«Zu viel zum Sterben, aber zu wenig zum Leben»

Bastian Lehner vom Grabenhalle-Kollektiv über die Liebeserklärungen im Parlament, die prekären Lohnverhältnisse in den Kulturbetrieben und das erhoffte «Haus für die Freien».
Von  Corinne Riedener
Bastian Lehner, 1990, ist seit 2010 Mitglied des Grabenhalle-Kollektivs und arbeitet 20 Prozent im Büro und 30 Prozent als Lichttechniker. (Bild: co)

Saiten: Die Grabenhalle wurde 1984 gegründet als rebellische Alternative zur «etablierten Kultur». An der Kulturdebatte im Stadtparlament am 10. Dezember wurde sie von rechts bis links regelrecht mit Liebeserklärungen überhäuft. Was ist da schiefgelaufen?

Bastian Lehner: Eine echte Liebeserklärung wäre gewesen, wenn das Parlament uns den vollen beantragten Betrag von knapp 80’000 Franken zugesprochen hätte. Aber ja, die Subventionserhöhung von 30’000 Franken und die vielen wertschätzenden Voten waren ein schönes und wichtiges Zugeständnis. «Schief gelaufen» ist in dem Sinne nichts, die Grabenhalle ist einfach nicht mehr ganz so rebellisch wie früher, weil der Ort mit den Jahren gewachsen ist. Heute sind wir kein wilder chaotischer Haufen mehr, sondern ein professionell geführter Betrieb mit zahlreichen Mitarbeitenden – anders könnten wir gar nicht bestehen

Wie viele seid ihr aktuell?

Wir haben rund 45 Mitglieder, die in einzelnen Gruppen bzw. Ressorts aktiv sind: Bar, Garderobe, Programmgruppe, Administration, Polit- gruppe, Licht und Hauswarte. Früher war es noch so, dass alle alles gemacht haben, heute geht das nicht mehr. Es ist uns aber nach wie vor sehr wichtig, dass nicht alle nur in ihrer jeweiligen Gruppe arbeiten, sondern dass ein Austausch besteht und man die Dinge miteinander macht, schliesslich sind wir ein basisdemokratisches Kollektiv. Diese Arbeit ist sehr spannend, aber manchmal auch ziemlich fordernd.

Die GPK hat an der Parlamentssitzung beantragt, die geplante Subvention von 15’000 Franken zu verdoppeln, was auch geschehen ist. Wie wichtig war das für euren Betrieb?

Sehr wichtig. In den vergangenen zehn Jahren hat sich viel verändert: Unter anderem sind die Mindestlöhne im Gastro-Gesamtarbeitsvertrag L-GAV gestiegen, was sich finanziell stark ausgewirkt hat. Und wir machen vermehrt Theater- und Tanzaufführungen, was ziemlich kostenintensiv ist, aber kaum Einnahmen gene- riert. Wir hatten das Geld also wirklich nötig, um den Betrieb zu sichern. Nun braucht es aber weitere Schritte. Wir müssen weiter Geld einsparen, damit wir nicht stehenbleiben.

Reden wir Klartext: Wie hoch stand das Wasser wirklich?

Die Situation war recht dramatisch. So defizitär hätten wir die Grabenhalle vielleicht
noch zwei oder drei Jahre weiterführen können. Wir hatten, wie man so schön sagt: zu viel zum Sterben, aber zu wenig zum Leben. Die Subventionserhöhung hat uns jetzt zum Glück etwas Luft verschafft. Ein Grossteil davon wird in die Löhne fliessen.

Wie viel verdienst du aktuell für deine 50-Prozent-Anstellung?

Zu wenig. Wir sind fast alle im Stundenlohn angestellt, dieser liegt weit unter dem KV- Mindestlohn. Das ist aber nicht nur bei uns so. Fast in allen Kulturbetrieben arbeitet man zu dramatischen Bedingungen. Es ist eine Zwickmühle: Einerseits setzt man sich ein für eine sinnstiftende Herzensangelegenheit, andererseits ist das Arbeiten zu diesen Bedingungen ein klarer Fall von Selbstausbeutung. Das ist schade, aber auch spannend, denn anders als in einem normalen marktwirtschaftlichen Betrieb, wo man Projekte einfach fallen lässt, wenn das nötige Geld fehlt, packen wir die Dinge an, obwohl oft das Geld fehlt.

Löhne sind das eine, Infrastruktur und Verbrauchsmaterial das andere. Könnt ihr euch die Zusammenarbeit mit lokalen und regionalen Unternehmen leisten?

Das gibt immer wieder Diskussionen. Aufgrund der schwierigen finanziellen Lage in den letzten Jahren mussten wir unsere Beschaffungswege und Kooperationen immer wieder überprüfen. Die Preisunterschiede sind teilweise enorm. Bestellen wir zum Beispiel den Rotwein bei der lokalen Kleingewerblerin oder beim anonymen Grosshändler? Drucken wir unsere Programme und Plakate in der Region oder im nahen Ausland? Diese Fragen treiben uns sehr um, denn es ist uns sehr wichtig, die lokalen Betriebe und die Wirtschaft vor Ort zu unterstützen.

Die Grabenhalle versteht sich als offener, niederschwelliger Ort. Konzertveranstalterinnen oder Theaterensembles zahlen bei euch vergleichsweise wenig für die Halle und erhalten auch Unterstützung bei der Durchführung und Organisation ihrer Anlässe. Fehlen weitere solche Orte in St.Gallen?

Was Konzerte angeht vielleicht nicht unbedingt, aber die freie Tanz- und Theaterszene braucht dringend mehr Möglichkeiten. Das «Haus für die Freien» ist ja zum Glück im neuen Kulturkonzept angedacht und wäre eine grosse Bereicherung für die Stadt. Bis es soweit ist, versuchen wir weiter das Vakuum zu füllen und machen viele Tanz- und Theaterveranstaltungen, obwohl der Raum dafür nicht optimal ist. Es ist jedes Mal ein grosser Aufwand, die Bühne ab- und die Tribüne aufzubauen. Kommt hinzu, dass die Ensembles vor den Auftritten ja auch proben müssen. Das heisst, dass die Halle manchmal mehrere Tage oder eine ganze Woche lang besetzt ist. Eine grosse planerische und logistische Herausforderung bei jährlich rund 200 Fremd- und Eigenveranstaltungen.

2019 habt ihr 48 Konzerte selber organisiert, dazu Barabende wie die Hallenbeiz und diverse Politveranstaltungen. Leidet auch das Programm eurer Eigenveranstaltungen unter dem knappen Budget?

Abstriche beim Programm zu machen, ist verheerend für jeden Kulturbetrieb. Also nein, wir versuchen an anderen Orten zu sparen.

Wie geht es weiter mit der Grabenhalle? Habt ihr besondere Pläne?

Im Moment keine konkreten. Der Ort ist und war schon immer in stetiger Veränderung, es wird viel diskutiert, die Leute kommen und gehen. Manchmal ist es auch schwierig, neue Energien und altes Knowhow zu vereinen. Letztlich gilt es, zusammen herauszufinden, wohin die Reise geht. Ich persönlich würde mich freuen, wenn wir unsere ökologischen Anstrengungen künftig wieder intensivieren könnten, was aufgrund der finanziellen Situation nicht einfach war in den letzten Jahren. Der grösste Posten diesbezüglich ist der Energieverbrauch, verur- sacht durch die veraltete Lichtinstallation. Das liegt allerdings in der Kompetenz des Hochbauamts – ich hoffe, dass wir da bald zu einer besseren Lösung kommen.

Dieser Beitrag erscheint im Januarheft von Saiten.