Wirtschaftsförderung per Kulturpreis?
An seinen Verdiensten zweifelt niemand. Martin Leuthold, Creative Director der Jacob Schlaepfer AG, sei «eine prägende Figur des schweizerischen Textildesigns», begründen Kulturkommission und Stadtrat von St.Gallen die Wahl des Preisträgers 2017. In der Verbindung von moderner Technologie mit der 800-jährigen Textil- und Stickereigeschichte der Stadt habe er neue, bahnbrechende Ideen entwickelt und Stoffe geschaffen, mit denen die führenden Modeschöpfer der Welt ihre Kreationen entwerfen.
«Generell hat sich Leuthold mit seinem Knowhow immer wieder mit Museumsleuten, Kunstvermittlerinnen und Kulturschaffenden zusammengetan und so Design-, Textil- und Kunstausstellungen in der Stadt St.Gallen mitgeprägt.» Die Kommission nennt als Beispiel die Ausstellung «St.Gall» 2011 im Textilmuseum. 2013 zeichnete ihn das Bundesamt für Kultur mit dem Swiss Design Award aus, der höchsten nationalen Ehrung in diesem Bereich.
An all den Verdiensten zweifelt auch Etrit Hasler nicht. Dennoch stellt der Autor, Stadt- und Kantonsparlamentarier den Preisentscheid in Frage. «Das ist dicke Post. Zuerst streicht Stadtpräsident Thomas Scheitlin die Kulturpreise zusammen, dann werden sie nicht mehr an Personen aus der Kulturszene, sondern an die Wirtschaft verliehen? Da werde ich am 13. November mein eigenes «Fest» begehen müssen – die Totenwache auf die städtische Kulturpolitik», postete der SP-Politiker auf Facebook.
Kulturschaffende: Leben am Existenzminimum
Auf Nachfrage und in einem weiteren Post präzisiert er: Störend sei für ihn der Preis an einen Mann, der seine künstlerische Tätigkeit im Rahmen einer festen und gut bezahlten Anstellung ausübe. Kulturgelder sollten jedoch Kunstschaffenden zugute kommen, die sie auch materiell nötig hätten. «Das Medianeinkommen der Schweizer Kulturschaffenden beträgt aktuell um die 40’000 Franken, wie ein Studie von Suisse Culture Sociale aufgezeigt hat. Preise dienen neben Ruhm und Ehre auch dazu, den gigantischen Anteil an Gratisarbeit ein bisschen auszugleichen.»
Die Hälfte der Schweizer Kunstschaffenden lebten am Existenzminimum oder darunter – drum legt Hasler dem Preisträger nahe, das Preisgeld weiterzugeben «an Kulturschaffende, die im Unterschied zu ihm wirklich darauf angewiesen sind».
Diese Argumentation ist allerdings ein Minenfeld, das weiss Hasler selber und auch jeder, der schon einmal in einer Jury sass: So prekär die materielle Situation eines Kunstschaffenden sein mag, sie soll oder darf eigentlich keine Rolle spielen beim Entscheid. Zumindest im Einzelfall nicht – generell aber ist unbestritten, dass Werkbeiträge und Preise einen massgeblichen, manchmal existentiellen Teil zum Einkommen von Kunstschaffenden beitragen.
Das sieht auch Stadtpräsident Thomas Scheitlin so: Förderpreise und Werkbeiträge dienten der Unterstützung und Ermutigung der Kunstschaffenden und der Kreation neuer Werke. Bei einem Anerkennungspreis lägen die Dinge aber anders, sagt Scheitlin auf Anfrage. Das Kriterium sei hier die herausragende Leistung und die Verdienste um die Kultur in der Stadt. Für den Stadtrat sei dies im Vordergrund gestanden: Relevanz, Resonanz, Innovationskraft und Professionalität der Tätigkeit des Preisträgers.
Ähnlich sagt es die Präsidentin der städtischen Kulturkommission, Isabelle Chappuis; die Kommission habe die Frage zwar diskutiert, aber den Ausschlag habe das vielfältige Engagement des Preisträgers auch ausserhalb seiner Berufstätigkeit und sein Wirken für die Stadt gegeben.
