«Wir brauchen einen Kulturtag»
Seit zehn Jahren vermittelt kklick kulturelle Bildungsangebote an die öffentlichen Schulen in den Kantonen St.Gallen, Thurgau, Appenzell Ausserrhoden und Glarus. Es gibt über 300 Angebote. Warum es trotzdem noch viel zu tun gibt, erklären Kati Michalk und Richi Küttel im Interview.
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Saiten: Woher kommt der Name kklick?
Richi Küttel: Das war das Ergebnis eines intensiven Prozesses mit den Amtsleitungen und Kulturkommissionen von drei Kantonen. Der Name «kklick» signalisiert: Mit einem Klick zur Kultur – also die Möglichkeit, auf einer Webseite einfach und direkt ein kulturelles Angebot zu buchen.
Ein Zehn-Jahre-Jubiläum ist eine Gelegenheit für einen Rückblick. Was war euer persönliches Highlight?
RK: Dass man es überhaupt geschafft hat, drei Kantone und später auch noch einen vierten unter einen Hut zu bringen. Die unterschiedlichen Verwaltungs- und Förderstrukturen sind herausfordernd. Aber dieser interkantonale Zusammenschluss in Sachen «Kultur und Schule» ist einzigartig in der Schweiz und hat auch eine Ausstrahlung.
Kati Michalk: Mir kommt zuerst etwas Aktuelles in den Sinn. Seit August gibt es die «Freifahrt Kultur» im Kanton St.Gallen. Damit können Schulklassen zweimal im Jahr gratis zu einem Ort der Kultur fahren. Das ist ein Meilenstein, weil kulturelle Bildung oft an den Finanzen scheitert. Ein Highlight war für mich ausserdem, wie wir die Corona-Pandemie gemeistert haben. Als die Schulen nicht mehr ins Museum durften, haben wir ihnen schnell Alternativen angeboten, die mit den Schutzkonzepten vereinbar waren. Im Rückblick hat die Pandemie zu keinem Einbruch geführt.
Kati Michalk, 1981, hat Medienmanagement studiert und für verschiedene Filmfestivals gearbeitet. 2011 bis 2017 war sie Geschäftsführerin der Lokremise, seither ist sie Co-Geschäftsführerin und Mitinhaberin der Wirkpunkt GmbH, die u.a. im Auftrag der Kantone die Plattform kklick betreibt.
Richi Küttel, 1973, ehemaliger Bankkundenberater und dipl. Organisator, ist Kulturvermittler, Texter, Slammer und Spoken-Word-Poet. 2010 gründete er die Wirkpunkt GmbH, die er inzwischen mit Kati Michalk führt. 2014 war er beteiligt an der Konzeption und Lancierung von kklick.
RK: In die Kategorie Highlight gehört auch, dass wir praktisch zeitgleich mit der Einführung des Lehrplans 21 für alle unsere Angebote hinterlegt haben, welche Lehrplankompetenz damit unterstützt wird. Das hat bei den Schulen das Bewusstsein gefördert, dass Kultur Bildung ist.
Ihr befindet euch an der Schnittstelle von Kultur und Schule. Stimmt der Eindruck, dass euer Angebot den Kulturschaffenden ein grösseres Anliegen ist als den Schulen?
RK: Ja, und das ist völlig natürlich. Die Schule hat noch ganz viele andere Themen. Eine Museumsleiterin kann sich auf ihre Kunst konzentrieren. Eine Lehrperson hingegen muss noch den Sporttag und die Veloprüfung organisieren, ukrainische Kinder integrieren und den ganzen Lehrplan durchpauken. Momentan ist die Stimmung an den Schulen recht angespannt, man spürt den Personalmangel.
KM: Wir sind ja auch bei den Ämtern für Kultur angesiedelt. Ihnen ist es wichtig, dass man den Kulturschaffenden und -institutionen über kklick Präsenz geben und so in den Schulen das Thema stärken kann. Und die Botschaft kommt an. Es gibt inzwischen in vielen Schulen neben den Kopierer- und den IT-Verantwortlichen auch Kulturverantwortliche. Wir laden sie regelmässig zu Netzwerktreffen ein für einen direkten Austausch mit den Kulturschaffenden. Da spüren wir viel Engagement bei den Lehrpersonen.
Ihr arbeitet mit Kulturverantwortlichen an den Schulen und auch mit Kulturagent:innen, die Projekte in Schulen umsetzen. Muss man die Kultur in die Schulen einschleusen?
KM: Ob kulturelle Bildung stattfindet, hängt von den einzelnen Lehrpersonen ab. Darum ist es uns wichtig, mit konkreten Ansprechpersonen eine Identifikation zu schaffen. Unser Ansatz von unten her ist zudem im föderalen System begründet. Der Kanton kann den Schulgemeinden keine Vorschriften machen.
RK: Für mich ist die Zurückhaltung auch eine Frage der Sicherheit der Lehrpersonen. Sie lernen im Studium, eine Lektion auf die Minute genau zu planen. Aber wenn sie mit ihrer Klasse ein Theaterstück entwickeln, ist das ergebnisoffen. Das muss man wollen und aushalten. Und dann gibt es einen Legitimationsdruck. Die Lehrpersonen müssen gegenüber dem Schulrat, den Eltern, der Wirtschaft begründen, warum sie mit den Kindern Theater spielen. Was bringt das? Werden die Kinder so fit für den Arbeitsmarkt? Es gibt Studien, die zeigen, dass kulturelle Bildung förderlich ist. Aber man kann keine 1:1-Beziehung herstellen zwischen Theater und Dreisatz, die Wirkung von Kultur ist nicht unmittelbar. Also wählen die Lehrpersonen im Zweifel vielleicht das Sichere.
