Wort, Schalk und Melancholie
Fred wusste um den bevorstehenden Tod, lud zu einem letzten Glas Wein und zu einem Abschiedsgespräch. Ein wenig Trost brachte ein gemeinsamer Rückblick auf seine Lebensleistungen.
Fred Kurer war vieles: St.Galler mit Rheintalerwurzeln, Student in Zürich, Wien und London, verlässlicher Partner von Ehefrau Annemarie, hingebungsvoller Vater zweier Töchter, begeisterter Grossvater von sieben Enkeln, Germanist und Anglist, Lehrer, Schönschriftschreiber, perfekter Kopfrechner, Schriftsteller, Journalist, Herausgeber, Literaturkritiker, Übersetzer, Theaterautor und -pädagoge, Musik- und Theaterliebhaber, Radio- und Fernsehmitarbeiter, Hobby-Pianist, Satiriker, Kabarettist, Bücherleser, Sänger, Rezitator, Geniesser von Wein und gutem Essen, Ski- und Velofahrer, Wanderer, Trekking-Leiter, Sport- und Klassenlagerleiter, Verbindungsmitglied, Mitglied der Gesellschaft für deutsche Literatur, Kellerbühne-Leiter, politisch engagierter Zeitgenosse, interessierter Zeitungsleser, geselliger Mensch, Freund vieler Menschen, grosser Reisender und und…
Als Lehrer unterrichtete Fred Kurer mit grosser Hingabe Deutsch und Englisch, zuerst an der Verkehrsschule, dann an der Kantonsschule. Seine ehemaligen Schüler und Schülerinnen sprechen mit Hochachtung von seinem Engagement, schwärmen von den von ihm mitgeleiteten Klassen- und Sportlagern und von seinen innovativ gestalteten Theaterkursen.
Einen gewichtigen Beitrag leistete er während sieben Jahren als Kellerbühne-Leiter. Hier präsentierte er, zum Teil erstmals, Künstler wie Hanns Dieter Hüsch, Kaspar Fischer, Franz Hohler, Joachim Rittmeyer, Hannes Wader, Georg Kreisler, Peter Wyssbrod, Folkmusik aus Irland und England sowie in Zusammenarbeit mit Beat Burri namhafte Jazzgrössen. Mit grossem Vergnügen spielte er beim hauseigenen Cabaret Sälewie mit, schrieb dafür auch Texte und Chansons.
Fred Kurer war ein unermüdlicher Bücherleser und diskutierte gerne über sie, so etwa im Kreis der «Literarchen». Er organisierte literarische Veranstaltungen, schrieb Buchkritiken, übersetzte aus dem Englischen, erinnerte zusammen mit seinem Freund Heiko Strech mit einer literarischen Collage an Joseph Conrad, lieferte Stücke für das Figurentheater, schrieb das vielbeachtete Drama Mit beiden Beinen und setzte sich als Herausgeber für das Werk seines Freundes und Dichters Joseph Kopf ein.
Ähnlich wie sein Vorbild Bruce Chatwin war Fred Kurer ein grosser Reisender. Er lebte für einige Zeit mit seiner Ehefrau Annemarie in Irland, reiste drei Mal nach Australien und in dessen einsames Outback, wanderte in den Bergen von Schwedisch Lappland und der Schweiz, bereiste fast alle Länder Europas, den Kaukasus, die Türkei, Thailand und Malaysia, Nordafrika und Nord- und Südamerika.
Vieles, was er auf diesen Reisen erlebte und aufnahm, floss in seine Lyrik ein. Unser Verschwinden in Australien, betitelte er einen seiner Lyrikbände, mit Kreta einen weiteren. In Darüberschreiben – dröber schriibe stellte er erstmals Gedichte in Mundart, deren Pflege ihm ein grosses Anliegen war, vor. Was eigentlich mach ich hier? lautet der Titel eines albanisch-deutschen Lyrikbandes. Diese Frage war typisch für ihn, sie bezog sich sowohl auf die eigene Existenz wie auf sein sprachlich und inhaltlich hochstehendes literarisches Schaffen.
Fred Kurer tat wenig für dessen Verbreitung. Er zweifelte oft grundsätzlich an seinem Schreiben, brachte es aber dennoch auf eine beachtliche Anzahl von Werken, unter ihnen den Roman Abschied von… Seine Lyrik, oft sind es Langgedichte, ist geprägt von Fernweh, Nachdenken über die menschliche Existenz, Ironie, Schalk und Melancholie. In das möchte ich noch heisst es:
«dann möchte ich mit meiner geliebten noch Trieste bestreichen mit / Magris und Svevo und Joyce und so / und / Slowenien im kleinen Fiat durchqueren / in Kroatien noch einmal ohne pass über die grüne grenze / und / mit ihr dort leicht / und / leichthin verkommen // das wär’s dann in etwa gewesen.»
Nicht auf Distanz ging Fred Kurer zu den Menschen, zu seiner Familie, zu seinen Freunden und Freundinnen. Er nahm Anteil, war besorgt und hilfsbereit, und er liebte es, mit Familie und Freunden zusammen zu sein. Er hatte viel Humor, konnte über die eigenen Schwächen und die Eigenheiten anderer herzlich lachen, dies ohne Häme, aber mit feinem Sinn für Ironie.
Beim letzten Besuch zitierte er aus Gottfried Benns Was schlimm ist die letzte Strophe: «Am schlimmsten: / nicht im Sommer sterben, / wenn alles hell ist / und die Erde für Spaten leicht.» Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen, sein Leben endete an einem sonnigen Sommertag.
Vielen Menschen, die ihn gekannt haben, wird er schmerzlich fehlen, das kulturelle Leben dieser Stadt hat eine herausragende Persönlichkeit verloren.
Zum Schluss persönlich angemerkt: Ich werde Fred für den Rest meines Lebens vermissen, was bleibt, sind Erinnerungen an viele gemeinsame Reisen und Wanderungen während 30 Jahren, zahlreiche Saunabesuche und gute Gespräche – und ein grosses Weh!