«Die Kirchtürme und Grenzzäune werden wieder höher»

Wie werden Zentrumslasten berechnet? Wurden die Zentrumsnutzen ausgeklammert, wie die SVP behauptet? Und wie könnten die finanziellen Lasten im Kanton besser verteilt werden? Zwei Wissenschaftler geben Antworten.

Die fi­nanz­po­li­ti­sche De­bat­te im Kan­ton St.Gal­len ist tra­di­tio­nell schwie­rig. Das liegt in ers­ter Li­nie auch dar­an, dass die Re­gio­nen teils weit aus­ein­an­der lie­gen – geo­gra­fisch wie men­tal. Es kommt nicht über­all gut an, wenn die Kan­tons­haupt­stadt, die mil­lio­nen­schwe­re Zen­trums­las­ten zu tra­gen hat, vom Kan­ton mehr Las­ten­aus­gleich ver­langt. Die Kri­tik dar­an wird lau­ter, je wei­ter von der Stadt ent­fernt die Stim­men her­kom­men.

Die SVP trägt mit ih­rem Vor­ge­hen aber ei­nen (nicht mehr ganz so) neu­en Um­gangs­ton in die De­bat­te. Selbst bür­ger­li­che Rats­kol­leg:in­nen mahn­ten an der Herbst­ses­si­on an, jetzt nicht in ein Stadt-Bas­hing zu ver­fal­len. Ge­nützt hats be­kannt­lich we­nig. Die SVP hat ge­gen ei­ne mo­de­ra­te tem­po­rä­re Er­hö­hung des Las­ten­aus­gleichs zu­guns­ten der Stadt um 14,8 Mil­lio­nen Fran­ken (3,7 Mil­lio­nen jähr­lich) das Rats­re­fe­ren­dum er­grif­fen. So ge­recht­fer­tigt ge­wis­se Ar­gu­men­te ge­ra­de aus Sicht von weit von der Kan­tons­haupt­stadt ent­fernt lie­gen­den Ge­mein­den sind, ist es doch auch ein durch­schau­ba­res Spiel. Die SVP be­wirt­schaf­tet un­ver­hoh­len den Stadt-Land-Gra­ben und macht kei­ne An­stal­ten, in ir­gend­ei­ner Rich­tung Hand für ei­nen fai­ren Aus­gleich zu bie­ten.

Grund­la­ge für die De­bat­te zum Fi­nanz­aus­gleichs­ge­setz im Kan­tons­rat wa­ren der ak­tu­el­le Wirk­sam­keits­be­richt zum Fi­nanz­aus­gleich und die Stu­die Zen­trums­las­ten der Stadt St.Gal­len – Ak­tua­li­sie­rung für das Jahr 2021. Die Stadt hat Letz­te­re beim Ber­ner Be­ra­tungs­un­ter­neh­men Eco­plan, das schon di­ver­se sol­cher Stu­di­en für Schwei­zer Städ­te er­stell­te, in Auf­trag ge­ge­ben. Da­mit sind die Re­sul­ta­te dar­aus aus Sicht der St.Gal­ler SVP schon per se ver­däch­tig. Wer ei­ne wis­sen­schaft­li­che Stu­die in Auf­trag gibt, wird wohl auch da­für sor­gen, dass die Re­sul­ta­te zu sei­nen Guns­ten aus­fal­len, so die Mut­mas­sung von rechts. Zu­dem sei der fi­nan­zi­el­le Nut­zen, den die Stadt auf­grund ih­rer Zen­trums­la­ge und -funk­ti­on hat, in der Stu­die nicht ab­ge­bil­det.

Wie setzen sich die Zentrumslasten der Stadt St.Gallen zusammen?

