Zu viel Rückenwind für «Die göttliche Ordnung»

Die Ostschweiz als unverbrauchte filmische Landschaft: Das war 2013 Marcel Gislers Begründung für die Drehorte von Rosie. Im März startet in den Kinos erneut ein Film, der vor allen in der Ostschweiz gedreht wurde: Die göttliche Ordnung spielt in einem fiktiven Dorf, das sich wie ein filmisches Puzzle aus Schauplätzen in Trogen, aber auch in Appenzell, Gais, Heiden, Herisau, Hundwil, Flawil (der Hirschen in Oberglatt), Rehetobel oder Rorschach zusammensetzt.
Gesellschaftliche Kälte und Scheinmoral
Die Regisseurin stammt aus dem Kanton Aargau, arbeitet unter anderem in Berlin und hat bereits eine abwechslungsreiche Filmografie vorzuweisen: 2014 präsentierte sie mit Traumland ihren ersten Spielfilm. In der episodenhaften Geschichte geht es um eine junge Rumänin, die sich in Zürich auf dem Strassenstrich prostituiert. Fünf Jahre lang beschäftigte sich die Filmemacherin mit dem Thema, recherchierte viel im Milieu und liess auch Erfahrungen einfliessen, die sie selber bei einem Telefonsex-Nebenjob machte. Die Themen von Traumland sind gesellschaftliche Kälte und Scheinmoral. Viel Hoffnung findet Volpe in dieser Welt nicht. Danach schrieb sie das Drehbuch der Heidi-Verfilmung von Alain Gsponer. Die Produktion gilt als einer der erfolgreichsten Schweizer Filme und setzte im internationalen Markt Massstäbe (2,4 Millionen Eintritte).
Die göttliche Ordnung: ab 9. März in den Kinos
Nun bringt Volpe mit Die göttliche Ordnung die Geschichte um die Einführung des Frauenstimmrechts ins Kino. Sie macht aus diesem Stoff eine Komödie und nimmt eine leicht-ironische Erzählperspektive ein. Im Mittelpunkt der Handlung steht Nora Ruckstuhl (Marie Leuenberger), die unter dem Einfluss des 68er-Aufbruchs im ländlich-rückständigen Dorf zur Kämpferin für die politische Gleichstellung wird, damit andere ansteckt und am Schluss triumphiert. Handwerklich ist der Film gut gemacht: In der Ausstattung gibt es viel Liebe zum Detail, die Handlung wird mit Tempo vorangetrieben, es hat kaum Durchhänger, jede Szene ist in sich schlüssig.
60’000 Franken und Nominationen en masse
An den Solothurner Filmtagen bekam Die göttliche Ordnung viel Rückenwind: Vor der Premiere hielten Bundesrätin Simonetta Sommaruga und Festival-Direktorin Seraina Rohrer Reden mit starken Sätzen über die Gleichstellung. Ein paar Tage nach der Uraufführung folgte der Preissegen: der mit 60’000 Franken dotierte Prix de Soleure und gleich sieben Nominationen für den Schweizer Filmpreis (bester Film, bestes Drehbuch, beste Darstellerin, bester Darsteller und alle drei möglichen Nominationen für die beste Nebenrolle).
Das sagt viel über die aktuelle Schweizer Filmproduktion aus – aber eher wenig über die Qualität von Volpes Film. Die Produktion wurde zu sehr für ein breites Publikum konfektioniert. Zwar wird durchaus eindrücklich gezeigt, wie festgefügt diese Männerwelt damals war und wie wenig die Frauen zu sagen hatten. Doch allzu viel Beklemmung soll dann doch nicht aufkommen: Mit einem Gag, einer versöhnlichen Geste findet Volpe jeweils routiniert zurück zum leichten Grundton des Films.
Unnötige Verwicklungen
Das wäre nicht nötig gewesen, etwas mehr Traumland hätte dem Film gut getan. Dazu kommt, dass in der Handlung Themen berührt werden, die eigentlich keine Leichtigkeit vertragen – und die in dieser Ballung auch gar nicht nötig wären. Als ob die Atmosphäre von Unterdrückung nicht genügt hätte, wird auch noch eine Frau von ihrem Mann geschlagen und ein Teenager administrativ versorgt. Und als sich ein patriarchales Rollkommando aufmacht, um die Frauen zurück an den Herd zu zwingen, wird daraus ein gewalttätiger Überfall. Volpe lässt die dadurch ausgelösten Gefühle von Demütigung, Machtlosigkeit oder Zorn nicht stehen, sondern lenkt mit einem inszenatorischen Einfall ab.
Selbstredend löst sich am Schluss alles in Harmonie auf. Das entspricht allerdings der historischen Wahrheit: Am 7. Februar 1971 wurde das Frauenstimmrecht auf eidgenössischer Ebene mit 65,7 Prozent Ja-Stimmen eingeführt, nachdem 1959 ein erster Anlauf noch am Nein der Männer gescheitert war.
Dieser Beitrag erschien im Märzheft von Saiten.