«Wir alle sind Afrin»

Am Dienstag hat das Demokratische Gesellschaftsszentrum der Kurdinnen und Kurden in St.Gallen zur Demo gegen Ergogan und für Rojava aufgerufen. Hier der Kommentar von einem der Demonstranten.
Von  Gastbeitrag
Bilder: co

Es ist mittlerweile der 53. Tag des Angriffs der Türkei auf die Region Afrin – und seit wenigen Tagen auch auf die Stadt mit gleichem Namen. Afrin ist einer der drei befreiten Kantone in Nordsyrien. In diesen Gebieten versuchen verschiedenste Menschen miteinander in Gleichberechtigung zu leben, in Solidarität, in Gemeinschaft und gegenseitiger Hilfe.

Ihre Wirtschaft basiert auf ihren eigenen Bedürfnissen und nicht auf denjenigen des Geldes. Es sind muslimische Menschen, christliche Menschen und christlich-orthodoxe Menschen. Es sind kurdische Menschen, arabische Menschen, jesidische Menschen, assyrische Menschen und solidarische Menschen aus der ganzen Welt.

Nun greift die Türkei zusammen mit ehemaligen IS- und Al-Nusra-Kämpfern eben diese Menschen an. Es ist auch ein gezielter Angriff auf die Nicht-kämpfenden. So intelligente Bomben und Granaten gibt es nicht, dass sie den ZivilistInnen einen Blumenstrauss in die Hand drücken würden, machen wir uns da nichts vor.

Das Bild wurde aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes bearbeitet.

Und Erdogan tut dies nicht NUR wegen der Herkunft oder Kulturen dieser Menschen. Natürlich ist es ihm und seinen Anhängern eines türkischen Nationalismus äusserst wichtig einen nationalistischen, einen türkischen, einen islamischen Einheitsstaat durchzusetzen.

Und natürlich stehen alle Menschen, die nicht in dieses Schema passen und die für ihre eigene Identitäten kämpfen, dieser schrecklichen Vision im Weg.

Und natürlich sind diesen – je nach Definition bereits faschistischen oder eben noch ultranationalistischen – Fanatikern gerade die schon so lange aufständischen Kurden ein Dorn im Auge.

Nicht umsonst wurden seit 2015 in der Osttürkei Städte wie Diyarbak(i)r, Nusaybin und Cizre von türkischen paramilitärischen Einheiten plattgemacht.

Und auch damals schon war die Rede davon, dass in den Angriffstrupps bärtige Männer waren, die arabisch sprachen.

Und auch damals schon waren die Angriffe äusserst brutal und mitnichten auf sogenannten Kämpfer oder sogenannte Terroristen beschränkt.

Und auch heute greift diese Allianz nicht nur die KurdInnen als Ethnie oder Volk oder so an.

Sie greift die befreiten Gebiete in Nordsyrien an, weil sie eben befreit sind. Befreit von den unterdrückenden Mechanismen des Kapitalismus, befreit vom Patriarchat und befreit von der Vorstellung, dass einige wenige allen anderen sagen können, was sie tun sollen und was nicht.

Und selbst wenn all diese Befreiungen noch nicht vollzogen sind, so wagen die Menschen in Nordsyrien doch dieses Experiment und VERSUCHEN ihre Fesseln abzulegen.

Dies ist wohl auch der Grund, warum die ganze Welt die Augen verschliesst vor diesem Massaker. Oder kann sich irgendjemand unter euch vorstellen, dass die USA oder Russland diese freiheitlichen Bestrebungen, die nicht zu Geld gemacht werden können, unterstützen will?

Ich nicht.

Was lässt sich nun aber tun gegen diesen mindestens ultranationalistischen Angriff von Seiten der Türkei und ihrer Helfershelfer?

Nun, die Antwort darauf ist schwierig. Natürlich ist es wichtig, auf die Strasse zu gehen und zu demonstrieren. Vielleicht können wir tatsächlich internationalen Druck erzeugen, auch wenn wir keine oder kaum wirtschaftliche Macht haben. Aber am Wichtigsten ist es, dass wir zusammenkommen, dass wir uns kennenlernen, dass wir Verbindungen knüpfen und dass wir uns dadurch vielleicht auch etwas weniger verloren und einsam fühlen im Kampf um eine bessere Welt.

Es ist von allergrösster Wichtigkeit, dass wir endlich aufhören von einem kurdischen Befreiungskampf oder der kurdischen Sache zu sprechen.Wir müssen verstehen, dass die Menschen in den befreiten Gebieten Nordsyriens auch unsere Werte leben und verteidigen. Und der Kampf um eine lebenswerte Zukunft findet überall statt und seit es Unterdrückung gibt:

  • in der Black lives matter Bewegung
  • in den Kämpfen der Indigenen in Nordamerika gegen den Pipelinebau
  • am G20-Gipfel in Hamburg
  • beim Landesstreik, der in der Schweiz vor genau 100 Jahren stattgefunden hat
  • an der Frauendemo zum internationalen FrauenKAMPFtag in Zürich – und anderswo
  • und ja, irgendwie auch im Abwehrkampf gegen No-Billag-Initiative

 

All dies dürfen wir nicht vergessen!

Und darum: Wir alle sind Afrin!

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