Zell-Teilung in der Kellerbühne
Als er den Mund auftut in der 10. Szene, gegen Ende des Stücks, da wo alles zusammenkommt, da redet er scheinbar zusammenhanglos von Autoimmunerkrankungen – Krankheiten, bei denen sich die Zellen untereinander bekämpfen und zerstören. Der Mann mit dem anspielungsreichen Namen Ge Punkt ist vom Fach, er ist Zellbiologie, aber hier im Stück sitzt er zugleich selber in einer Zelle.
Er ist der «dritte Mann», geheimnisvoller Zeuge eines Verkehrsunfalls, in den die beiden anderen Personen, die Schwestern Sis und Kat, verwickelt waren. Eine Frau ist überfahren worden, Sis sass am Steuer, Kat war betrunken, die Erinnerung an das nächtliche Ereignis ist diffus.
Falsch heisst das Dreipersonenstück der holländischen Autorin Lot Vekemans, das Matthias Peter in der Kellerbühne erstmals in der Schweiz inszeniert. Was ihn daran fasziniere, seien die diversen Schichten des Texts. Vordergründig ist es ein Kriminalfall, dahinter stecken eine konfliktreiche Schwestern-Konstellation, Stammzellentheorie und Wahrnehmungsforschung, Reflexionen zur Zuverlässigkeit des Erinnerens und hinter allem: die Frage nach der Schuld. Kurzum: «ein Stück vom richtigen oder falschen Leben», sagt der Regisseur.
Falsch sei für ihn ein unglaublich genauer Theatertext – vergleichbar Vekemans bekanntestem Stück, dem 2009 uraufgeführten Dialog Gift. Eine Ehegeschichte. Und glücklich ist Peter auch über die Besetzung: Mit Suly Röthlisberger, die das TV-Publikum aus der Serie «Der Bestatter» kennt, und Sabine Martin seien zwei Schauspielerinnen am Werk, die sich von der ersten Szene an untereinander und mit dem Text «automatisch» verstanden hätten. Den Zeugen spielt Alexandre Pelichet, der regelmässig in den Eigenproduktionen der Kellerbühne mitwirkt. Stefan Suntinger steuert wie bereits in Malaga von Lukas Bärfuss oder Der Andere von Florian Zeller die Bühnenmusik bei.
Lot Vekemans: Falsch.
7. März (Premiere) bis 18. März, jeweils 20 Uhr (So 17 Uhr), Kellerbühne St.Gallen
Das «Zellmaterial» des Stücks basiert auf den Forschungen des US-Biologen Bruce Lipton. Er vertrat die Ansicht, dass das Zellwachstum weniger durch die Gene als durch das Umfeld bis hin zu Gedanken und Einstellungen beeinflusst werde. Der Mensch nicht als «Opfer seiner Gene», sondern in der Lage, sich durch den Geist quasi neu zu programmieren: Damit eckte Lipton an – und lieferte zugleich neue Bausteine für die uralte Diskussion, was uns zu denen macht, die wir sind.
Die Bühne: zwei rosa Zellen. «Cool Down Pink», erklärt der Regisseur, gelte als beruhigende Farbe und werde daher teilweise im Strafvollzug eingesetzt, so unter anderem im Gefängnis Pfäffikon, wo 2006 erstmals in Europa Zellen pink bemalt wurden. Auch die St.Galler Kantonspolizei hat eine rose Beruhigungszelle, Peter war dort und kam mit zwiespältigen Gefühlen wieder heraus. Ob der «Cool Down»-Effekt im Theater ebenfalls eintritt, darauf darf man gespannt sein. Mutmasslich wird es unterschiedliche Meinungen und Empfindungen geben, und das passt zu einem Stück, das klarmacht: Jede Wahrheit ist eine Frage der Perspektive.