To­tal Zen­trums­las­ten: 43,8 Mil­lio­nen 

Als Zen­trums­las­ten be­zeich­net man die Leis­tun­gen und Dienst­leis­tun­gen ei­ner Stadt, von de­nen auch Aus­wär­ti­ge pro­fi­tie­ren, oh­ne die­se voll ab­zu­gel­ten. Da­zu ge­hö­ren bei­spiels­wei­se Kul­tur- und Frei­zeit­an­ge­bo­te, der öV so­wie Si­cher­heits­auf­ga­ben. Die Stadt St.Gal­len trug 2021 Zen­trums­las­ten von knapp 44 Mil­lio­nen Fran­ken. Ab­züg­lich der Stand­ort­vor­tei­le und der Zen­trums­nut­zen ver­blei­ben ihr Net­to­zen­trums­las­ten von ins­ge­samt 28,4 Mil­lio­nen Fran­ken. Die Steu­er­zah­ler:in­nen der Stadt be­zah­len so­mit im Durch­schnitt 373 Fran­ken pro Jahr für Leis­tun­gen, die Aus­wär­ti­ge kon­su­mie­ren. 2017 wa­ren es noch 360 Fran­ken (Net­to­zen­trums­las­ten: 27 Mil­lio­nen). Die meis­ten Zen­trums­las­ten fal­len in den Be­rei­chen pri­va­ter Ver­kehr, Kul­tur so­wie Sport und Frei­zeit an. Über den Fi­nanz- und Las­ten­aus­gleich er­hält die Stadt St.Gal­len ak­tu­ell ei­nen jähr­li­chen Kan­tons­bei­trag von rund 16 Mil­lio­nen als ex­pli­zi­te Ab­gel­tung der Zen­trums­las­ten.

Pri­va­ter Ver­kehr:  16,7 Mil­lio­nen

Am meis­ten Zen­trums­las­ten fal­len mit 16,7 Mil­lio­nen Fran­ken bei der Stras­sen­nut­zung im pri­va­ten Ver­kehr an. Der Stadt er­wach­sen durch die Stras­sen­in­fra­struk­tur jähr­li­che Net­to­kos­ten von knapp 34 Mil­lio­nen Fran­ken. Ge­mäss Eco­plan wur­den die­se Kos­ten so­gar noch «kon­ser­va­tiv» er­rech­net, weil un­ter an­de­rem die Zins­kos­ten, die für das auf­ge­nom­me­ne Fremd­ka­pi­tal für den Stras­sen­bau an­fal­len, nicht mit­be­rech­net wur­den. Bund und Kan­ton be­tei­li­gen sich an den Net­to­kos­ten für die städ­ti­sche Stras­sen­in­fra­struk­tur mit knapp 1 Mil­li­on re­spek­ti­ve 1,5 Mil­lio­nen Fran­ken. Da die Aus­wär­ti­gen aber mit 52 Pro­zent die Mehr­heit der Stras­sen­nut­zen­den aus­ma­chen, ver­blei­ben der Stadt nach Ab­zug der Be­tei­li­gun­gen durch Kan­ton und Bund noch Zen­trums­las­ten von 16,7 Mil­lio­nen Fran­ken.

Kul­tur: 12,2 Mil­lio­nen 

Der Kul­tur­sek­tor macht ei­nen be­deu­ten­den Teil der Zen­trums­las­ten aus. Die Net­to­kos­ten der Stadt da­für be­lau­fen sich auf rund 40 Mil­lio­nen Fran­ken pro Jahr. Auf­grund der re­gen Nut­zung durch Aus­wär­ti­ge fal­len die Zen­trums­las­ten mit über 12 Mil­lio­nen re­la­tiv hoch aus. Die Ka­te­go­rie Thea­ter und Mu­sik (29 Mil­lio­nen) bil­det den gröss­ten Bud­get­pos­ten. Das Gros der Gel­der fliesst in die Ge­nos­sen­schaft Kon­zert und Thea­ter St.Gal­len. Die Kan­to­ne St.Gal­len (knapp 17 Mio.), Thur­gau (1,6 Mio.) und die bei­den Ap­pen­zell (ins­ge­samt 1,6 Mio.) be­tei­li­gen sich zwar dar­an, doch der Stadt St.Gal­len ver­bleibt nach Ab­zug die­ser Bei­trä­ge im­mer noch ei­ne Zen­trums­last von fast 7 Mil­lio­nen Fran­ken. Wei­te­re Bei­trä­ge in die­ser Ka­te­go­rie ge­hen ans Fi­gu­ren­thea­ter und die Kel­ler­büh­ne. Bei den Mu­se­en ge­hö­ren das Kunst­mu­se­um, das Kul­tur­mu­se­um und das Na­tur­mu­se­um zu den gröss­ten Pos­ten. Hier er­wach­sen der Stadt Zen­trums­las­ten von rund 4 Mil­lio­nen Fran­ken. Un­ter der Ka­te­go­rie Sons­ti­ge zu­sam­men­ge­fasst sind un­ter an­de­rem die Stifts­bi­blio­thek, das Ki­nok so­wie Pa­lace und Gra­ben­hal­le. 

