Wohin entwickelt sich die Kulturförderung?

Endlich ist er da, der Schlussbericht zur Entwicklung der Saläre von Kulturschaffenden. In Auftrag gegeben hat ihn die Konferenz der kantonalen Kulturbeauftragten (KBK). In diesem Fachgremium der Schweizerischen Erziehungsdirektor:innenkonferenz (EDK) werden verschiedene förderpolitische Themen diskutiert. Im Rahmen des aktuellen Arbeitsprogramms der KBK wurde die Bearbeitung des Themas Saläre von Kulturschaffenden in die KBK-Regionen Ost- und Westschweiz delegiert. Die Entwicklung der Kultursaläre ist somit auch ein ostschweizerisches Kernthema geworden.
Der Schlussbericht, Ende März publiziert, bestätigt einerseits nochmals, was man längst weiss: Die Saläre im Kulturbereich liegen, auch unter Berücksichtigung der generell tieferen Arbeitspensen, weit unter dem Durchschnitt der übrigen Erwerbsbevölkerung. Und das, obwohl der Bildungsstand im Kultursektor überdurchschnittlich hoch ist und viele über einen Tertiär- resp. Hochschulabschluss verfügen. Und was noch schwerer wiegt: Viele Kulturschaffende können sich in ihrem Berufsleben keine oder kaum eine Altersvorsorge leisten, die ihren Namen auch verdient. Sie sind, auch im Falle einer Erwerbsunfähigkeit, schlecht bis gar nicht sozial abgesichert. So weit, so bekannt.
Andererseits enthält der Bericht auch konkrete Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung der allzu oft prekären Arbeits- und Lebensumstände im Kunst- und Kulturbetrieb, die sich in erster Linie an die öffentlichen und privaten Kulturförderstellen, aber auch an die Politik, die Ausbildungsstätten und – nicht zuletzt – an die Kulturschaffenden und ihre Berufsverbände richten. Denn oft sind es auch sie selber, die bei unterfinanzierten Projekten lieber ihr eigenes Honorar und das anderer Künstler:innen runterschrauben, anstatt ihr Unterfangen zu sistieren. Die intrinsische Arbeitsmotivation ist im Kultursektor allgemein hoch, und damit auch die Neigung zur Selbstausbeutung. Die Studienautor:innen sprechen hier auch von «partiellem Marktversagen». Kunst produziert wird sowieso.
Das Bildungsangebot im Kulturbereich erfreut sich landesweit grosser Beliebtheit und wird laufend ausgebaut. Jährlich schliessen mehr Personen einen tertiären Lehrgang ab. Das ist im Sinne der kulturellen Vielfalt, wie sie in den allermeisten kantonalen Kulturkonzepten hochgehalten wird, eine erfreuliche Entwicklung.
Die Prosperität der Kultur hat aber ihren Preis. Die Kulturfördermittel, die pro Person jährlich zur Verfügung stehen, verknappen sich laufend. Die Mittel, die es bräuchte, um mit der Entwicklung Schritt zu halten, sind immens, der politische Wille, diese zur Verfügung zu stellen und die Kulturbudgets aufzustocken, gering bis inexistent – je nach Kanton. Es läuft also auf einen noch härteren Verteilkampf um die vorhandenen Gelder hinaus.
Angemessen honorieren, im Prinzip
Zahlen der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) zeigen zudem: Die Kultursaläre sind in den vergangenen zehn Jahren nicht gestiegen. Auch das ist eine Haupterkenntnis aus der Studie. Sie empfiehlt den kantonalen Förderstellen daher, das «Prinzip einer angemessenen Honorierung» in ihren Kulturkonzepten zu verankern und in der Förderpraxis umzusetzen. Hier sind auch die Berufsverbände und Lobbyorganisationen gefragt, die entsprechende Honorarrichtlinien herausgeben müssen und den Förderstellen wie den Geförderten damit eine Orientierungshilfe bieten.
