, 17. November 2020
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«Wir reden hier von 10 Prozent oder 33 Fussballfeldern»

Mehr Velowege und Bäume, das fordert der Verein umverkehR mit den Stadtklima-Initiativen, die heute in St.Gallen eingereicht wurden. Geschäftsleiter Silas Hobi erklärt, warum es diese braucht.

Silas Hobi, 1985, ist Geschäftsleiter des Vereins umverkehR. (Bilder: co)

Saiten: Heute Morgen habt ihr eure zwei Stadtklima-Initiativen eingereicht, beide mit je rund 1500 Unterschriften. Was ist das Ziel?

Silas Hobi: Wir wollen damit die Ursachen und Folgen des Klimawandels bekämpfen. Die «Initiative für ein gesundes Stadtklima» will, dass mehr Strassenfläche in Grünfläche umgewandelt wird, insbesondere mit Bäumen. Indem sie Schatten spenden und Wasser verdunsten, helfen sie bei einem Hitzesommer massgeblich dabei, die Temperatur in der Stadt zu reduzieren. Lokal erreicht man so Temperaturunterschiede von bis zu zehn Grad.

Unterstützt werden die Stadtklima-Initiativen in St.Gallen von SP und Juso, Grünen und Jungen Grünen, der Politischen Frauengruppe PFG, von VCS, WWF und der IP Schweiz.

Mit der «Initiative für eine zukunftsfähige Mobilität» sollen Teile der Strassenfläche in Fläche für Fuss-, Velo- und den öffentlichen Verkehr umgewandelt werden. So können wir direkt bei den Ursachen des Klimawandels ansetzen, denn der motorisierte Individualverkehr ist immer noch einer der grössten CO2-Emittenten. Wenn uns die Verlagerung vom Autoverkehr aufs Velo oder den Bus gelingt, können wir ganz konkret CO2-Emissionen reduzieren.

0,5 Prozent der Strassenfläche sollen jährlich in Grünflächen bzw. Fläche für Fuss-, Velo- und öffentlichen Verkehr umgewandelt werden. Ist das nicht zu wenig?

Wir reden hier von einem Prozent pro Jahr für beide Initiativen, während zehn Jahren, also am Schluss zehn Prozent oder etwa 33 Fussballplätze. Das mag nach wenig tönen, ist aber bewusst so gewählt. Wir wollten keine Maximalforderung stellen, sondern eine mehrheitsfähige Initiative gewinnen. Es gibt schon jetzt heftige Kritik von Gegnerinnen und Gegnern, die befürchten, dass wir den Autoverkehr grundsätzlich aus der Stadt verbannen wollen, aber das ist nicht der Fall, da wir ja «nur» zehn Prozent der Strassenfläche umgestalten wollen. Es wird also nach wie vor Platz für Autos geben in der Stadt.

Was ist denn mit «Strassenfläche» konkret gemeint?

Dazu gehören alle Strassen in der Stadt, auch die Kantonsstrassen. Gemeint ist aber der Raum von Fassade zu Fassade. Dazu gehören auch die Trottoirs, Velowege und Busspuren. Effektiv umgewandelt werden kann allerdings nur die Fahrbahn für den motorisierten Individualverkehr. Gerade in kleineren Quartieren und Strassen wird so das Stadtbild massgeblich verändert – zum Positiven! Die Anwohnerinnen und Anwohner erhalten einen wertvollen Raum mit hoher Aufenthaltsattraktivität und wenig Durchgangsverkehr zurück. Das soll im Zentrum stehen.

Franziska Ryser und Markus Mauchle von den Grünen deponieren die Unterschriften im St.Galler Rathaus.

Wie wollt ihr sicherstellen, dass diese Umwandlung auch in den richtigen Ecken der Stadt geschieht und nicht irgendwo an der Peripherie?

Wir haben Vertrauen in die Stadtverwaltung und wollen ihr auch einen gewissen Spielraum lassen, darum haben wir bewusst auf örtliche Einschränkungen verzichtet. Zudem wissen die Behörden am besten, wo in den nächsten Jahren welche Strassen saniert werden, und darauf zielen unsere Initiativen ja auch ab: dass die Umwandlung im Zuge laufender Sanierungen oder Unterhaltsarbeiten geschieht, um die Kosten tief zu halten.

