Wortlaut und Wasserwurf
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Richi Küttel ist die Anstrengung anzusehen, als der viertägige Literaturmarathon am Sonntagmittag in der zur Buch-Beiz erkorenen Stickerei zu Ende geht. Küttel hatte schon die ersten fünf «Wortlaut»-Festivals 2008 bis 2012 mitorganisiert, dann anderthalb Jahre pausiert und jetzt neue Mitstreiter, neuen Ehrgeiz und die alte Begeisterung gefunden, St.Gallen zur Literaturfestival-Adresse zu machen. Zum Beispiel mit der Schweizer Erstlesung von Dorothee Elmiger aus ihrem neuen Roman «Schlafgänger» (Bild oben).
«Noch Luft gegen oben»
Kurz zurückgeblendet: 2008 hatte «Wortlaut» angefangen, klein und zum Einheitspreis von 20 Franken. 2011 war es auf zwei Tage angewachsen, der Festivalpass für beide Tage kostete 35 Franken. Ein Jahr später kam ein dritter Tag hinzu, der 3-Tages-Pass belief sich jetzt auf 50 Franken. Nach einem durchzogenen Publikumsergebnis 2012 pausierte «Wortlaut», verschob sich vom Herbst in den Frühling, schneiderte sich ein ambitioniertes, kuratiertes neues Kleid und trat so am vergangenen Wochenende neu an. Der Tagespass für das 12-stündige Hauptprogramm am Samstag kostete jetzt 40 Franken, der Festivalpass von Donnerstag bis Sonntag 65 Franken.
Mehrangebot, schärferes Profil, ein breites Spektrum von Belletristik bis zur Comic-Lesung und damit auch die Kostensteigerung: All das hat sich nach Auskunft von Richi Küttel im Prinzip bewährt. Die Schlussrechnung liege zwar noch nicht vor, aber man habe etwa 450 Einzeltickets und 200 Tagespässe verkauft. Insgesamt wurden an den unterschiedlichen Veranstaltungsorten rund 60 Personen pro Lesung gezählt oder bei allen 30 Veranstaltungen ingesamt rund 2000 Besucherinnen und Besucher.
Kann man damit zufrieden sein? «Das ist eine gute Zahl, auch wenn wir mit etwas mehr Publikum gerechnet hatten», sagt Richi Küttel. «Für literarische Lesungen sind schon 30 Besucherinnen ein guter Schnitt – hier waren es 60. Überrascht hat uns, dass weniger Tagespässe und mehr Einzeltickets als erwartet verkauft wurden. Die Leute haben sich sehr dezidiert einzelne Lesungen ausgewählt.» Am Nachmittag lief das Festival denn auch, trotz schönstem Wetter, gut; am Abend gab es einen Einbruch, etwa bei der Lesung von Marion Poschmann, die im Raum für Literatur nur gerade 20 Interessierte anzog. Vollbesetzt war dagegen das Palace bei den Auftritten von Lukas Bärfuss und Alex Capus. Und gut besucht waren auch die Comic-Lesungen im Lapidarium.
Küttel bilanziert: «Das erstmals kuratierte Programm hat funktioniert, es gab viele positive Rückmeldungen – was das Publikum betrifft, haben wir noch Luft gegen oben». Reaktionen von Institutionen, die in früheren Jahren dabei waren und jetzt ausgeschlossen waren, habe er keine gehört. Keine kalte Dusche also für das neue «Wortlaut»-Team. Der nächste Termin steht denn auch schon fest: 27. bis 29. März 2015.
Die Rache des Wasserwerfers
Eine kalte Dusche gab es hingegen am Samstag spätabends für den «Gassenhauer» des Kulturmagazins Saiten in der Schmiedgasse. Diana Dengler und Marcus Schäfer vom Theater am Tisch (Bild: Dani Fels) sind gerade so richtig warmgelaufen mit ihren Tiraden aus dem Pelikanerker hinunter auf die Gasse…
…als sich aus dem circa dritten Obergeschoss des Nachbarhauses ein Wasserschwall auf die Zuhörerköpfe ergiesst. Einige erwischt es – pflotschnass retten sie sich zur Seite, doch es bleibt bei dem einen Guss.
Der Wasser-Fall bestätigte wieder einmal aufs Unangenehmste die Wittgenstein’sche Einsicht: Die Welt ist alles, was der Fall ist. Was er sonst noch zu bedeuten hatte? Wir spekulieren hier natürlich gerne über die Motive des unbekannten Wasserwerfers, der, das muss man anerkennen, mit Schusskraft und militärischer Präzision gearbeitet hat.
Der Gassenhauer-Text könnte durchaus Munition für die Attacke geliefert haben – immerhin machten sich Schäfer/Dengler im Nachgang zum 9. Februar für eine weltoffene, migrationsbegeisterte Stadt stark und feierten quer durchs Telefonbuch von A wie Abächerli und Abadzic bis zu Z wie Zweifel und Zwirzitz die bunte Einwanderungsgesellschaft.
Auffällig am Wasserfall war andrerseits, dass just in der Sekunde zuvor ein schnöder Satz über die Neo-Stadträtin Patrizia Adam gefallen war – möglicherweise war dies der Stein des Anstosses. Oder ganz einfach: Schlafstörungen. Mit Saiten als willkommenem Sündenbock?
Die Moral von der Geschicht‘ kann jedenfalls nur lauten: Hütet Euch vor Literatur! Und tragt immer breitkrempige Hüte, wenn Ihr Euch in den St.Galler Gassen bewegt!
Einer der schönen Sätze, die Lukas Bärfuss bei seiner «Wortlaut»-Lesung kurz zuvor im Palace gesagt hatte, traf dafür auch auf den Gassenhauer 2014 zu: «Literatur ist die Sehnsucht nach der Veränderbarkeit der Welt.» Vielleicht wars ja ganz einfach: Der Wasserwerfer hatte keine Lust auf Welt-Veränderung. Schon gar nicht nachts um elf.