Einige Sparten sind bereits gut organisiert, etwa Film oder Bildende Kunst, in anderen Bereichen, besonders in der Musik, fehlen solche Honorarrichtlinien oft. In dieser Sparte sind auch die Einkommensunterschiede am frappantesten. In Basel wurde dazu eine Initiative lanciert, die fordert, dass ein Drittel der öffentlichen Musikfördergelder ins freie Musikschaffen und in die populäre Musik fliesst. Heute sind es in den meisten Kantonen nicht einmal 5 Prozent (siehe Infobox).
Basler Musikinitiative
Schon 2019, als von Covid noch niemand einen Schimmer hatte, gründeten Bas- sist Fabian Gisler und ein paar Berufs- kolleg:innen in Basel die IG Musik. Die veranstaltungsarme Coronazeit hatte Gisler für sein kulturpolitisches An- liegen genutzt. Gemeinsam mit der IG lancierte er die Initiative für mehr Mu- sikvielfalt. Diese fordert, dass ein Drit- tel der öffentlichen baselstädtischen Fördergelder, die in die Musik fliessen, freischaffenden Musiker:innen zugute kommt. Denn diese seien es in erster Linie, welche die musikalische Vielfalt, wie sie auch das Kulturgesetz einfor- dert, garantierten. Heute fliessen in Basel 96 Prozent der Musikfördergel- der – also über 14,5 Millionen von knapp 15 Millionen Franken – an Institutionen und davon 90 Prozent an Orchester aus dem Klassikbereich. Für die rund 800 Freischaffenden in Sparten wie z.B. Electronica, Rap, Jazz, Pop oder Rock bleiben noch rund 400‘000 Franken. In den anderen grossen Schweizer Städten sind die Mittel ähnlich ungleich verteilt. Ein krasses Missverhältnis, allein schon gemessen am Publikumsaufkommen je Musik-Genre.
Jazz-Bassist Fabian Gisler will keine Neiddebatte, wie er auf Anfrage betont. Er habe auch nichts gegen klas- sische Musik, ganz im Gegenteil. Aber das historisch gewachsene, ungerechte Fördersystem gehöre hinterfragt. «Wir alle bezahlen die Kulturförderung mit unseren Steuergeldern. Aber was sind denn tatsächlich die Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung?» Am liebsten würde er nicht gegen, sondern mit den Vertreter:innen des Klassikbe- triebs für die Anliegen der Initiative kämpfen. Dort sind die Abwehrreflexe allerdings programmiert. Denn: Würde die Initiative dereinst von der Bevöl- kerung angenommen und würden die Basler Musikfördergelder nicht massiv aufgestockt, hiesse das in letzter Kon- sequenz einen klaren Schnitt bei der Orchesterfinanzierung.
Woher das viele zusätzliche Geld kommen soll, lässt Gisler bewusst offen, das sei Sache der Politik. Diese kommt demnächst zum Zug. Die IG hatte die nötigen 4000 Unterschriften im Früh- sommer 2022 innert Rekordzeit beisam- men. Das Anliegen stösst bei der Basler Bevölkerung offenbar auf grossen An- klang, und – dem Vernehmen nach – hin- ter vorgehaltener Hand teils sogar in der Klassikecke. Die Initiative liegt derzeit bei der Kantonsregierung. Gut möglich, dass der Basler Grosse Rat sie im Juni ein erstes Mal berät. Dann dürfte diese überfällige kulturpolitische Debatte, die den prekärsten aller Kulturbereiche betrifft und von den Szenen im ganzen Land mit Interesse verfolgt wird, erst richtig Fahrt aufnehmen.
«Mir ist unverständlich, warum einige Verbände bis heute keine Honorarempfehlungen herausgegeben haben», sagt Ursula Steinhauser. Sie leitet seit 2020 das Ausserrhoder Amt für Kultur und hat 2022 das Präsidium der KBK Ost übernommen. Steinhauser sass beim Salärentwicklungsbericht in der Begleitgruppe. Das Thema beschäftigt die Amtsleiterin aber schon länger.
Steinhauser findet die Erkenntnisse des Berichts wichtig. Damit zeige sich schwarz auf weiss, wie es um die Saläre in der Kulturbranche stehe. Die Empfehlungen der Studie könne sie zum grössten Teil nachvollziehen, einige Massnahmen – etwa die Verankerung des Prinzips der angemessenen Honorierung – seien im Kanton Appenzell Ausserrhoden aber bereits umgesetzt. Auch würden bei beantragten Fördergeldern ab 10‘000 Franken keine Teilgutheissungen mehr gesprochen, was zur Durchfinanzierung der geförderten Projekte beitrage.