Die Stadtklima-Initiativen sind in mehreren Schweizer Städten geplant. Wie ist das Echo bisher?

Corona hat uns leider einen Strich durch die Rechnung gemacht, bis jetzt sind wir nebst St.Gallen erst in Basel am Werk. Das Sammeln läuft gut, das Echo ist zwar noch nicht enorm, aber die Berichterstattung überwiegend positiv. Der Handlungsbedarf wurde erkannt. Gerade in Bezug auf die Hitzeproblematik machen sich verschiedene städtische Behörden bereits seit längerem Gedanken, auch der Bund hat vor zwei Jahren einen umfassenden Bericht dazu publiziert. Unsere Initiativen kommen, denke ich, zum richtigen Zeitpunkt.

Die Autolobby ist stark in St.Gallen. Mit welchen Argumenten wollt ihr die knacken?

Dass es Widerstand geben wird, ist uns klar. Die Stadt St.Gallen hat sich jedoch bereits vor zehn Jahren mit unserer Städte-Initiative klar für ein Reglement zur nachhaltigen Verkehrsentwicklung ausgesprochen. Die Autolobby wollte dieses 2018 mit der sogenannten «Mobilitätsinitiative» wieder abschaffen – und ist damit klar gescheitert. Es haben sich sogar noch mehr Stimmberechtigte als schon 2010 für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung ausgesprochen. Darum bin ich zuversichtlich, dass wir mit unseren Stadtklima-Initiativen eine Mehrheit in der Bevölkerung schaffen können. Und nicht zuletzt hat die Klimabewegung im vergangenen Jahr für eine zusätzliche Sensibilisierung gesorgt.

Aber reichen denn mehr Bäume und Velowege im Kampf gegen den Klimawandel?

Nein, natürlich nicht, aber es ist ein Anfang. Wir wollen ja nicht nur Velowege und Bäume, sondern Strasseninfrastruktur zurückbauen und wieder anderen Nutzungen zugänglich machen. Es geht uns nämlich nicht nur um den Klimawandel, sondern auch um die grundsätzliche Lebensqualität in der Stadt. Der Raum in einer Stadt soll so gestaltet sein, dass sich die Anwohnerinnen und Anwohner wohl fühlen in ihrer Umgebung, dass das Quartierleben aufblühen kann.

Wenn ihr wählen könntet: Welches sind die neuralgischen Punkte, wo man den Hebel zuerst ansetzen sollte?

Konkrete «Baustellen» kann ich nicht nennen, viel eher sind wir der Meinung, dass die Massnahmen flächendeckend in der ganzen Stadt umgesetzt werden müssten. Was uns besonders freuen würde, wäre, wenn der Kanton ebenfalls Hand böte für pragmatische Lösungen. Gerade die sehr stark befahrenen Strassen sind oft in der Hoheit des Kantons, da kann die Stadt nicht im Alleingang Velo- oder Busspuren oder Baumreihen planen. Dafür braucht es alle.

Silas Hobi, 1985, ist Geschäftsleiter des Vereins umverkehR, der sich seit 1992 für eine zukunftsfähige Mobilität einsetzt.

umverkehr.ch

 

1 Kommentar zu «Wir reden hier von 10 Prozent oder 33 Fussballfeldern»

  • Marcel Baur sagt:

    Der Weg ist richtig, die absoluten Vorgaben sind falsch. Ich erinnere gerne an politische Spielereien, als die SP den Grünliberalen die Unterstützung im Stadtparlament verweigerte, als sie die Aufsplittung von Strassensanierung en gefordert hatten. Dies war einzig und alleine dem Wahlkampf und der Positionierung ihrer Velo-Initiative geschuldet.
    Es macht mich sauer, wenn aus strategischen Gründen das Ziel nicht erreicht werden kann.
    Die Initiative ist ok, aber lasst die politischen Spielereien weg, dann erreichen wir das auch.

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