«Wer Nein stimmt, schiesst sich selbst ins Knie»

Alex Meszmer, Geschäftsführer von Suisseculture, über die Notwendigkeit des Covid-19-Gesetzes und warum sich die Abstimmung vom 13. Juni nicht als «Denkzettel» gegen den Bundesrat eignet.
Von  Peter Surber

Alex Meszmer. (Bild: Sascha Erni)

Saiten: Wie ist die Situation aktuell in Sachen Covid-Pandemie und Kultur?

Alex Meszmer: Das Virus hält uns auf Trab, weiterhin. Was die Öffnungen und Lockerungen betrifft: Ein entscheidender Punkt dafür ist das GGG-Zertifikat, dank dem die Teilnahme an Kulturveranstaltungen wieder leichter möglich sein soll. Bundesrat Berset hat sich beim letzten Gespräch mit den Kulturverbänden optimistisch geäussert, es gehe in Richtung «Normalisierung», auch dank zusätzlichen Impfdosen. Aber im Moment müssen wir noch diese Übergangsphase aushalten. Auch wenn wir ja alle, auch ich, die Schnauze voll haben von den eigenen vier Wänden.

Die Unterstützungsmassnahmen für die Kultur sind ausreichend?

Man muss anerkennen, dass letztes Jahr in sehr kurzer Frist Unterstützungsmassnahmen entwickelt worden sind – es hat wohl noch nie eine Behörde so schnell reagiert. Es gab natürlich Anfangsschwierigkeiten, etwa bei den Corona-Erwerbsersatzregelungen. Und es gab und gibt weiterhin Ungleichheiten, manchmal auch Ungerechtigkeiten dadurch, wie unterschiedlich die Kantone die Massnahmen handhaben. Das föderale System ist nicht unbedingt das beste System für eine Pandemie. Aber das Covid-19-Gesetz ist in Bern Session für Session verbessert worden, teils auch auf unseren Druck hin.

Zum Beispiel?

Der jüngste Erfolg war im März, dass man Ausfallentschädigungen auch für Freischaffende eingeführt hat. Damit ist erstmals in einem Gesetz überhaupt von Freischaffenden die Rede, das ist ein grossartiger Fortschritt. Bis dahin existierte diese Kategorie nicht – obwohl solche Anstellungen gerade im Kulturbereich gang und gäbe sind. Die Pandemie hat auch die Behörden gezwungen, einige Standard-Sichtweisen in Bezug auf unsere helvetische Arbeitswelt zu revidieren.

Fallen trotzdem noch Kulturschaffende oder Branchen durch die Maschen?

Ja: private Tanzschulen, private Musikschulen und ähnliche Angebote in der privaten kulturellen Bildung. Im Moment wird die Verantwortung in diesem Bereich zwischen dem Bund und den Kantonen hin- und hergeschoben, wobei das Bundesamt für Kultur argumentiert, die Kantone hätten den Spielraum, von sich aus solche Unterstützungen zuzulassen. Ein paar Kantone tun dies auch bereits.

Was passiert bei einem Nein zum Covid-19-Gesetz am 13. Juni?

Es ist ein dringliches Bundesgesetz – das heisst: Es unterstand zwar dem Referendum, trat aber nach der Annahme im Parlament am 26. September unmittelbar in Kraft. Und es würde entsprechend auch bei einem Nein ein Jahr lang gelten, das heisst bis zum 25. September 2021. Wird es abgelehnt, fallen ab diesem Datum alle Unterstützungsmassnahmen weg. Das wäre erstens fatal für den Fall, dass Mutationen die Pandemie neu anfachen. Zweitens fehlt dann die Unterstützung vorerst für die restlichen drei Monate des Jahres, was einen extremen Einbruch für die Kulturbetriebe mit sich bringen würde.

Warum?

Trotz allmählichen Lockerungen können viele Anlässe, insbesondere die grossen Festivals dieses Jahr nicht stattfinden – oder die Rechnung geht wegen der Personenbeschränkungen finanziell nicht auf. Es werden weiterhin Nothilfe und Ausfallentschädigungen nötig sein. Die Kultur wird die Folgen der Pandemie noch lange spüren. Und bei einem Nein ein neues Gesetz aufzugleisen würde bedeuten, wieder bei Null anzufangen. Ein solcher Prozess würde Jahre dauern.

Die Gegner argumentieren damit, der Lockdown sei ein «diktatorischer» Eingriff gewesen.

Die Möglichkeit eines Lockdowns oder auch das Impfregime sind nicht in diesem Gesetz festgelegt, sondern im Epidemiegesetz, das nicht Teil der Abstimmung ist. Ein Nein taugt deshalb nicht dazu, dem Bundesrat einen «Denkzettel» auszustellen – dieser würde nicht die Politik treffen, sondern die Tausenden, die wirtschaftlich unter der Pandemie leiden: Kulturveranstalter:innen, Gastrobetriebe, Tourismuseinrichtungen und alle jene, die Kurzarbeitsentschädigung, Härtefallhilfen usw. beanspruchen mussten. Wer sich zum Beispiel ärgert, dass das Openair St.Gallen abgesagt werden musste, und deshalb Nein stimmt, schiesst sich selber ins Knie: Gerade die Festivals brauchen die Unterstützungsmassnahmen, sonst gibt es sie im nächsten Jahr definitiv nicht mehr.

Ihr Dachverband Suisseculture betreibt Lobbyarbeit. Stimmt der Eindruck, dass die Kulturszene «dank» der Pandemie stärker öffentlich auftritt?

Für mich gilt schon länger: Wir müssen uns einbringen. Der Schlüssel war das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative 2014 – damals hatte sich die Kulturbranche kaum geäussert. Und bekam die Folgen zu spüren; unter anderem wurden die laufenden Verhandlungen der Schweiz zum Zugang zum europäischen Kulturprogramm Creative Europe sofort gestoppt. Das war ein Warnschuss. Letztes Jahr hat sich unser Verband im Komitee gegen die Begrenzungsinitiative engagiert, zusammen mit anderen, von der Forschung bis zu den Fluglotsen. Ebenso ist es jetzt beim Covid-19-Gesetz. Wir müssen als Verbände unsere eigenen Mitglieder abholen. Und wir müssen öffentlich die Stimme erheben.

Was ist Ihre Prognose für die Abstimmung?

Ich hatte am Anfang Bedenken, weil sich vorerst nur wenige Organisationen engagieren wollten. Aber inzwischen haben zum Beispiel Economiesuisse und Gastrosuisse die Ja-Parole beschlossen – das stimmt mich zuversichtlich. Gemäss Umfragen liegt die Zustimmung aktuell bei etwa 64 Prozent. Das Gesetz hätte 75 Prozent Ja-Stimmen verdient.

In Kurzform: Warum ein Ja?

Wir müssen das Gesetz annehmen, weil darin alle die Unterstützungsmassnahmen festgeschrieben sind, die die gravierenden Folgen der Pandemie lindern. Wer es ablehnt, verunmöglicht die Hilfe für die am härtesten betroffenen Branchen: Kultur, Events, Gastro, Reisen und Sport. Wenn wir die kulturelle Vielfalt erhalten wollen, brauchen wir dieses Gesetz.

Alex Meszmer, 1968, ist seit Anfang 2020 Geschäftsführer des Dachverbands Suisseculture und arbeitet als bildender Künstler und Kurator zusammen mit seinem Partner Reto Müller in Pfyn TG.

Dieser Beitrag erschien im Juniheft von Saiten.