What about human beings?

Die grosse Solidarität mit den Tieren im thurgauischen Hefenhofen ist erfreulich, hinterlässt aber auch ein «Gschmäckle» – ein Kommentar.
Von  Corinne Riedener
«Pferde sollten so gehalten werden, dass sowohl der Mensch als auch das Tier Freude an der gemeinsamen Arbeit haben.» Kaylee Pfister im Märzheft von Saiten. (Bild: Ladina Bischof)

Es war allerhöchste Zeit, dass dem Thurgauer Pferdehändler, der über Jahre hinweg Tiere auf seinem Hof in Hefenhofen verhungern und verwesen liess, endlich das Handwerk gelegt wird. Aktivisten forderten schon seit Jahren ein Tierhalteverbot für den Vorbestraften, auch den Behörden war der Mann durchaus bekannt.

Als letzte Woche Bilder von toten, herumliegenden und bis auf die Rippen abgemagerten Tieren publik wurden – eine ehemalige Mitarbeiterin hatte die Zustände auf dem Hof über sechs Monate hinweg dokumentiert und kürzlich Strafanzeige eingereicht –, erlangte der Fall nationale Relevanz.

«Fast nicht auszuhalten, die Vorstellung»

Eine Welle der Empörung rollte über die Ostschweiz und über diese hinaus – Kerzen wurden aufgestellt. Auch in den Sozialen Medien fand man klare Worte: «Es ist fast nicht auszuhalten, die Vorstellung, wie viele Tiere so elend leiden mussten», las man etwa in der Facebook-Kommentarspalte von «FM1today». Oder: «Nehmt die Tiere ernst und deren Bedürfnisse. Das sind Lebewesen, die auf Menschen mit Herz und Verstand angewiesen sind.»

Weder die Behörden noch sonst jemand habe reagiert, obwohl man sich dem Elend längst bewusst gewesen sei, so der Tenor. Vergangenes Wochenende versammelten sich darum etliche Tierschützerinnen und Tierschützer aus gefühlt der halben Schweiz in Hefenhofen zur Mahnwache und belagerten den Hof mehrere Tage lang, bis der Pferdehändler am Montag schliesslich in Gewahrsam genommen wurde. Mittlerweile ist er fürsorgerisch untergebracht. Das Gelände wurde geräumt und mehrere hundert Tiere evakuiert.

So weit, so erfreulich oder, besser gesagt, überfällig. Beim Lesen der Zeitungen und Kommentare machte sich dennoch ein gewisses Unbehagen breit. Sicher, der Kampf für das Wohl der Tiere ist löblich und selbstverständlich zu unterstützen, aber angesichts der laufenden Grillsaison und vor allem der Zustände im Mittelmeer und anderswo ist die grosse hiesige Solidarität mit Pferd & Co. doch einigermassen irritierend.

«Dieselben wünschen sich 2 Einträge weiter unten, dass alle Flüchtlingsboote absaufen»

Seit 1988 starben an Europas Grenzen mindestens 27’382 Menschen, schrieb der Aktivist Gabriele Del Grande Anfang 2016 in seinem Blog fortresseurope.blogspot.ch, mehr als 8000 davon in den Jahren 2014 und 2015. Das Sterben hat seither nicht aufgehört – und wird es auch nicht, solange Europa und andere Regionen dieser Welt die Migration weiterhin selbstgerecht kriminalisieren.

Man soll nicht verallgemeinern, schon klar. Trotzdem drängt sich die Frage auf, wie es sein kann, dass hunderte Tierschützer- und Aktivistinnen ins Thurgau pilgern, während an Europas Grenzen und andern Orten dieser Welt jeden Tag Menschen im Stillen verrecken, ersaufen, verhungern oder schlicht am System kaputtgehen, also genauso «elend leiden müssen» und «Lebewesen sind, die auf Menschen mit Herz und Verstand angewiesen» wären.

Ähnliches dachte sich auch Netzaktivistin Jolanda Spiess-Hegglin. Am 6. August postete sie auf Facebook: «Ein Blick in die Filterblase meines Zweitaccounts zeigt mir: Dieselben Menschen, welche beim mutmasslichen Tierquäler in Amriswil protestieren, wünschen sich 2 Einträge weiter unten, dass alle Flüchtlingsboote absaufen. Tja.»

Ein Blick in die Filterblase meines Zweitaccounts zeigt mir:

Dieselben Menschen, welche beim mutmasslichen Tierquäler…

Posted by Jolanda Spiess-Hegglin on Sonntag, 6. August 2017

 

(((Dieser Absatz musste aufgrund einer superprovisorischen richterlichen Verfügung, angestrengt durch Erwin Kessler, dem Präsident des Vereins gegen Tierfabriken (VGT), gelöscht werden.)))

Lieber abhängige Tiere als abkratzende Menschen

Es geht hierbei weniger um Whataboutism als um den begründeten Verdacht – man schaue sich bitte einige Facebook-Profile von denen, die da protestiert haben gegen den Hof in Hefenhofen, genauer an –, dass Xenophobe und Rassisten sich eben doch lieber um Tiere kümmern als um ihre Mitmenschen. Tiere, die sie bevorzugt bei sich zuhause halten, die sprachlos und restlos abhängig sind von ihren Besitzern, aber sie jeden Abend freudig begrüssen und umschmeicheln, ungeachtet ihrer politischen Einstellung.

Kurz gesagt: Wäre die Empörung über all die ertrunkenen, unsichtbaren und alleingelassenen Migrantinnen und Migranten, die von Europa und vielen anderen ignoriert werden, nur halb so gross wie jene über die verwahrlosten und verhungerten Tiere in Hefenhofen, würde sich in Sachen Migrationspolitik hierzulande vermutlich einiges zum Positiven verändern.