KM: Weil die persönliche Haltung so wichtig ist, setzen wir auch stark bei der Ausbildung an und arbeiten dafür mit den Pädagogischen Hochschulen in St.Gallen und im Thurgau zusammen. Wir möchten, dass die angehenden Lehrpersonen schon während des Studiums selber eine Erfahrung mit Kultur machen. In der Hoffnung, dass sie das im Schulalltag dann auch weiterleben.
Ihr habt in den letzten zehn Jahren rund 180’000 Kinder und Jugendliche erreicht. Das klingt nach viel. Allein im Kanton St.Gallen gibt es aber über 60’000 Schüler:innen. Sollte nicht jedes Kind einmal pro Jahr mit Kultur in Berührung kommen?
RK: Um es mal anschaulich zu formulieren, könnte so eine Vision lauten: Jedes Jahr gibt es an den Schulen einen Kulturtag – analog zum Sporttag. Bei einer Abschaffung des Sporttags würde die Sportlobby Sturm laufen und vor einer Verfettung der Bevölkerung warnen. Genauso brauchen wir einen Kulturtag für die Fitness des Gehirns und des Sozialverhaltens.
KM: Die Zahl entspricht aber auch nicht dem Gesamtbild. Manche buchen direkt bei den Anbietenden oder Schulen initiieren eigene Projekte. Es passiert also viel, von dem wir nichts erfahren. Wichtig ist, dass wir das Thema in den letzten Jahren über kklick gezielt und gebündelt setzen und stärken konnten. Darauf können wir aufbauen.
Wie sieht es denn auf der Seite der Kulturschaffenden aus: Werdet ihr überhäuft mit Angeboten oder müsst ihr suchen?
KM: Wir haben genug Angebote und es kommen auch immer wieder neue dazu, zuletzt das Museum Bickel oder das Alte Bad Pfäfers. Da haben wir begleitet und motiviert. Manchmal müssen wir Geburtshilfe leisten, damit ein Angebot so aufbereitet wird, dass es auf der Plattform ausgeschrieben werden kann.
RK: In seltenen Fällen fragen wir Kulturschaffende an, ein Angebot auszuschreiben. Vor allem, wenn etwas fehlt. Zum Beispiel haben wir für einen Rap-Workshop gezielt jemanden aus der Region gesucht. Was wir am häufigsten ablehnen, sind Theater von ausserhalb der Ostschweiz. Und bei den Ortsmuseen sind wir als kantonales Projekt auch zurückhaltend. Aktuell sind über 300 Angebote online, das reicht eigentlich. Aber natürlich zeigen wir auch gern die Vielfalt der Möglichkeiten.
kklick steht dafür ein, dass die Angebote qualitativ gut sind. Welches sind eure Qualitätskriterien?
KM: Die Angebote müssen einen Vermittlungsaspekt, also einen interaktiven oder partizipativen Charakter haben. Die Schülerinnen und Schüler sollen einbezogen sein. Ein reiner Theaterbesuch wird nicht auf kklick aufgeschaltet. Es muss zum Beispiel die Möglichkeit geben für ein Gespräch im Anschluss oder es müssen Materialien für eine Vertiefung im Unterricht bereitgestellt werden. Es ist extrem wichtig, dass Kinder und Jugendliche ihre Eindrücke formulieren können und zuhören, wie andere das erlebt haben.
RK: Kulturelle Teilhabe ist die Grundidee von kklick. Die Schule ist das letzte Feld, in dem noch alle sozialen Schichten zusammenkommen. Hier können wir alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrer Herkunft erreichen.
KM: Qualitätssicherung bedeutet oft auch Kommunikationsberatung. Eine Lehrperson im Zyklus 1 fühlt sich für ihre 1. Klasse von einem Angebot, das im Kunstjargon beschrieben ist, vermutlich eher nicht so angesprochen. Oder wenn jemand ein Angebot für Kindergarten bis 12. Schuljahr ausschreibt, dann ist es uns oft zu unspezifisch und wir empfehlen klarer herauszustellen, was die Lehrpersonen inhaltlich für welche Altersstufe erwartet.
Mit dem Label «kklick spezial» vergünstigt ihr einige Projekte zusätzlich um bis zu 50 Prozent.
KM: Das ist eine Fördermassnahme für Kulturschaffende. Die grossen Institutionen haben Leistungsvereinbarungen und eine Vermittlung im Haus. Entsprechend sind ihre Konditionen für Workshops ganz andere als jene von Freischaffenden. Wenn drei Schauspieler:innen einen ganzen Tag vor Ort sind und mit den Schüler:innen arbeiten, dann wird es schnell teuer. Das Label vergünstigt solche Angebote und schafft einen finanziellen Anreiz für die Schulen.
Ein Jubiläum ist ja auch eine Gelegenheit, um nach vorne zu blicken: Was wäre euer Traum?
KM: Es wurde schon gesagt: Jedes Kind kommt einmal pro Schuljahr mit Kultur in Berührung. Das wäre ein messbares Ziel.
RK: Kultur ist Bildung. Es ist nicht «noch nett», eine Autorin oder einen Musiker in die Klasse einzuladen oder vor Weihnachten einen Film zu schauen. Kultur ist nichts Besonderes, Kultur soll selbstverständlich sein. Wenn die Kultur den Stellenwert des Sports erreicht, dann haben wir unseren Job gemacht.