Wessen Wiese?

Mit einer Zonenplaninitiative wollen Quartierbewohner:innen den Neubau der Tagesbetreuung auf der Boppiwiese verhindern. Das Anliegen ist nicht nur kurzsichtig, sondern auch egoistisch – und deshalb abzulehnen. Ein Kommentar.
Von  David Gadze
Der Neubau für die Tagesbetreuung beim Schulhaus Boppartshof ist am anderen Ende der Wiese geplant, etwa in der Mitte des Bildes. (Bild: David Gadze)

Es scheint sich so etwas wie ein Trend entwickelt zu haben in der Stadt St.Gallen: Wenn einer Gruppierung ein Bauprojekt nicht passt, versucht sie, das betroffene Grundstück in die Grünzone umzuzonen. Was 2017 mit der Sömmerliwiese in der Lachen begonnen hatte (und geglückt war) und 2023 mit dem «Wiesli» im Museumsquartier seine Fortsetzung gefunden hatte, geht nun mit der Boppiwiese bei der Primarschule Boppartshof in die nächste Runde.

Dort will die IG Boppiwiese, eine Gruppe von Quartierbewohner:innen, mit einer Zonenplaninitiative den Neubau der Tagesbetreuung auf der Wiese verhindern. Wie damals bei der Sömmerliwiese – aber mit dem Unterschied, dass es sich bei der Boppiwiese um einen Teil des Schulareals handelt.

Erweiterungsfläche für die Schule

Das Schulhaus Boppartshof wurde 1967 buchstäblich auf der grünen Wiese erbaut. Heute ist es auf allen Seiten von Wohnhäusern umgeben, damals gab es rundherum quasi gar nichts. Doch schon damals zeichnete sich ab, dass sich in Haggen ein neuer Stadtteil entwickeln würde – kaum ein St.Galler Quartier ist seither so schnell gewachsen. Entsprechend gross fiel der «Schulcampus» aus. Und aus diesem Grund wurde auch das Areal rund um das Schulhaus als künftige Erweiterungsfläche für die Schule der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zugeteilt – auch die Boppiwiese.

So sah das Schulhaus Boppartshof nach dem Bau 1967 aus. Heute ist es von Wohnhäusern umgeben. (Bild: Archiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen)

So sah das Schulhaus Boppartshof nach dem Bau 1967 aus. Heute ist es von Wohnhäusern umgeben. (Bild: Archiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen)

Nun steht eine solche Erweiterung an, denn das 2009 eröffnete Provisorium für die Tagesbetreuung platzt längst aus allen Nähten. Nach einer Evaluation möglicher Standorte im Perimeter der Schule hat sich die Stadt für einen Neubau am östlichen Ende des Schulareals entschieden. Dort sollen künftig über 200 Kinder Unterschlupf finden. Dafür muss etwa ein Drittel der Wiese – rund 30 Meter – sowie ein Teil des angrenzenden Pärkleins «geopfert» werden.

Kaum war das Vorhaben bekannt, formierte sich Widerstand im Quartier. Es entstand die IG Boppiwiese, die nach aussen insbesondere von SVP-Stadtparlamentarier und -Kantonsrat Donat Kuratli sowie von Stevan Dronjak, Präsident des Einwohnervereins Bruggen, vertreten wird. Nachdem eine Petition für den Erhalt der kompletten Wiese nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte, lancierte die IG Boppiwiese eine entsprechende Zonenplaninitiative, über welche die städtischen Stimmberechtigten am 14. April abstimmen.

Ein guter Kompromiss

«Unser Quartier – unsere Wiese». Mit diesem Slogan macht die IG Boppiwiese Stimmung gegen das Projekt. Pardon, wessen Quartier? Und wessen Wiese? Diese okkupatorische Rhetorik allein ist schon Ausdruck eines fragwürdigen Gemeinschaftsverständnisses. Ganz nach dem Motto: «Hier machen wir die Regeln.» Denn natürlich gehört eine Wiese, wie grundsätzlich der öffentliche Raum, allen. Im konkreten Fall ist sie ein Quartiertreffpunkt, aber letztlich eben auch eine Baulandreserve der Schule.

Das vorliegende Neubauprojekt ist ein guter Kompromiss, um die unterschiedlichen Interessen und Anforderungen an die Tagesbetreuung, die nun auf der Boppiwiese aufeinanderprallen, und den Wunsch nach möglichst viel Grünfläche für das Quartier unter einen Hut zu bringen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Stadtparlament – das die Initiative ohne Gegenvorschlag abgelehnt hat – die Vorlage im November zwecks einer Kostenreduktion um 1,2 Millionen auf 14 Millionen Franken zurückgewiesen hat.

Der Neubau am vorgesehenen Standort schafft Synergien zwischen Schule und Tagesbetreuung, er lindert die Platzprobleme, die beide haben, und er erfüllt sowohl die räumlichen als auch die betrieblichen Anforderungen an eine moderne Tagesbetreuung.

Zudem geht damit eine Aufwertung eines grossen Teils des Schulareals einher: des Pärkleins neben der neuen Tagesbetreuung, der Grünfläche am nördlichen Ende des Schulareals sowie des Hartplatzes, wo heute das Provisorium steht, zu einem Allwetterplatz. Und die Boppiwiese selbst wäre auch nach der Verkleinerung noch 63 mal 50,5 Meter gross. All das macht den Verlust eines Teils der Wiese mehr als wett. Ganz zu schweigen davon, dass eine Tagesbetreuung für viele Menschen in einem Quartier elementar ist. Am Ende geht es vor allem um die Kinder, die sie in Anspruch nehmen.

Initiant:innen nehmen schlechtere Lösung in Kauf

Die Initiant:innen können noch so lange betonen, nicht gegen die Tagesbetreuung, sondern bloss gegen den Standort zu sein – indem sie das Projekt be- und für «ihre» Wiese kämpfen, nehmen sie eine schlechtere Lösung für die Tagesbetreuung in Kauf. Ja, sie ignorieren geflissentlich, dass jede Alternative an einem anderen Standort mit viel mehr Kompromissen verbunden wäre als mit der Aufgabe eines Teils der Boppiwiese. Auch aus diesem Grund hat sich im Quartier eine Gegenbewegung formiert und zu einem überparteilichen Bündnis der Stadtparteien von SP, FDP, Grünen, Grünliberalen, der EVP sowie der Mitte/EVP-Fraktion zusammengeschlossen.

Nicht besser macht es, dass sich die Initiant:innen in ihrem Kampf um den Erhalt der ganzen Wiesenfläche auch vor Halbwahrheiten, ja Falschbehauptungen nicht zurückschrecken. Beispielsweise mit der Aussage, im Wettbewerb habe ein Projekt aufgezeigt, dass der Neubau auch am Ort des heutigen Provisoriums machbar wäre. Natürlich wäre er das – die Frage ist allerdings zu welchem Preis, und damit sind nicht einmal in erster Linie die Kosten gemeint.

Zum Wohl des Quartiers, der Schule und der Kinder, die die Tagesbetreuung im Boppartshof besuchen, ist deshalb nur eine Ablehnung der Initiative zielführend.