Sport und Frei­zeit: 7,8 Mil­lio­nen 

Die Nut­zung der Sport­an­la­gen durch Aus­wär­ti­ge führt zu Zen­trums­las­ten von 4,3 Mil­lio­nen Fran­ken. Am stärks­ten zu Bu­che schlägt das Ath­le­tik­zen­trum mit 1,3 Mil­lio­nen, ge­folgt von der Sport­hal­le Kreuz­blei­che (795’000) und dem Grün­den­moos (753’000). Die von Aus­wär­ti­gen am meis­ten ge­nutz­te Ein­rich­tung aus der Ka­te­go­rie Frei- und Hal­len­bä­der, die ins­ge­samt Zen­trums­las­ten von 848’000 Fran­ken ge­ne­rie­ren, ist das Blu­men­wies mit 568’000 Fran­ken. Et­wa zwei Drit­tel sei­ner Be­su­cher:in­nen kom­men aus der Stadt. Im Be­reich Frei­zeit ge­ne­rie­ren vor al­lem die städ­ti­schen Grün­an­la­gen Zen­trums­las­ten (1,7 Mil­lio­nen), aber auch der Bo­ta­ni­sche Gar­ten, öf­fent­li­che WC-An­la­gen oder die Ju­gend­ar­beit er­hö­hen die Zen­trums­las­ten um knapp 1 Mil­li­on. Ge­samt­haft hat die Stadt im Sach­be­reich Sport und Frei­zeit Net­to­kos­ten von 19,3 Mil­lio­nen Fran­ken, wo­von 7,8 Mil­lio­nen Fran­ken Zen­trums­las­ten ver­blei­ben.

Öf­fent­li­che Si­cher­heit: 3,8 Mil­lio­nen

Von öf­fent­li­chen Si­cher­heits­leis­tun­gen der Stadt­po­li­zei pro­fi­tie­ren vor al­lem Zug­pend­ler:in­nen so­wie Ein­kaufs- und Frei­zeit­be­su­chen­de. Die Net­to­kos­ten der öf­fent­li­chen Si­cher­heit be­lau­fen sich auf rund 21 Mil­lio­nen, wo­von et­wa ein Drit­tel durch Bei­trä­ge vom Kan­ton ab­ge­gol­ten wird. Nach Ab­zug des re­la­tiv ho­hen Nut­zungs­an­teils der Stadt­be­völ­ke­rung ver­blei­ben Zen­trums­las­ten von 3,8 Mil­lio­nen. 

Raum­ord­nung und Um­welt: 2 Mil­lio­nen 

Ei­ne Zen­trums­leis­tung stellt auch die öf­fent­li­che Be­leuch­tung dar. Von die­ser pro­fi­tie­ren vor al­lem Pend­ler:in­nen so­wie Ein­kaufs- und Frei­zeit­be­su­chen­de. Die Net­to­kos­ten be­lau­fen sich auf 4 Mil­lio­nen Fran­ken. Ab­züg­lich der Ab­gel­tun­gen des Kan­tons und der in­ner­städ­ti­schen Nut­zung ver­bleibt ei­ne Zen­trums­last von knapp 2 Mil­lio­nen.

Bil­dung: 715’000 Fran­ken

Für Zen­trums­leis­tun­gen im Be­reich Bil­dung trägt die Stadt Net­to­kos­ten von rund 2 Mil­lio­nen Fran­ken. Da­zu zäh­len ins­be­son­de­re die Schul­be­le­gung durch Drit­te (z.B. Be­le­gung von Schul­zim­mern für Abend­ver­an­stal­tun­gen) und die Stadt­bi­blio­thek, wel­che mit 1,5 Mil­lio­nen den gröss­ten Pos­ten stellt. Nach Ab­zug der Ab­gel­tun­gen durch die üb­ri­gen Ge­mein­den und den Kan­ton St.Gal­len ver­bleibt der Stadt ei­ne Zen­trums­last von rund 715’000 Fran­ken.