«Leuthold ist eine prägende Persönlichkeit des Schweizer Textildesigns mit Ausstrahlung weit über St.Gallen hinaus»; die Wahl sei im Stadtrat, der das letzte Wort zu den Vorschlägen der Kulturkommission hat, daher völlig unbestritten gewesen, sagt Scheitlin.
Parallel zum Kultursparen
Hasler stört sich im weiteren daran, dass gleichzeitig Kulturgelder gekürzt würden. Dass die Stadt ihre Preise nur noch alle zwei Jahre ausrichte, bedeute schon eine empfindliche Kürzung der Kulturförderug. «Wenn die Stadt nun dazu übergeht, diese Preise auch noch Personen aus der Wirtschaft zu verteilen, um diesen ein bisschen Zusatz-PR zu verschaffen, können wir gleich ganz aufhören, diese zu verleihen.»
Verleihung: 13. November, 18 Uhr, Palace St.Gallen
Den Zusammenhang will Scheitlin nicht gelten lassen. Werkbeiträge würden wie eh und je jährlich vergeben. Der Anerkennungspreis würdige jedoch, wie auch der alle drei bis vier Jahre vergebene Kulturpreis der Stadt, ein herausragendes Werk und solle auch ein entsprechendes Alleinstellungs-Gewicht haben. Mit dem Preis werde nicht Kulturgeld zur Wirtschaftsförderung «zweckentfremdet», sondern die vielfältige Tätigkeit Leutholds als Vermittler, Ausstellungsmacher und Förderer ausgezeichnet.
Trotz dieser stadträtlichen Einschätzung bewegt sich der Preis in einem problematischen Grenzgebiet. Nicht zum ersten Mal allerdings – vielmehr ist die Überlagerung von Wirtschafts- und Kulturförderung gerade bei der Textilindustrie chronisch. Die führenden St.Galler Unternehmen haben sich immer wieder in Ausstellungen in Szene gesetzt, welche Stadt und Kantone mitfinanzierten: Bei «Bling Bling» 2004 im Landesmuseum Zürich war Martin Leuthold Ko-Kurator, ebenso 2011 in «StGall», der Ausstellung zur Spitzen-Geschichte im Textilmuseum. Für «Secrets», 2008 im Textilmuseum, war Tobias Forster als Projektleiter federführend, das Vorwort zur gleichnamigen Publikation schrieben Regierungsrätin Kathrin Hilber und Wegelin-Bankier Konrad Hummler. Bei «Schnittpunkt» 2006 spielte Akris eine dominierende Rolle; beteiligt an diesem bisher wohl ausgeprägtesten «Joint Venture» von Kultur und Wirtschaft waren Textil- und Kunstmuseum, Kunsthalle und Historisches Museum. Und verständlicherweise rückten sich bei all diesen subventionierten Ausstellungen die beteiligten Firmen ins beste (Kunst-)Licht.
Die «reine» Kunst und die Kulturindustrie
Was die städtischen Anerkennungspreise betrifft: Früher geehrte Personen wie die Erker-Galeristen Franz Larese und Jürg Janett (1996), Buchhändler Louis Ribaux (2000) oder die Galeristinnen Susanna Kulli (2004) und Wilma Lock (2009) spielten ihrerseits eine kulturell-gewerbliche Doppelrolle. Unumstrittene Verdienste hatten sie alle. «Reine» Kunst oder Kulturindustrie? Der Anerkennungspreis 2017 entfacht die Diskussion erneut.
Weniger umstritten dürften die weiteren Preise und Werkbeiträge sein. Einen Förderpreis erhalten Theatermacher und Musiker Michael Finger, Tänzerin Alena Kundela, Organist Bernhard Ruchti und Autorin Claudia Vamvas. Die Werkbeiträge 2017 der Stadt gehen an den Künstler Peter Dew, das Tanzensemble House of Pain, die Sängerin Nathalie Maerten, den Fotografen Jiri Makovec, die Autorin Laura Vogt und den Fotografen Herbert Weber.