Wie wir rocken wollen: Tocotronic in der Poolbar

Zwanzig Jahre Poolbar-Festival, zwanzig Jahre Tocotronic: In Feldkirch kam zusammen, was zusammengehört. Neben Songs aus dem neuen Album „Wie wir leben wollen“ spielten die Hamburger eine Auswahl ihrer Hits mit Mitgröl-Faktor. Der Bericht von Thorsten Bayer.

Von  Gastbeitrag

Heute wandeln sie nicht „Auf dem Pfad der Dämmerung“. Dass Tocotronic auf die erste Auskopplung des neuen Albums verzichtet, überrascht zwar etwas, schmälert aber nicht den positiven Eindruck dieses Konzerts. Genügend Material haben sie zweifelsfrei zur Auswahl: Seit „Digital ist besser“ (1996) haben sie zehn Studioalben aneinandergereiht, seit „K.O.O.K“ (1999) sind sie jedes Mal in den Top Ten der deutschen Albumcharts gelandet. Dirk von Lowtzow (Gesang und Gitarre), Bassist Jan Müller, Drummer Arne Zank und – seit 2004 – Rick McPhail (Gitarre/Keyboard) haben erfolgreich das Image einer unangepassten Band mit intelligenten Texten kultiviert.

Rock im Gartenbau

Selbstironie ist eine Haltung, die sich die Musiker bewahrt haben. Das wird auch im Alten Hallenbad Feldkirch deutlich. Zur Ankündigung des neuen Stückes „Ich will für dich nüchtern bleiben“ prostet von Lowtzow demonstrativ dem johlenden Publikum zu. Wer hier beispielsweise „Let there be rock“ zum ersten Mal hört, wird seine liebe Mühe haben, den martialischen Titel und die folgenden Textzeilen in Einklang zu bringen: „Die Ausbeutung des Menschen / Erreicht eine neue Qualität / Und wie man allerorten hört / Wird die Gartenbaukunst hier noch gerne gepflegt.“

Mit intelligenten Texten und politischem Engagement, unter anderem gegen Faschismus und Nationalismus, haben sich die vier in Deutschland den Status einer ernstzunehmenden intellektuellen Stimme erarbeitet. Die Musiker wissen um diese Rolle – und nehmen sie auch hie und da augenzwinkernd wahr. „Wie so oft spielen wir einen Protestsong“, sagt von Lowtzow nach zwanzig Minuten des Konzerts mit einem Lächeln und stimmt die ersten Takte von „Abschaffen“ an. Der neue Song ist nicht der einzige dieses Abends, der in diese Kategorie passt: „Aber hier leben, nein danke“ und in gewisser Weise auch „Kapitulation“ tun es ebenso.

Unter Strom

Live kommen Tocotronic überhaupt nicht als vergeistige Avantgardisten rüber, sondern ganz im Gegenteil als handfeste Indie-Rock-Band. Diskurs hin oder her – ihre Qualitäten als mitreissende Musiker auf der Bühne stehen klar im Vordergrund. Sie wissen, wie sie ihr Publikum kriegen. Besonders Dirk von Lowtzow steht von Anfang an unter Strom, wirbelt über die Bühne und lässt seine ergraute Mähne fliegen. So geschliffen die Texte sind, der Sound ist häufig rotzig und roh. Zum Glück. Musikalische Raffinesse ist nie die Stärke dieses Quartetts gewesen. Dafür sind ihre Songs nicht selten Hymnen mit hohem Mitgröl-Faktor, etwa „Drüben auf dem Hügel“, „Hi Freaks“ oder „Freiburg“. Mit „Kapitulation“, der letzten von vier Zugaben, endet ein energiegeladenes Konzert.

(Bild: Matthias Rhomberg)