Üb­ri­ge Zen­trums­las­ten: 537’000 Fran­ken

Un­ter die­se Ka­te­go­rie fällt im Grun­de ein­zig die aus­wär­ti­ge Nut­zung des Zi­vil­stan­des­am­tes in St.Gal­len, die in et­wa die Hälf­te aus­macht. Die städ­ti­schen Net­to­kos­ten hier­für be­lau­fen sich auf 1,2 Mil­lio­nen Fran­ken. Trotz Ab­gel­tun­gen der üb­ri­gen St.Gal­ler Ge­mein­den ver­bleibt der Stadt noch ei­ne Zen­trums­last von 537’000 Fran­ken.

So­zia­le Si­cher­heit:  150’000 Fran­ken

Ein gros­ser Teil des An­ge­bots im Be­reich so­zia­le Si­cher­heit wird von ex­ter­nen so­zia­len In­sti­tu­tio­nen ab­ge­deckt und ver­ur­sacht der Stadt nur in­so­fern Kos­ten, als dass die­se sich mit Sub­ven­tio­nen und Pro­jekt­bei­trä­gen dar­an be­tei­ligt. Die gröss­ten Net­to­kos­ten (733’000 Fran­ken) er­wach­sen der Stadt der­zeit bei der Fach­stel­le für auf­su­chen­de So­zi­al­ar­beit so­wie dem Blau­en En­gel im Ka­tha­ri­nen­hof, bei­des An­ge­bo­te, die sich den The­men Sucht und Ar­mut wid­men. Ein sehr gros­ser Teil die­ses An­ge­bots wird zwar von Städ­ter:in­nen ge­nutzt. Den­noch fal­len bei die­sen zwei In­sti­tu­tio­nen un­ter dem Strich Zen­trums­las­ten von rund 150’000 Fran­ken an.

Quel­le: Eco­plan-Stu­die Zen­trums­las­ten der Stadt St.Gal­len, ak­tua­li­sier­te Ver­si­on 2021, er­schie­nen am 26. April 2023, in Auf­trag ge­ge­ben von der Stadt St.Gal­len, zu­sam­men­ge­stellt von co und hrt.

Sai­ten hat bei ei­nem Mit­ver­fas­ser der Eco­plan-Stu­die und ei­nem HSG-Po­li­to­lo­gen un­ter an­de­rem nach­ge­fragt, was von die­sen Vor­wür­fen zu hal­ten sei, wie es um die wis­sen­schaft­li­che Red­lich­keit bei der Er­he­bung der städ­ti­schen Zen­trums­las­ten ste­he und wie man im Kan­ton aus dem fi­nanz­po­li­ti­schen Patt her­aus­fin­den kön­ne.

Wie wer­den Zen­trums­las­ten be­rech­net und wie ex­akt sind die Er­geb­nis­se?

Zen­trums­las­ten sind Leis­tun­gen ei­nes Zen­trums, von de­nen aus­ser­kom­mu­na­le Nut­zer:in­nen pro­fi­tie­ren, oh­ne die­se voll ab­zu­gel­ten. Da­zu zäh­len klas­si­scher­wei­se Frei­zeit- und Kul­tur­ange­bo­te, aber auch öf­fent­li­cher und pri­va­ter Ver­kehr so­wie öf­fent­li­che Si­cher­heit etc. (Mehr zur Zu­sam­men­set­zung der von Eco­plan er­rech­ne­ten Zen­trums­las­ten der Stadt St.Gal­len auf der In­fod­op­pel­sei­te 18/19) Bei den Kul­tur­ange­bo­ten kann in der Re­gel über Mit­glie­der-, Abo- oder Ti­cket­ver­kaufs­zah­len re­la­tiv ge­nau eru­iert wer­den, wie stark sie von Aus­wär­ti­gen ge­nutzt wer­den. In an­de­ren Be­rei­chen, zum Bei­spiel bei der Nut­zung der öf­fent­li­chen Grün­an­la­gen oder Toi­let­ten, muss man auf Schät­zun­gen ab­stel­len, weil kaum je­mand vor dem Klo war­tet und die Per­son nach ver­rich­te­tem Ge­schäft be­fragt, wo­her sie kom­me re­spek­ti­ve wo sie Steu­ern zah­le. In sol­chen Fäl­len hat Eco­plan an­hand der Pend­ler­strö­me und Be­völ­ke­rungs­zah­len ei­ne rech­ne­ri­sche An­nä­he­rung vor­ge­nom­men. Die­ser be­rech­ne­te Nut­zer­schlüs­sel wur­de aber nur ganz sel­ten ver­wen­det und nur da, wo es kei­ne bes­se­re Al­ter­na­ti­ve gab.

