Der Bucheli mit dem Zwiebeldach

Sie ist bei den Wettervorhersagen genau so zuverlässig wie SRF Meteo. Nur, sie stammt aus einer anderen Zeit und ist eine der letzten ihrer Art: Die Wettersäule beim Pärkli an der St.Galler Poststrasse ist in diesem Jahr wahrscheinlich 100 Jahre alt geworden.  
Von  Harry Rosenbaum

Wird es bald regnen, oder bleibt es trocken? Das ist in unseren Breiten die wohl wichtigste Wetterfrage. Bei der Beantwortung spielt die Luftfeuchtigkeit eine nicht unwesentliche Rolle. Im pittoresken Häuschen an der Poststrasse wird sie angezeigt. Wie aber misst der St.Galler Hygrometer diesen Wert? «Mit integrierten Menschenhaaren», sagt Karl Vögeli. «Blondes Haar eignet sich dabei besser als dunkles, weil es dehnbarer ist».

Haarige Technik

Wettersäulen-Spezialist Vögeli betreibt in Degersheim eine Werkstatt für die Restaurierung der Thermohygroskopen und Wettertelegraphen. Bei Revisionen werden die Haare im Ultraschallbad gereinigt, und wenn sie nicht brüchig sind, können sie wie im St. Galler Fall wieder eingesetzt werden.

Wettersäulen wurden fast ausschliesslich von der deutschen Firma Wilhelm Lambrecht in Göttingen gebaut. In der Broschüre «Lambrecht’s Thermohygroskop und Wettertelegraph» wird das Messen der Luftfeuchtigkeit so beschrieben: «Das Thermohygroskop ist die Verbindung eines thermoskopischen und eines hygroskopischen Elementes in der Art, dass ein einziger Zeiger die Schwankungen, sei es der sogenannten relativen Feuchtigkeit, sei es der absoluten Feuchtigkeit durch das Zusammenwirken von Wärme und Feuchtigkeit zur Anschauung bringt.»

wetter2Die St.Galler Wettersäule dürfte in diesem Jahr mindestens 100 sein. Wann sie genau aufgestellt worden ist, lässt sich nicht belegen. Sicher ist, dass sie zwischen 1900 und 1915 bei Lambrecht in Auftrag gegeben wurde. Die Wettersäulen wurden häufig als Touristeninformation in Kurorten aufgestellt, fanden aber auch in den Städten und in der Landwirtschaft grosse Beachtung. Ursprünglich gab es in St.Gallen drei Wettersäulen. Sie wurden wahrscheinlich vom Fremdenverkehrsverein eingerichtet. Die letzte verbliebene Station, die auch schon als «Bucheli mit Zwiebeldach» bezeichnet worden ist, befindet sich heute im Besitz der Stadt und wird vom Strasseninspektorat betreut.

Populär trotz Internet

Vögeli hat 2011 die Wettersäule an der Poststrasse restauriert. Der originale Barometer, Thermometer und Feuchtigkeitsmesser waren noch funktionstüchtig und mussten lediglich gereinigt und kalibriert werden. Ersetzt wurde der Metograph, das Registriergerät. Es ist bereits 1974 ausgewechselt worden.

Vögeli schätzt, dass es in der Schweiz noch 25 bis 35 dieser mechanisch arbeitenden Wetterstationen gibt. Sie seien etwas langsamer als die modernen, mit Sensoren und Computern ausgerüsteten Anlagen, aber in punkto Präzision ebenbürtig. Erstaunlich ist, dass sich trotz Meteodaten im Internet und auf Smartphonen die historischen Wettersäulen noch immer grosser Beliebtheit erfreuen. «Wenn wir eine dieser Stationen zur Restaurierung abholen, vergewissern sich die Leute immer, dass wir die Station auch wieder zurückbringen», sagt Vögeli.

 

Bild: Maria Spirig