Wort und Antwort – Christian Mägerle

Vor der Schenke
am Waagplatz
las einer
Gedichte
Verse
dachte ich
fallen hier kaum
ins Gewicht
So heisst es in einem Gedicht von Christian Mägerle, erschienen in «Wind kommt auf. Gedichte 1984-2003». Mägerle hat seinerseits dafür gesorgt, dass hier in St.Gallen Verse nicht ganz ungehört verhallen. Als Lehrer, als Dichter, als Vermittler und Anreger hat er das literarische Leben der Stadt über Jahrzehnte mitgeprägt in jener unspektakulären Art, die auch den Tonfall seiner Gedichte bestimmt.
Sie sind leise – aber sie fallen durch die Sorgfalt ins Gewicht, mit der die Worte gesetzt sind, durch Konzentration auf ein knappes Bild, auf eine augenzwinkernde Beobachtung, ein unaufdringliches «Memento». Charakteristisch an Christian Mägerles Versen ist ihr menschenfreundlicher Ton. Da will keiner mit Gedichten die Welt verändern, sondern dem Gegenüber die Hand reichen. «Du» ist eines der häufigsten Wörter – so wie in diesem Gedicht mit dem Titel «Winter»:
Lass uns dann und wann
die Spur im Schnee erneuern
die Spur von mir
zu dir, von deiner
zu meiner Tür!
In der Zwischenzeit
mag es schneien.
So einladend hat man Christian Mägerle erlebt, in seinen Texten wie bei Begegnungen in den St.Galler Gassen, an den literarischen Abenden in der Kellerbühne «Unter Christian Mägerles Leselampe», beim Rotwein in einer Altstadtbeiz:
Wir gaben einander
Wort und Antwort
2011, zu seinem 65. Geburtstag, brachte die VGS Verlagsgenossenschaft St.Gallen ein Bändchen mit dem Titel «Was des Wortes ist» heraus, mit Gedichten und einem Essay Mägerles zum St.Galler Dichter Karl Schölly, für den er sich immer wieder eingesetzt hat. Dort waren die Stationen seines Wirkens (neben dem Hauptberuf, den 44 Jahren als Primarlehrer in St.Gallen) verzeichnet. Von dort stammt auch das Porträtbild (Foto Manuela Graf).
Mit 31 publizierte Christian Mägerle das erste Gedichtbändchen «Augenblick des Weinsterns», es folgte eine Reihe weiterer, stets gestalterisch origineller Publikationen, darunter «Irgendwogeläut», «Das Rotweinblatt», «Lippenkinder» und «Augen im Kopf». Als Herausgeber betreute er Editionen zu Karl Schölly, Georg Thürer oder Frieda Hilty-Gröbly, er initiierte mit Richard Butz die «SchreibwerkStadt St.Gallen» 1986 oder in einem fünfköpfigen Team die Lyrik-Anthologie «Bäuchlings auf Grün». Als Vermittler führte er durch eine Vielzahl literarischer Abende und präsidierte jahrelang die Gesellschaft für deutsche Sprache und Literatur (GdSL).
Einen «Münzmeister» nennt ihn Rainer Stöckli im Nachwort zu «Was des Wortes ist»: keiner, der mit grossen Wort-Noten um sich warf. Aber der genaue, zugleich kostbare und brauchbare Wortmünzen prägte.
Am 25. Mai ist Christian Mägerle, wie die Öffentlichkeit erst jetzt erfährt, gestorben. Eine erhoffte Buchpublikation über Ostschweizer Lyrik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist nicht mehr zustande gekommen. Das Konzept dafür habe Christian Mägerle noch erstellt, sagt Richard Butz, der das Buch anregte. Vorgekommen wäre jene Dichter-Generation, die Mägerle stets besonders am Herzen lag: Karl Schölly, Georg Thürer, Heinz Helmerking, Richard B.Matzig, der junge Hans Rudolf Hilty, der frühe Joseph Kopf, Julie Weidenmann, Leonie E.Beglinger, Siegfried Einstein und viele andere. Christian Mägerles Tod reisst eine Lücke nicht nur menschlich, sondern auch für das literarische Gedächtnis der Region.
An seinem Geburtstag, dem 16. Oktober, planen seine Weggefährten einen Gedenkanlass in St.Gallen-Lachen. Dabei wird wohl auch dieses Kürzestgedicht noch einmal zu hören sein:
Ein Dichter
Er gibt dem Worte,
was des Wortes
ist.