Ist die Eco­plan-Stu­die über­haupt aus­sa­ge­kräf­tig?

Stu­di­en zu Zen­trums­las­ten wer­den ge­mäss HSG-Re­gio­nal­wis­sen­schaft­ler Ro­land Sche­rer, der in den Be­rei­chen Re­gio­nal­öko­no­mie und grenz­über­schrei­ten­de Ko­ope­ra­ti­on forscht, seit rund 40 Jah­ren durch­ge­führt. Eben­so lan­ge gibt es wis­sen­schaft­li­che De­bat­ten da­über, wie die Nut­zen- und Las­ten­be­zie­hun­gen zwi­schen Zen­trum und Um­land sys­te­ma­tisch er­fasst wer­den kön­nen. Das heisst auch, dass die Me­tho­dik im­mer ge­nau­er wird – bei al­ler Un­schär­fe, die es bei ein­zel­nen Sach­be­rei­chen bei der Er­fas­sung von Kos­ten und Nut­zen ge­ben kann.

Ist die Eco­plan-Stu­die po­li­tisch neu­tral und die Zen­trums­last der Stadt St.Gal­len nach me­tho­disch nach­voll­zieh­ba­ren Kri­te­ri­en be­rech­net?

Eco­plan be­jaht die­se Fra­gen selbst­re­dend. Auch Ro­land Sche­rer geht da­von aus, dass die Stu­die die An­sprü­che auf Wis­sen­schaft­lich­keit er­füllt. So sind die Be­rech­nungs­me­tho­den und Un­schär­fen in ge­wis­sen Be­rei­chen im Be­richt trans­pa­rent dar­ge­legt und im An­hang so­wie im stu­di­en­über­grei­fen­den Me­tho­den­be­richt, der eben­falls öf­fent­lich zu­gäng­lich ist, noch wei­ter aus­ge­führt. Die Dis­kus­si­ons­grund­la­ge für ei­ne wis­sen­schaft­li­che De­bat­te ist al­so ge­ge­ben.

Hat Eco­plan die Zen­trums­nut­zen und Stand­ort­vor­tei­le un­ter­schla­gen, wie die SVP im Kan­tons­par­la­ment be­haup­tet hat?

Die­se Aus­sa­ge ha­be er da­mals in der Kom­mis­si­on nicht ge­macht, sie sei auch falsch, er­wi­dert Eco­plan-Öko­nom Si­mon Schranz. Zur Be­rech­nung der Zen­trums­las­ten hat Eco­plan nicht ein­fach die städ­ti­schen Kos­ten je Sach­be­reich nach Nut­zer:in­nen auf­ge­schlüs­selt, son­dern die Ab­gel­tun­gen, die die Stadt in ge­wis­sen Be­rei­chen von Kan­to­nen und Ge­mein­den be­reits er­hält (z.B. beim Thea­ter), ab­ge­zo­gen. Auch für die Stand­ort­vor­tei­le und die Zen­trums­nut­zen wur­den pau­schal 3 resp. 12 Mil­lio­nen Fran­ken ab­ge­zo­gen, um die Net­to­zen­trums­las­ten zu be­rech­nen. Üb­rig blei­ben die nicht ab­ge­gol­te­nen Kos­ten, die der Stadt durch die Nut­zung ih­rer An­ge­bo­te durch Aus­wär­ti­ge er­wach­sen. «Na­tür­lich gibt es auch ge­wis­se Vor­tei­le für ein Zen­trum wie St.Gal­len, was Zu­gäng­lich­keit, Steu­er­ein­nah­men, Ar­beits­plät­ze oder Image be­trifft», er­läu­tert Si­mon Schranz. Und er­gänzt zwei Punk­te: «Ei­ner­seits sind sol­che Steu­er­vor­tei­le über den kan­to­na­len Res­sour­cen­aus­gleich ab­ge­gol­ten.» Und an­de­rer­seits sei­en die Vor­tei­le, die die Stadt auf­grund ih­rer zen­tra­len La­ge ha­be, auch zu re­la­ti­vie­ren: Vie­le der An­ge­stell­ten in at­trak­ti­ven Jobs in der Stadt woh­nen an­ders­wo und zah­len al­so auch an­ders­wo Steu­ern. Und vie­le gros­se Zen­trums­in­sti­tu­tio­nen wie die Hoch­schu­len, das Thea­ter, die Mu­se­en oder die Schwimm­bä­der be­zah­len gar kei­ne Steu­ern.

