«Wir sind Teil der Marktwirtschaft»

Ihre Agentur dreh & angel in Trogen vertritt die erste Garde der Schweizer Slam- und Comedyszene. «Wir zahlen mit jedem Gig AHV- und ALV-Beiträge», sagt Lisa Roth und ärgert sich, wenn Kultur als «nice to have» kleingeredet wird.
Von  Peter Surber
Lisa Roth in der Grabenhalle St.Gallen. (Bild: Hannes Thalmann)

Sie habe «halsbrecherisch viel» zu tun gehabt im Coronajahr 2020, sagt Lisa Roth. Verträge abschliessen – Termine verschieben – Verträge abändern – erneut verschieben – Verträge erneut ändern… und dazu der «Formularkrieg» zur Geltendmachung von Ausfällen. Im Haus «Friedberg» in Trogen, wo Lisa Roth ihre Agentur dreh & angel betreibt und wohnt, ging es im Coronajahr alles andere als geruhsam zu und her.

Die «schwierige Dynamik» in dem Ganzen bestehe darin, dass man einerseits ständig am Warten sei, auf neue Regeln, auf Entscheide der Behörden – und andrerseits direkt und rasant reagieren müsse, wenn es neue Vorgaben gibt. Gleichzeitig auf dem Brems- und auf dem Gaspedal zu stehen: Das ist anstrengend für den individuellen Energiehaushalt. Und es droht den Motor namens Kulturwirtschaft abzuwürgen.

Zu dieser Kulturwirtschaft zählt sich Lisa Roth mit ihrer Agentur sehr explizit – mit Betonung auf «Kultur» wie auf «Wirtschaft». «Wir zahlen mit jedem Gig AHV- und ALV-Beiträge. Wir leisten via Kultur unseren solidarischen Beitrag an die Gesellschaft. Wir sind Teil der Marktwirtschaft. Aber das wird nicht gesehen. Vielen gilt Kultur immer noch bloss als nice to have.» Eine ernsthafte Diskussion um den ökonomischen Stellenwert der Kultur habe ihr in der ganzen Corona-Zeit schmerzlich gefehlt.

Zweimal brach die Hochsaison ab

Dreh & angel ist seit über zehn Jahren in der Branche erfolgreich – in der breiten Öffentlichkeit kennt man allerdings vor allem die Künstlerinnen und Künstler, die von der Agentur vertreten werden. Lara Stoll, Renato Kaiser, Bänz Friedli, Gabriel Vetter, Kilian Ziegler, Etrit Hasler, Martina Hügi und Trampeltier of Love: Die klingenden Namen der Schweizer Slam- und Comedyszene sind bei Lisa Roth unter Vertrag. Von Trogen aus ist sie für Management und Booking verantwortlich, plant Tourneen, verhandelt mit den lokalen Veranstaltern, mit Behörden und Firmenkunden, ist oft vor Ort bei Auftritten, macht Medienarbeit. An der Entwicklung der Programme selber sei sie zwar intensiv, aber nur informativ, im Hintergrund beteiligt.

Spoken Word: Das sei eine «coole Szene», sagt sie, «in der ich mich sehr gern bewege». Und eine, die ausgesprochen vom Livemoment lebt. Digitale Formate könnten interessant sein, weil sie schnell, quasi journalistisch funktionierten – ein Renato Kaiser etwa ist mit seinen Videos omnipräsent in den Sozialen Medien, von der Pandemie hat er sich nicht bremsen lassen. Aber Online könne die Bühne nicht ersetzen, ist Lisa Roth überzeugt. «Comedy lebt von Resonanz und von Emotionen. Und für Emotionen braucht es eine Gemeinschaft. Dann wird ein Abend unvergesslich.» Digitale Formate seien wie ein Druckverband: hilft kurzfristig, aber löst die Probleme nicht.

Entsprechend hart hat die Pandemie die Bühnen getroffen. «Wir arbeiten stark saisonal», sagt Lisa Roth. «Februar bis Mai ist Hochbetrieb, da spielen wir manchmal Abend für Abend. Im Sommer ist Flaute, richtig los geht es wieder im September.» So schlug Corona gleich doppelt zu, im Frühling und im Herbst. Lara Stoll etwa konnte am 25. September noch die Premiere ihres neuen Programms spielen, nach ein paar Vorstellungen war Schluss. Medienpräsenz habe es für sie immerhin dank dem Gewinn des Salzburger Stiers gegeben. Renato Kaiser: dasselbe. Kurz nach dem Start war es aus mit dem Programm «HILFE», das er während des ersten Lockdowns geschrieben hatte. Rund hundert Absagen musste allein Bänz Friedli und sein Programm «Was würde Elvis sagen?» verkraften. Weggefallen ist zudem das ganze «Weihnachtsgeschäft», wie Lisa Roth es nennt: Galas, Firmenanlässe, private Feiern, deren Einnahmen sonst über den flauen Januar hinweghelfen.

