Werdet selbst weich

Dominant Lärm machen, tanzende Frauen angaffen und den Raum rücksichtslos einnehmen: Das sind nur ein paar Gründe, warum viele Queers ihr eigenes Nachtleben kreieren, erklärt Anna Rosenwasser in ihrer Oktoberkolumne.
Von  Gastbeitrag

Lexy und ich spazierten von seiner Wohnung zum Club in der nächtlichen Spätsommerluft, um uns herum zahllose Menschen auf dem Weg in andere Richtungen, andere Partys, andere Lebensentwürfe. Uns kam sogar ein Typ entgegen in einer Art Wikingeroutfit, oben ohne, Kumpels im Anhang mit einschlägigem Junggesellenabschied-Vibe. Eben: andere Richtung, andere Lebensentwürfe. Wir beide hatten uns tagelang auf diesen Abend gefreut, endlich mal wieder queeres Nachtleben.

Queerer Ausgang kann sich anfühlen wie ein Familienfest, mit dem Unterschied, dass man sich die Familie ausgesucht hat. Und meistens sogar mag. Es ist nicht leicht zu erklären, warum ich queeren Ausgang liebe. Vielleicht eine gewisse Präsenz von Weichheit, die häufige (wenngleich nicht konsequente) Absenz von Mackertum. Die Verspieltheit unserer Gemeinschaft ist kein Nice-to-have, sondern eine historisch gewachsene Überlebensstrategie: Die meisten von uns erlebten Grobheit als Antwort auf unsere Weichheit. Und die Erkenntnis, dass mit unserem Weichsein nichts falsch ist, sondern mit ihrer Härte. Ich glaube, das zu spüren an solchen Anlässen.

Anna Rosenwasser, 1990, wohnt in Zürich und ist freischaffende Journalistin. Ihre gesammelten Kolumnen erschienen als Rosa Buch im März beim Rotpunkt-Verlag in Kooperation mit Saiten.

Stunden später sind Lexy und ich Teil eines tanzenden Ganzen, umgeben von alten und neuen Bekannten; da taucht neben mir plötzlich ein nackter Oberkörper auf. Es ist der Wikinger-Junggesellenabschied-Typ. Er und seine Posse haben irgendwie den Weg an diese Party gefunden.

Ich will «okay, cool, egal» denken, da merke ich aber auch schon, dass er zu nah an mir tanzt. Lexy fasst mich liebevoll an den Schultern und platziert mich einen Meter weiter links, stellt den eigenen Rücken solidarisch gegen den Wikinger. Später merke ich, dass ich angestarrt werde. Ein Freund des Wikingers. Er steht an die Bühne gelehnt, zu mir gerichtet, und guckt mir einfach beim Tanzen zu. Nicht anerkennend, sondern konsumierend. Das sind zwei spürbar verschiedene Formen von Aufmerksamkeit, glaubt mir.

Die Junggesellengruppe bildet irgendwann ein unüberhörbares Knäuel aus lautem Zuprosten, und auch Tage später bin ich noch genervt. Liebe Lesende, nein, ich habe keinen der Jungs nach seiner sexuellen Orientierung oder seiner Geschlechtsidentität gefragt, und ich kann doch garantieren: Da war niemand queer. Das war ein Haufen Männer, der in eine Party reinlief, die nicht für sie gedacht war. So dominant Lärm zu machen, tanzende Frauen anzugaffen, den Raum so rücksichtslos einnehmen: Das gehört zu den Gründen, warum viele Queers ihr eigenes Nachtleben kreieren.

Ich werde oft von nicht-queeren Mitmenschen gefragt, ob sie an queere Partys gehen «dürfen», und ja, klar, dürfen sie, aber: Jede andere Party in dieser Nacht in dieser Stadt ist für sie. Die Anlässe, an denen Queers unter sich sein können, sind je nach Ort pro Abend, pro Monat oder pro Jahr an einer Hand abzuzählen. Für viele von uns sind queere Anlässe die einzigen Stunden, in denen wir keine Minderheit im Raum sind.

Darum: Zum Queerfriendly-Sein gehört auch, uns unsere Räume zu lassen. Zu akzeptieren, dass man da jetzt nicht rein muss, auch wenn man total locker drauf ist und uns nett findet. Lasst uns wir selbst sein, auch mal für uns. Kreiert eigene sichere Räume. Werdet selbst weich und rücksichtsvoll, und grätscht nicht einfach in unseres rein.