Im Fall von St.Gal­len ist der Be­reich pri­va­ter Ver­kehr mit 16,7 Mil­lio­nen Fran­ken der gröss­te Pos­ten bei den jähr­lich an­fal­len­den Zen­trums­las­ten. War­um wur­den nicht ab­ge­gol­te­ne öV-Kos­ten in der Stu­die nicht be­rück­sich­tigt?

«Den öf­fent­li­chen Ver­kehr ha­ben wir weg­ge­las­sen, weil es hier­für be­reits ei­nen Ver­teil­schlüs­sel für die un­ge­deck­ten Kos­ten gibt», sagt Si­mon Schranz. Kan­ton und Ge­mein­den tei­len sich die Kos­ten 50:50. Ei­ne Stu­die der Pu­bliX­data AG ha­be aber ge­zeigt, dass nach dem ak­tu­ell gel­ten­den Schlüs­sel die Stadt St.Gal­len viel mehr an die un­ge­deck­ten öV-Kos­ten zahlt als an­de­re Ge­mein­den, weil die Ab­fahrts­zah­len viel hö­her ge­wich­tet wur­den als die Be­völ­ke­rungs­zah­len: näm­lich rund 230 Fran­ken pro Ein­woh­ner:in pro Jahr im Ver­gleich et­wa zu Wil (163 Fran­ken), Rap­pers­wil-Jo­na (148 Fran­ken) oder Gos­sau (112 Fran­ken). Aufs Jahr ge­rech­net und die Be­völ­ke­rungs­zahl mit­be­rück­sich­tigt be­deu­tet dies, dass St.Gal­len 9,8 Mil­lio­nen Fran­ken pro Jahr mehr be­zahlt als die an­de­ren Ge­mein­den im Durch­schnitt. Al­ler­dings re­la­ti­viert sich die­se Zahl ein we­nig durch den Um­stand, dass das öV-An­ge­bot im Kan­ton in der Stadt St.Gal­len am bes­ten aus­ge­baut ist. An­de­re Kan­to­ne ge­wich­ten ih­re Be­rech­nun­gen der öV-Kos­ten zu­guns­ten der Zen­tren an­ders. Auch ha­ben in vie­len an­de­ren Kan­to­nen die Ge­mein­den weit we­ni­ger als die Hälf­te der un­ge­deck­ten öV-Kos­ten zu tra­gen.

Wel­che wei­te­ren fi­nan­zi­el­len Be­las­tun­gen für die Stadt wur­den nebst dem öV noch aus­ge­klam­mert aus der Stu­die?

