Wortlaut digital (I): Eintauchen mit Maya Olah
Das St.Galler Wortlaut-Festival 2021 ist digital – und trotzdem regional wie selten. Eine der neueren Ostschweizer Stimmen, die es zu entdecken gibt, ist Maya Olah. Sie präsentiert ihren Text «Im Hallenbad» am nächsten Sonntag als Video-Essay aus dem Volksbad.
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«Betritt man das Hallenbad, verlässt man die gewohnte Umgebung. Man sperrt die Landkleidung in einen Kasten und wechselt zum Wassergewand. Man duscht. Spült den ganzen Dreck und die Trockenheit der Aussenwelt ab, gewöhnt sich an die Beschaffenheit der flüssigen Umgebung.»
Diesen Text in einem coronaleeren Hallenbad zu verfilmen, sei anfangs wohl eine Bieridee gewesen, erzählt Maya Olah. Aber dann wurde das Literaturfestival Wortlaut ins Netz verlegt und die Idee reifte zum Plan, der dank einem Produktionsbeitrag der städtischen Kulturförderung auch umgesetzt werden konnte.
Realisiert haben den Film zwei Freunde, der Videokünstler Juan Ferrari und die Grafikerin Pascale Lustenberger. Man sehe darin keine duschenden Menschen, die sich in Wasserwesen verwandeln, und keine kopflosen Unterwasserkörper in rhythmischer Bewegung, wie man sie im Text durch die Schwimmbrille der Erzählerin beobachten kann. Maya Olah erklärt, dass sie zuallererst dem Text Raum geben wollten. Das Visuelle sollte nicht die Geschichte verdoppeln oder Handlung nachstellen, sondern eine eigene Bildsprache entwickeln.
Entgrenzung im Wasser
«Das Volksbad kenne ich gut. Ich habe dort als Juniorin trainiert», erzählt Olah. Sie ist 1990 in Baden geboren, in St.Gallen aufgewachsen, studierte dann Germanistik und Ethnologie und lebt heute in Zürich und Wien. Ihr Brot verdient sie mit Unterrichten und absolviert noch das Lehrdiplom für Maturitätsschulen. Die Zeit als Autorin ist knapp, «aber es ist klar mehr als ein Hobby», sagt sie, «das Schreiben hat in meinem Leben eine Dringlichkeit».
Gelesen hat sie schon immer, eigene Texte kamen früh dazu. Mit der Geschichte Gestern noch gewann sie 2016 im Opennet der Solothurner Literaturtage – der Preis war ein professionelles Lektorat, das sei sehr wertvoll gewesen. 2019 war sie dann Stipendiatin im Klagenfurter Literaturkurs, und sie erhielt ein Atelierstipendium in Berlin des Kantons St.Gallen. Erschienen sind bisher diverse kürzere Texte in Anthologien und Zeitschriften wie «Das Narr», und in der Reihe #SRFzämestah hat das Schweizer Radio 2020 ihr Hörspiel Monstera deliciosa produziert. Ein Stück, das Corona mit einem irrwitzigen Spin begegnet.
In Berlin war viel offene Zeit und da habe sie versucht, ihr Schreiben stundenplanmässig zu organisieren. Das funktioniere bei ihr nicht, «alles Brauchbare entstand anders». Ihre Texte entzünden sich an einer Emotion, einer Beobachtung, einem Gedanken im Alltag.
Im Hallenbad von Maya Olah: online ab Sonntag, 28. März, 11 Uhr.
Weiter im digitalen Programm des Wortlaut-Festivals vom 25. bis 28. März: Richard Butz, Nicolas Mahler/Jaroslav Rudis, Simone Baumann und Thomas Ott, Werner Rohner und Laura Vogt, Hildegard E.Keller, das «Leerbuch» des Museums of Emptiness und der Gassenhauer von Saiten mit Marcus Schäfer und Diana Dengler.
Beim Hallenbad-Text könnte dies die Beobachtung der Luftblasen an den eintauchenden Händen gewesen sein, versucht sie sich zu erinnern. Daraus kann sich ein Text entwickeln, indem sich assoziativ weitere Szenen und Träume anlagern. Aber auch die wissenschaftliche Seite der Autorin kommt im Hallenbad-Text zum Zug. Mit Referenz auf den Ethnologen Victor Turner beschreibt Olah das Schwimmen als Ritual. Nach der Ablösung in der Dusche folgt die Phase der Liminalität. Als Wasserwesen ist man in einem Übergangsstadium, man «ist nicht mehr die, die man war, aber auch noch nicht die, die man sein wird». Man gehe in die Horizontale, werde zu etwas anderem, transformiere sich.
In dieser Liminalität ist Durchlässigkeit nach allen Seiten. Die Erzählerin ruft Wasserwesen wie die Meerjungfrau und Seeungeheuer auf, sie schiebt Ergoogeltes zu Lebenszyklen der Quallenart Turritopsis dohrnii ein, sie erinnert sich an pubertäre Schwimmbaderlebnisse und sie hofft, mit einem Schluck aus dem Lethe-Fluss die Erinnerung zu tilgen.
Erst nach dem Auftauchen gelangt man in der Garderobe zurück in die reale Welt und gliedert sich wieder ein. «Diese Spannung von subjektiver, körperlicher Erfahrung und theoretischem Wissen wollte ich in diesem Text bewusst gestalten», sagt die Autorin.
Sich in die Szene einschreiben
In der Wortlaut-Ankündigung nennt Maya Olah ihr Werk «ein Konglomerat aus Texten». Der grosse thematische Bogen ist da, die einzelnen Passagen sind über Motive miteinander verbunden. Das Eintauchen in einen Gedankenfluss, das Erzählen mit der inneren Stimme ist eine der Stärken von Olah. Mit ihren Kurztexten hat sie bisher einigen Erfolg gehabt, sie wurde an verschiedenen Orten publiziert und auf spannende, auch interdisziplinäre Lesefestivals eingeladen, wo sie Kontakte zu anderen Autorinnen und Autoren knüpfen konnte.
In Arbeit hat sie jetzt ein grösseres Schreibprojekt, das sie gern einen «längeren Text» nennt, um sich selber Druck wegzunehmen. Aber sie weiss auch, dass der Buchmarkt im deutschsprachigen Raum auf Romane ausgelegt ist. Dorthin will Maya Olah. Man darf gespannt sein.
Dieser Beitrag erscheint auch im Aprilheft von Saiten.