Auch in guten Zeiten ohne Versicherung

Zwischen 450 und 550 abendfüllende Gigs organisiert dreh & angel jährlich. Im Coronajahr waren es im Prinzip gleichviele, nur fand eine Mehrzahl davon nicht statt. Für Lisa Roth und ihre zwei festen Mitarbeiterinnen bedeutete das einerseits organisatorische Mehrarbeit (und dies in zwanzig verschiedenen Kantonen, von denen gut föderalistisch jeder ein bisschen anders funktioniert). Und andrerseits musste sie Kurzarbeit beantragen.

Dank den Corona-Notmassnahmen und Kultur-Ausfallentschädigungen konnte sie einen Teil der Verluste kompensieren. Aber genau da steckt für sie der Systemfehler: In der Kulturbranche arbeiten sehr viele Personen in befristeten Arbeitsverhältnissen oder als Selbständigerwerbende. Für diese beiden Gruppen von Erwerbstätigen bestehen gravierende Lücken in den Sozialversicherungen. Lisa Roth plädiert deshalb für eine reguläre Arbeitslosenversicherung für alle Erwerbstätigen, auch für die Selbständigerwerbenden, und damit für ein Auffangsystem, das greift, wenn die Arbeit ausfällt – wie jetzt in der Pandemie.

Was eine weitere zwiespältige Erfahrung war: Für Ausfallentschädigungen musste sie zum Teil mit ihren Kunden «hart fighten». Neben Bühnenauftritten sind Comedians für Schulungen, Seminarien, Konferenzen, GVs höchst gefragt – «weil wir schnell schreiben und reden können», lacht Lisa Roth. Und wird rasch wieder ernst: Manchenorts, selbst bei Behörden, habe das Verständnis dafür gefehlt, dass eine Absage nicht einfach bedeuten könne: kein Auftritt, also kein Honorar. «Wird diese professionelle Arbeit, welche wir auf der Bühne und drumherum leisten, auch als das gewertet, was sie ist?», fragt Lisa Roth.

drehundangel.ch

Je nach Grösse des Anlasses und Arbeitsaufwand werde ein Konferenz-Engagement mit 1500 bis 5000 Franken honoriert. Darin eingeschlossen ist die intensive Vorbereitung und die Präsenz vor Ort, aber auch die Hintergrundarbeit der Agentur und alle Kosten, die bei Selbständigkeit anfallen. Reich werde man in dem Business nicht, sagt Lisa Roth: «Es ist ein Knochenjob, man arbeitet viele viele Stunden für nicht so viel Geld. Das ist aber voll ok.» Sie wolle dabei gar nicht von Idealismus reden, lieber von Betriebswirtschaft. dreh & angel lebt nicht von Kulturförderung, sondern von Ticketeinnahmen und Auftrittshonoraren. «Wir generieren Gelder und schaffen Arbeitsplätze.»

Noch… Was 2021 bringt, sei kaum vorauszusagen. Momentan werde kaum einer ihrer Künstlerinnen und Künstler gebucht, und mancher Anlass sei bereits wieder abgesagt. Dazu gehört auch die für die Branche unverzichtbare Künstlerbörse in Thun. Lisa Roth plant jetzt zusammen mit anderen Künstleragenturen eine Ersatzveranstaltung über zwei Tage im April mit 35 Show-Acts, coronatauglich, dezentral und je nach Virenlage mit oder ohne Publikum.

Raus aus der Freizeitschublade

Denn Austausch: Das sei das A und O ihrer Arbeit. Wenn es jetzt «Gutnachtkultur» heisse, könne darin zwar auch eine Chance liegen. «Wir haben jetzt die Möglichkeit, durchzuatmen und einmal eine ruhige Nacht zu verbringen. Kreativität braucht auch Pausen.» Aber inzwischen könnte die Gesellschaft endlich merken und die Politik ihre Schlüsse ziehen, wie notwendig Kultur ist. Schliesslich, sagt Lisa Roth, gehe Kultur alle an, vom Jodelfreund bis zur Theatergängerin, von den Kindern bis zu den Senioren. Als Unterhaltung, jenes Fach, in dem Kaiser, Stoll, Hasler & Co die Experten sind. Aber ebenso sehr als Wirtschaftszweig, der zu unrecht in die Freizeitschublade gesteckt werde.

Dieser Beitrag erschien im Januarheft von Saiten.