den Streiks 1991 beteiligt war, nennt als wichtigstes Motiv: «Der Frauenstreik hat sichtbar gemacht: Wir sind da!» Frauen hätten sich gezeigt, liessen sich anstecken «von der Idee, dass man überhaupt streiken kann», erfanden Aktionen aller Art, und dies quer durch alle Gesellschaftskreise. Es war, sagt Judith Schläpfer, gerade einmal zwei Jahre nach dem Ja zum kantonalen Frauenstimmrecht, ein Tag des Aufbruchs und der Lust am gemeinsamen Tun, «auch ein gewisser Übermut» habe dringesteckt und eine Portion Naivität. So präparierten etwa die Trogner Streikfrauen in der Nacht auf den 14. Juni in einer Garage hunderte von violetten Ballonen und befestigten sie an Zäunen und anderen Objekten. «Wir dachten, das werde sehr schön»; das violett eingefärbte Dorf passte jedoch nicht allen, und eine Dorfbewohnerin schnitt im Zorn die Schnüre durch. Anderswo, etwa in Herisau oder Heiden, kochten Männer, unter ihnen auch der SP-Regierungsrat Werner Niederer, für die Frauen.
Vor allem aber wurde in Ausserrhoden der Tag genutzt, um Unterschriften für die Schaffung einer Gleichstellungsstelle im Kanton zu sammeln – die 1999 dann auch eingeführt wurde.
Neue Strassen in Arbon
Im Thurgau tagte ein Frauenparlament, sinnigerweise in Frauenfeld. Die dort gefasste Resolution forderte die Behörden unter anderem auf, Teilzeitstellen für Männer und Frauen auszuschreiben, Kinderhorte zu fördern und eine Tagesschule zu planen, nächtliche Sammeltaxis und Selbstverteidigungskurse zu finanzieren und eine Beratungsstelle für Ausländerinnen zu schaffen.
In Arbon wurden Strassen nach Frauen benannt, an diversen Orten gab es Streikaktionen – mit anschliessendem medialen Katzenjammer: Einzig die damals noch existierende «Schweizerische Bodensee-Zeitung» SBZ habe ausführlich und unterstützend berichtet, während die dominierende «Thurgauer Zeitung» den Bericht einer eigens aufgebotenen Korrespondentin im Papierkorb entsorgte. «Es fehlt eindeutig an einem Medium, das bereit wäre, Frauenanliegen – und nicht nur an diesem besonderen Tag – wirklich deutlich zu machen. Wer über Schrift und Wort verfügt, hat ein starkes Machtmittel in der Hand», kritisierten die Initiantinnen im Thurgau.
Die Industrie drohte damals wie heute
Wie weit sich der Streik über die Strassenaktionen hinaus auch in den Betrieben ausgewirkt hat, ist aus den diversen Streikdossiers im St.Galler Frauenarchiv schwer zu rekonstruieren. Fest steht: Die Industrie hatte damals wie heute keine Freude am Streik. 1991 ging der Arbeitgeberverband der Metall- und Uhrenindustrie so weit, den Gewerkschaften mit der Auflösung des Gesamtarbeitsvertrags GAV zu drohen, sollten in den Betrieben Streikaktionen stattfinden. 2019 droht Ems-Chemie-Chefin Martullo-Blocher mit Sanktionen gegen Streikwillige: Ein Streik würde zur Kündigung des Kollektiv-Arbeitsvertrags führen.
In erster Linie habe der Streiktag 1991 das Bewusstsein der Frauen geschärft für Themen wie Lohngleichheit, Haus- und Familienarbeit, Rollenverteilung, aber auch vernachlässigte materielle Fragen um Pensionskassen oder Sozialversicherung, sagt Margrit Blaser. Wichtig sei es gewesen, den Tag wirklich «Streik» zu nennen und nicht eine abgeschwächte Form zu verwenden – so wie dies die «Thurgauer Zeitung» machte, die den Frauenstreik zum «Schwei- zerischen Frauentag» verharmloste.
Was für sie damals wie heute gilt: Man müsse mehr machen für jene Frauen in prekären oder diskriminierenden Arbeitsverhältnissen, die sich Widerstand nicht leisten können. Genau dazu hatten 1991 auch die Frauen des «Gnossi», des Genossenschaftsladens St.Gallen, aufgerufen. In der «Ostschweizer AZ» gaben sie bekannt, am 14. Juni zu streiken und den Laden geschlossen zu halten – aber nicht «als Arbeitsverweigerung für höhere Löhne», denn diese seien zwar niedrig, aber gerecht, sondern aus Solidarität mit schlecht entlöhnten Verkäuferinnen und insbesondere mit den Frauen der «sogenannten Dritten Welt, die ihre Arbeitskraft noch billiger verkaufen müssen, im Dienste der Gewinnmaximierung des Kapitalismus». Konsumentinnen seien «eine Macht», und könnten mit dem Kauf von fairen Produkten einiges erreichen, schloss der Aufruf «mit solidarischen Grüssen».
Dieser Beitrag erschien im Juniheft von Saiten.