Aber auch Steinhauser sieht den Zielkonflikt: Einerseits hat die Förderung der kulturellen Vielfalt in den kantonalen Kulturkonzepten einen sehr hohen Stellenwert, was bedeutet, dass möglichst Projekte aus unterschiedlichen Sparten gefördert werden sollten. Andererseits steigt der Mittelbedarf je Projekt, wenn die Honorierung der Beteiligten stets «angemessen» sein soll. Sprich: Künftig können nicht mehr gleich viele Projekte gefördert werden, diese dafür besser. «Die Frage ist unbequem, aber sie stellt sich dadurch doch: Wie viel Kultur wird produziert? Wie viel ist produzierbar? Wie viel konsumierbar?»
Nicht Teil des Problems werden
Steinhauser will solches nicht als Bekenntnis zur Kommerzialisierung des Kulturbetriebs verstanden wissen. «Wenn nur noch Gefälliges gefördert wird, das auf jeden Fall auch bei einem breiten Publikum Anklang findet, dann können wir punkto Kulturfreiheit und kultureller Vielfalt gleich einpacken», sagt die Ausserrhoder Kulturamtschefin. «Projekte in Nischen mit kleinerem Publikum haben nicht nur eine Berechtigung, sondern sind sogar besonders wichtig.» Denn von dort gingen oftmals Neuerungen und Innovationen aus.
«Wie viel Kultur ist produzierbar? Wie viel ist konsumierbar?»: Ursula Steinhauser, Leiterin des Amts für Kultur Appenzell Ausserrhoden
Ursula Steinhauser ist sich aber auch bewusst, dass der Kanton als Förderinstitution nicht alle sozialen Probleme, die tiefen Saläre oder die mangelnde soziale Absicherung der Kulturschaffenden beheben kann. «Wir können und müssen aber zumindest darauf achten, dass wir mit unserer Förderungspraxis nicht Teil des Problems sind.» Unter dem Strich bedeutet das aber eine verstärkte Selektion bei der Auswahl der geförderten Projekte.
Es ist ein weiteres Feld von Handlungsempfehlungen im Schlussbericht: Monitoring, Controlling, Reporting. Es gibt in einigen Sparten wohl Honorarempfehlungen und viele Kantone knüpfen ihre Gutheissungen auch an die Bedingung, diese Richtlinien einzuhalten. Ob das im konkreten Fall dann auch passiert, kontrolliert am Schluss aber kaum jemand.
Das hängt auch mit unklaren Verantwortlichkeiten zusammen. Ein Projekt wird in den allermeisten Fällen von mehreren öffentlichen und privaten Institutionen gefördert. Wer ist denn nun zuständig für die Kontrolle der Einhaltung der Vereinbarungen? Soll es immer der Kanton sein? Oder jene Institution, die am meisten Mittel spricht? Und nicht zuletzt: Welcher Personal- und Ressourcenaufwand ist für das Controlling von Kulturprojekten angemessen?
«Wir wollen nicht Polizei spielen und pflegen ein partnerschaftliches Verhältnis mit den Kulturschaffenden in unserem Kanton», sagt Ursula Steinhauser. Und auch den Kulturschaffenden selbst ist verständlicherweise nicht sonderlich viel an bürokratischem Zusatzaufwand gelegen. «In Appenzell Ausserrhoden leiden wir zum Glück nicht an einer exorbitanten Gesuchslast und können ein relativ einfaches Monitoring über die Projektfinanzierung ohne grossen Aufwand betreiben.» Man sehe rasch, wenn im Verlauf eines Projekts die «Eigenleistungen» plötzlich anstiegen, und könne dann nachfragen, ob das dann wirklich zulasten der Honorare gehen müsse oder ob an anderer Stelle gespart werden könnte.