Nicht be­rück­sich­tigt sind in der Eco­plan-Stu­die aus­ser­dem so­zio­de­mo­gra­fi­sche Son­der­las­ten, in den Be­rei­chen Fa­mi­lie und Ju­gend, fi­nan­zi­el­le So­zi­al­hil­fe und sta­tio­nä­re Pfle­ge. Die­se zäh­len nicht zu den Zen­trums­las­ten, weil sie nicht von Aus­wär­ti­gen ge­nutzt wer­den, und be­lau­fen sich in der Stadt pro Jahr auf 31,7 Mil­lio­nen Fran­ken, wo­von über den kan­to­na­len Fi­nanz­aus­gleich rund 18 Mil­lio­nen ab­ge­gol­ten wer­den. Die üb­ri­gen Kos­ten von 13,8 Mil­lio­nen Fran­ken blei­ben un­ge­deckt und fal­len so­mit zu­las­ten der Stadt. Ge­mäss Eco­plan wird St.Gal­len für sei­ne Zen­trums­las­ten in den an­de­ren Be­rei­chen im Fi­nanz- und Las­ten­aus­gleich vom Kan­ton mit rund 16 Mil­lio­nen Fran­ken ent­schä­digt, auf­grund der An­pas­sung an die Teue­rung sind es der­zeit gut 17 Mil­lio­nen. Tat­säch­lich hat die Stadt aber 28,4 Mil­lio­nen Fran­ken Zen­trums­las­ten. Un­ge­deckt blei­ben zu­las­ten der Stadt al­so nach wie vor rund 11 Mil­lio­nen Fran­ken. Rech­net man die Mehr­be­las­tung im öV (9,8 Mil­lio­nen) und bei den so­zio­de­mo­gra­fi­schen Son­der­las­ten (13,8 Mil­lio­nen) mit, re­sul­tie­ren – im Stil der Stu­di­en­ver­fas­ser kon­ser­va­tiv ge­schätzt – gut 30 Mil­lio­nen Fran­ken, die die Men­schen in der Stadt für Leis­tun­gen, die auch von Ex­ter­nen ge­nutzt wer­den, «zu viel» be­zah­len.

Wie hoch sind die Zen­trums­las­ten St.Gal­lens ver­gli­chen mit an­de­ren Schwei­zer Städ­ten?

Von der Grös­se her ver­gleich­bar wä­re zum Bei­spiel Lu­zern. Lu­zern trägt ge­mäss Eco­plan Net­to­zen­trums­las­ten (d.h. auch hier nach Ab­zug der Zen­trums­nut­zen und der Stand­ort­vor­tei­le) von 26,6 Mil­lio­nen Fran­ken, al­so et­was we­ni­ger als St.Gal­len (28,4 Mil­lio­nen). Via kan­to­na­len In­fra­struk­tur­las­ten­aus­gleich er­hält Lu­zern bis­lang nur 8 Mil­lio­nen Fran­ken. Im Ge­gen­satz zur Stadt St.Gal­len spru­deln in der Stadt Lu­zern al­ler­dings die Steu­er­erträ­ge, vor al­lem die Un­ter­neh­mens­steu­ern schen­ken ein. Ge­gen­über dem Kan­ton hat die Stadt Lu­zern im Som­mer ar­gu­men­tiert, dass sie ei­nen Aus­gleich von 17,7 Mil­lio­nen für «sach­lich» ge­recht­fer­tigt hal­te, sich aber im Sin­ne ei­nes Kom­pro­mis­ses mit 10,6 zu­frie­den ge­be. Der Kan­ton woll­te al­ler­dings am bis­he­ri­gen Be­trag (8 Mil­lio­nen) fest­hal­ten, schei­ter­te An­fang De­zem­ber da­mit aber im Kan­tons­par­la­ment. Die Stadt, ei­ni­ge fi­nanz­schwa­che Ge­mein­den so­wie der Ver­band der Lu­zer­ner Ge­mein­den (VLG) hat­ten sich im Vor­feld für die Kom­pro­miss­lö­sung ein­ge­setzt. Der Prä­si­dent der Fi­nanz­kom­mis­si­on, ein SVP-Mann, sprach von ei­nem bis­lang «un­ter­do­tier­ten In­fra­struk­tur­las­ten­aus­gleich» und mit Be­zug auf die ge­sam­te Re­vi­si­on des kan­to­na­len Fi­nanz­aus­gleichs von «ver­trau­ens­bil­den­den Mass­nah­men» ge­gen­über den fi­nanz­schwä­che­ren Ge­mein­den.

Wä­re es denk­bar, dass auch re­gio­na­le Zen­tren ih­re Zen­trums­las­ten gel­tend ma­chen könn­ten?

Im Kan­ton Bern er­hal­ten nebst der Haupt­stadt auch die Ag­glo­me­ra­ti­ons­zen­tren Thun und Biel ei­nen pau­scha­len Zen­trums­las­ten­aus­gleich, den bei­den klei­ne­ren Städ­ten Burg­dorf und Lan­gen­thal wer­den die Zen­trums­las­ten via Fi­nanz­aus­gleich teil­wei­se ab­ge­gol­ten. In Zü­rich er­hält nebst der Kan­tons­haupt­stadt auch Win­ter­thur ei­nen Zen­trums­las­ten­aus­gleich.

