«Wir sind tapfer»
Kürzlich einmal am Sonntag habe er sein Akkordeon genommen, sich auf den Balkon gestellt und ein Stück gespielt fürs Quartier. «Aber es gab nicht viele Reaktionen. St.Gallen ist halt doch nicht Neapel.» Willi Häne sagt es freundlich, nicht gross enttäuscht. Aber man merkt: Die Situation liegt ihm auf dem Magen. Die Corona-Situation. Auf einen Schlag waren alle seine Auftritte gestrichen, sein Instrument aus dem Verkehr gezogen, seine Kunst nicht mehr möglich. «ABGESAGT CORONA» steht auf seiner Website hinter Hänes Terminen.
Im Schnitt seien es etwa sechs Auftritte im Monat, entweder solo als Akkordeonist, zu viert mit seinen Formationen Lido Boys und Fiera Brandella oder beim Theater am Tisch mit den Schauspielern Marcus Schäfer und Diana Dengler. Hinzu kommen Engagements als Theatermusiker. Am Theater St.Gallen hat Häne die Musik zu Stücken von Shakespeare, Beckett oder Tschechow geschaffen, zu Zuckmayers Zirkusstück Katharina Knie und zuletzt zu Schnitzlers Das weite Land. Im Figurentheater war es das Janosch-Stück Oh wie schön ist Panama. Dieses Jahr soll (oder sollte) eine weitere Produktion im Figurentheater hinzukommen, die Bremer Stadtmusikanten. Im Oktober ist (hoffentlich) Premiere, Ende Mai sollten die Proben beginnen. «Wir wären zu viert, das geht gut mit Abstand. Ich bin guter Dinge», sagt Willi Häne.
Wenn der Motor läuft oder stottert
Mit Aufs und Abs hat er Erfahrung – ein bisschen wie die Igel im Stück Das Weltbild der Igel des Theaters am Tisch, mehr dazu hier. Wer freischaffend unterwegs sei, wisse: «Es gibt gute Monate und scheiss Monate.» Monate, in denen der Motor auf Hochtouren läuft. Und solche, in denen es blöd läuft, «Doppelanfragen und dann Doppelabsagen», Monate, in denen nichts klappen will. Das sei die Realität, auch ohne Corona, «da kommt dann aber niemand und will ein Interview», lacht er. 2019 war insgesamt ein gutes Jahr, die Lido Boys spielten am St.Galler Openair, es gab die Theaterengagements, und wenn es in anderen Jahren auch schon schlechter lief, dann gehöre auch das dazu. «Wir sind tapfer.»
Diese Tapferkeit wird jetzt allerdings gerade auf eine harte Probe gestellt, die bisher härteste in seiner Laufbahn. Für Willi Häne, Mitte 50, war im März wie für alle auf einen Schlag Schluss mit Auftritten, es begann die Orgie von Verschiebungen und Absagen; schwierig für ihn, der auch das Management seiner Bands unter sich hat, schwierig darüber hinaus, dass seine Engagements rund zur Hälfte private Anlässe sind, die durch keine Ausfallmassnahmen des Kantons abgedeckt sind. Aber das Allerschwierigste seien «die Anfragen, die jetzt nicht kommen». Mitte Mai, als wir das Gespräch führen, weiss keiner, wie es mit dem Konzertverbot und dem Versammlungsverbot weitergehen wird. Termine für den Herbst, den Winter sollten gesetzt werden, üblicherweise laufe das rund, eins gebe das andere, «aber seit zwei Monaten kommen null Anfragen. Niemand getraut sich, alle warten ab.»
Seine Ausfälle hat Willi Häne bei der Sozialversicherungsanstalt angemeldet. Auch nicht ganz einfach, sagt er mit Blick auf die Corona-Bürokratie. Zwar gebe es vom Bühnenkünstlerverband und anderen Gremien eine Unmenge Ratschläge und Formulare, aber wenn er die dann genau anschaue, stelle er fest: «Das bin gar nicht ich.» Immerhin: Der provisorische Bescheid der SVA sei positiv, die Tagessätze wurden auf der Basis des Vorjahrs berechnet. Aber was an Aufträgen gar nicht hereinkomme, könne er naheliegenderweise nicht ausweisen. Noch treffe ihn das Ganze im Moment nicht existentiell, sagt Willi Häne.
Seine Frau hat ein Einkommen, er selber habe wenig Infrastruktur zu finanzieren, müsse keine Löhne zahlen, sein Instrument ist leichtes Gepäck, seine Fixkosten tief zu halten, sei er gewohnt. «Es kommt nichts herein – aber ich brauche auch wenig».
Schule in Gelassenheit
Was ihn trifft, geht über das Individuelle hinaus ins Grundsätzliche. Typisch dafür war der SVP-Antrag an der Sondersession in Bern, die Soforthilfe für von Corona betroffene Kulturschaffende zu streichen. Den Protestbrief von St.Galler Kulturschaffenden hat er auch unterzeichnet. Einmal mehr werde jetzt in Sachen Coronahilfe kritisiert, Künstler machten bloss «die hohle Hand» beim Staat. Das regt Willi Häne auf. «Wieviel Engagement für wie wenig Lohn die allermeisten Kulturschaffenden investieren, das können sich diese Leute gar nicht vorstellen.» Zum einen sei es bei ihm das erste Mal, dass er überhaupt Unterstützungsbeiträge beanspruche. Zum andern seien unzählige Kolleginnen und Kollegen ebenfalls mit bescheidenen Ansprüchen an die eigene Lebenshaltung unterwegs. «Wer finanzielle Sicherheit sucht, wählt einen anderen Beruf.» Künstlerisch tätig zu sein, sei aus einer materiellen Perspektive gesehen bloss eins: unvernünftig. «Aber wenn Kulturschaffende aufs Geld schauen würden, dann gäbe es keine Kultur.»
Vier Jahre lang hat Willi Häne Strassenmusik gemacht. Eine Schule in Gelassenheit – «wenn es regnet, verdienst Du keinen Rappen.» So könnte auch die Coronakrise zwar «ein Schock» bleiben, aber nicht mehr – dann, wenn sie bald einmal vorbei ist. Wenn nicht, dann allerdings sieht es für ihn und seine Profession düster aus. Finanziell und überhaupt: «Als Musiker braucht man Konzerte. Ich will nicht allein für mich üben, ich vermisse das Auftreten, auch den Applaus.» Zumindest kleinere Feste und Anlässe, hofft Willi Häne, sollen bald wieder möglich sein. «Wenn die Ansteckungszahl abwärts geht, dann geht es für mich aufwärts.»
Dieser Beitrag erschien im Juniheft von Saiten.