Anders zeigt sich die Situation in einem städtisch geprägten Kanton wie Zürich, wo die «Gesuchslast» und damit der Reportingbedarf grösser ist. «Wir überlegen uns die Einführung eines standardisierten und für die Kulturschaffenden relativ rasch auszufüllenden Schlussberichtsformulars, das über die Einhaltung der Honorarrichtlinien Rechenschaft ablegt», erklärt Madeleine Herzog. Seit 2014 leitet sie die Fachstelle Kultur beim Kanton Zürich, zuvor war sie neun Jahre lang Leiterin der Kulturförderung der Stadt St.Gallen. Auch sie sass in der Begleitgruppe zur Studie über die Kultursaläre.
«Es wird eine verstärkte Selektion geben»: Madeleine Herzog, Leiterin der Fachstelle Kultur des Kantons Zürich
Und auch sie nimmt die Empfehlungen des Berichts ernst, insbesondere das Prinzip der angemessenen Honorierung und die Reformen hin zu einer «prozessorientierten» Förderungspraxis, die nicht mehr nur auf das fertige Projekt abzielt, sondern den gesamten künstlerischen Prozess von der Recherche und der Vorbereitungsphase bis zum Abschluss und der Vermittlung des Projekts miteinschliesst. «Einem Projekt kommt es immer zugute, wenn mehr Mittel in die Vorbereitung, aber auch in die Diffusion und Distribution fliessen», sagt Herzog. «Es hilft einem Theater, wenn es sein Stück 15 Mal an verschiedenen Orten aufführen kann anstatt nur fünf Mal am selben Ort.»
Der Zürcher Kantonsrat hat im Budget 2023 die Kulturfördermittel seit längerem wieder einmal angehoben, um eine Million Franken. «Es wird allerdings nie und nimmer reichen, um den Status quo angemessen auszufinanzieren», räumt Madeleine Herzog ein. «Es wird auch bei uns eine verstärkte Selektion geben. Gleichzeitig müssen wir die kulturelle Vielfalt hochhalten.»
Keine leichte Aufgabe. Und es zeigt sich: Ein genaueres Controlling kann wohl die finanzielle Situation jener, die an einem geförderten Projekt beteiligt sind, verbessern. Dafür bleiben bei der Förderung künftig mehr Projekte auf der Strecke.
Die Verantwortung des Publikums
Das muss nicht nur schlecht sein, findet Ursula Steinhauser. In der Coronazeit habe sie auch von einigen Kulturschaffenden gehört, wie angenehm es sei, wenn einmal ein bisschen weniger los sei und man nicht immer das Gefühl habe, auch noch etwas «machen zu müssen». Damit bleibe mehr Zeit für den künstlerischen Schaffensprozess.
Die Debatte um die Saläre der Kulturschaffenden, ebenso wie in anderen prekären Branchen wie etwa dem Gastgewerbe, sei keine einfache, sagt Steinhauser. «Es gibt so viele Einflussfaktoren, warum es auch so schwierig ist, ins Handeln zu kommen.» Ihr Appell richtet sich denn auch nicht nur an die Politik, die sich ebenfalls überlegen müsse, wie die Kulturschaffenden sozial besser abgesichert werden könnten. Denn das könne niemals nur Sache der Kulturförderung sein. Eigentlich sei es auch eine Frage des Sozialversicherungssystems. Steinhauser appelliert aber auch nicht nur an die Kulturschaffenden selbst und deren Lobbys, dafür zu sorgen, dass sie gerecht für ihre Arbeit entschädigt werden. Ihr Appell gilt auch dem Publikum.
Wenn von Marktversagen die Rede ist, dann ist das Publikum eben auch Teil des Problems. Man müsse sich beispielsweise an den Konzerten schon fragen, ob der Ticketpreis hoch genug angesetzt sei, um die Musiker:innen und alle, die an der Veranstaltung mitwirken, angemessen zu honorieren. «Klar, eine kulturelle Grundversorgung muss erhalten bleiben, damit auch jene Kultur erleben können, die in finanziell bescheidenen Verhältnissen leben», sagt Ursula Steinhauser. Aber alle, die es sich leisten können, sollten solidarisch sein. Gerade für die kleinen und mittleren Konzertlokale ausserhalb des Klassikbetriebs ist das eine schwierige Ausgangslage, sofern man sich bei der Programmierung nicht der Gefälligkeit und dem Kommerz ausliefern will.