In St.Gal­len ist der Zen­trums­las­ten­aus­gleich via Kan­ton, al­so ver­ti­kal, ge­re­gelt. Wä­re es nicht sinn­vol­ler, dass die Ge­mein­den ih­re Las­ten un­ter­ein­an­der ab­gel­ten, al­so ho­ri­zon­tal?

Die bei­den von Sai­ten be­frag­ten Wis­sen­schaft­ler wol­len sich nicht in die Po­li­tik ein­mi­schen. Bei­de be­to­nen, es ge­be ver­schie­de­ne Mit­tel und We­ge, die Fi­nanz­po­li­tik zwi­schen Kan­ton und Ge­mein­den und vor al­lem auch zwi­schen den Ge­mein­den un­ter­ein­an­der aus­zu­ta­rie­ren. Ro­land Sche­rer be­tont hier die zu­neh­men­de Wich­tig­keit re­gio­na­ler Ko­ope­ra­ti­on. Ge­mein­den müss­ten nicht al­les an­bie­ten, denn be­reits heu­te ar­bei­ten 70 Pro­zent der Schwei­zer Be­völ­ke­rung nicht in ih­rer Wohn­ge­mein­de. Des­halb soll­ten sie sich sei­ner Mei­nung nach ver­mehrt und um­fas­sen­der in re­gio­na­len Pools zu­sam­men­schlies­sen – wie es heu­te punk­tu­ell und the­ma­tisch auch schon in St.Gal­len ge­sche­he (Spi­tex­re­gio­nen, Re­gio­na­le Kul­tur­för­der­or­ga­ni­sa­ti­on (RFO) etc.). In sol­chen Re­gio­nen könn­ten Las­ten auch ziel­ge­nau­er er­rech­net wer­den, das heisst, die Kos­ten noch bes­ser nach dem Ver­ur­sa­cher­prin­zip ab­ge­gol­ten wer­den. Sol­che in­ter­kom­mu­na­len Struk­tu­ren er­laub­ten auch kan­tons­über­grei­fen­de Lö­sun­gen, oh­ne die Kan­to­ne als Mitt­ler zwi­schen­schal­ten zu müs­sen. Im Fall St.Gal­lens mit der Aus­ser­rho­der Nach­bar­ge­mein­de Teu­fen sei das si­cher ein in­ter­es­san­ter An­satz (mehr zur Hal­tung der Nach­bar­ge­mein­den im Bei­trag ab Sei­te 14).

Wie steht es um den Wil­len der St.Gal­ler Ge­mein­den, ei­nen bes­se­ren fi­nanz­po­li­ti­schen Aus­gleich un­ter­ein­an­der zu schaf­fen?

Ro­land Sche­rer sagt da­zu: «Wir be­ob­ach­ten in der Schweiz all­ge­mein, aber auch im eu­ro­päi­schen Raum, dass die Kirch­tür­me und Grenz­zäu­ne wie­der hö­her wer­den.» Ge­meint ist da­mit zum Bei­spiel die ab­neh­men­de Be­reit­schaft vie­ler Ge­mein­den, ein­mal ein Pro­jekt ei­ner an­de­ren Ge­mein­de mit­zu­tra­gen, oh­ne di­rekt ei­nen ei­ge­nen Nut­zen dar­aus zie­hen zu kön­nen. Frü­her sei die Be­reit­schaft da­zu grös­ser ge­we­sen, weil man auch dar­auf ver­trau­en konn­te, dass man da­für spä­ter bei ei­ge­nen Pro­jek­ten auf den Good­will der an­dern zäh­len kann. Ei­ne Ur­sa­che für die­se neue Selbst­be­zo­gen­heit sieht Sche­rer in glo­ba­len Ent­wick­lun­gen, bei­spiels­wei­se der po­li­ti­schen De­bat­ten­kul­tur, die aus den USA lang­sam auch nach Eu­ro­pa über­schwap­pe. Der Ton und das ge­gen­sei­ti­ge Miss­trau­en ver­schärf­ten sich. Um­so wich­ti­ger sei es für die Ge­mein­den, nun ge­mein­sam an den Tisch zu sit­zen.