, 28. Februar 2022
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Wer hat, dem wird gegeben

«Eierstocklotterie» ist noch eines der freundlicheren Wörter im Stück Jeeps der deutschen Autorin Nora Abdel-Maksoud. Das Thema ist brisant: die Milliarden, die jährlich vererbt werden. Den Diskussionsstoff dazu gibt es am Theater Konstanz. von Franziska Spanner

Tanz ums Geld: Odo Jergitsch, Kristina Lotta Kahlert, Jana Alexia Rödiger, Peter Posniak. (Bilder: Ilja Mess)

Die Bühne dunkel, nach oben gewölbte Quader, die aussehen wie Grabsteine, in organischem Streifenmuster. Erst eine leise wimmernde Frau in schwarzem Mantel, Baskenmütze und Sonnenbrille, dann zwei weitere dunkle Gestalten. Sie beklagt den Tod ihres Vaters – die beiden Herren drängen. Sie möchten den Schlüssel zur Wohnung des Verstorbenen. Die zwei kommen vom Jobcenter. Ihre Aufgabe ist es, die Erbmasse zu ermitteln und zu konfiszieren, denn: Das Erbe wird verlost!

Eröffnung einer Neiddebatte

Das Licht geht an und die düstere Kulisse verwandelt sich in kreischende Retrofarben (Bühne und Kostüm: Mona Marie Hartmann). Der Boden, die «Grabsteine» und Kugel-Elemente erstrahlen in Pink, Rot und Orange. Die Herren treten mit pinken Oberteilen, roten Jacken und Hosen auf, die eben noch trauernde Dame trägt einen neonpinken Blazer zu orangefarbener Hose und knallroten Stiefeletten.

Gabor, einer der Jobcenter-Beamten, verkündet gut gelaunt: «Wir würden heute Abend gern eine Neiddebatte starten!» Na, wenn die Ungerechtigkeit so himmelschreiend ist wie diese Farben …, dürften sich viele im Publikum gedacht und sich auf den von Simone Geyer rasant inszenierten Schlagabtausch eingelassen haben.

Thema ist eine brandaktuelle gesellschaftliche Debatte, die Autorin Nora Abdel-Maksoud mit Jeeps in einen pointierten, griffigen Text gegossen hat: Generationengerechtigkeit – Reichtum über den Tod hinaus.

«Eierstocklotterie reloaded»

In Deutschland werden bis zu 400 Milliarden Euro pro Jahr vererbt. In der Schweiz, mit zehn mal weniger Einwohner:innen, waren es im Jahr 2019 gemäss NZZ 95 Milliarden. Die meisten Menschen bekommen davon jedoch nichts ab. Immer mehr Geld konzentriert sich in immer weniger Händen. Der Kontrast könnte härter nicht sein: In Deutschland ist jedes fünfte Kind arm.

«Eierstocklotterie» nennt Abdel-Maksoud das, die Bestimmung des weiteren Lebenswegs durch Geburt in einen bestimmten sozio-ökonomischen Kontext. Bestimmt durch den Zufall, frei von jeder Eigenleistung.

In ihrem Stück, 2021 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt, wagt die Autorin deshalb ein Gedankenspiel: Das Erbe bekommen nicht mehr die biologischen Nachkommen, sondern zunächst einmal der Staat. Dieser verlost dann den Besitz unter allen Personen, die ein Erbschaftslos beantragt haben. Und das darf jeder. Zuständig: das Jobcenter.

In Jeeps wird das Sozialamt zum Melting pot. Kinder, die für ihre Eltern Arbeit suchen (im Gegensatz zu Erwachsenen können Kinder sich nämlich einen Sitz in der Wartehalle teilen), Hartz IV-Empfänger:innen und verärgerte Möchtegern-Erben und -Erbinnen, die vom «hart erarbeiteten» Vermögen ihrer Eltern und Grosseltern «enteignet» wurden, treffen aufeinander.

«Opferwürste» nennt der Jobcenter-Beamte Armin (Odo Jergitsch) die arbeitssuchenden Kinder und die Leistungsbezieher. Sein jüngerer Kollege Gabor (Peter Posniak), ein «unbestechlicher Musterbeamter» und sparsamer Aufsteiger, kümmert sich lieber um sie als um die enteigneten Juppies, die die Welt nicht mehr verstehen.

Gabors grösster Stolz ist sein Jeep, in den er sein ganzes Erspartes investiert hat – eine «schwarz glänzende Schaumkrone des Spätkapitalismus». Er kann es entsprechend nicht leiden, wenn Leute ihr Vermögen kleinreden à la «Das Bootshaus ist doch nichts wert! Man muss so viel daran renovieren.»

Silke (Jana Alexia Rödiger), die soeben erfahren hat, dass sie vom Erbe ihres verstorbenen Vaters nichts bekommen wird, dafür aber ein Schulden-Los gezogen hat («Willste mich verarschen?»), hat für Verteilungsgerechtigkeit natürlich kein Verständnis. Eine Verbündete findet sie in der sozialleistungsbeziehenden Schriftstellerin Maude (Kristina Lotta Kahlert), die gelegentlich Groschenromane schreibt und einen Hang zu französischen Wörtern hat, wenn sie nicht gerade auf einen Stechapfel-Trip steilgeht.

Beide haben eine Wut auf das System, den Beamten-Mief und den Bürokratie-Dschungel. Es dauert ein wenig, bis sie bemerken, dass sie keine Verbündeten, sondern natürliche Feinde sind.

Die Figuren in Jeeps sind nicht sehr tiefgründig, aber alle tragen ihre Perspektive bei und zeichnen damit ein pointiertes Bild der Diskussion ums Erben. Odo Jergitsch gibt den Armin kaltschnäuzig beamtendeutsch, aber trotzdem mitfühlend. Peter Posniak verkörpert den nicht neidisch und überambitioniert wirkenden Sachbearbeiter, der kein Problem mit Dienst nach Vorschrift hat, authentisch und mit einer Prise Selbstironie. Besonders überzeugend ist Jana Alexia Rödiger als Silke: schnippisch, wenn es um die Verteidigung ihres Erbes geht, kleinlaut und verletzlich, wenn sie die Hilfe anderer dafür benötigt.

In manchen Szenen trägt die Inszenierung jedoch zu dick auf: Fast scheint es, als nähmen die Figuren sich und ihre Lebenssituation angesichts unsäglicher Ungerechtigkeiten selbst nicht mehr ernst. Das schafft unnötige Distanz zwischen den Zuschauer:innen und dem Geschehen auf der Bühne

Was steht uns zu?

Doch der Gesamteindruck wird davon kaum geschmälert: Dynamisch, witzig, vielleicht sogar zu leichtfüssig zeichnet Simone Geyers Inszenierung eine hochbrisante Debatte aus dem Themenfeld gesellschaftlicher Ungleichheit nach. Das Stück ist sehr auf Abdel-Maksouds Text fokussiert und kommt bis auf das schrille Bühnenbild mit wenigen Requisiten aus. Das ist auch gut so, denn im Text und in dessen Performance liegt die Stärke des Stücks.

Weitere Vorstellungen: 4., 5., 11., 12., 19. März, Werkstatt Theater Konstanz

theaterkonstanz.de

Gespickt mit Fakten, etwa dem Monatsbetrag von sage und schreibe 1,12 Euro Sozialleistungen für Bildung, und nicht immer nachvollziehbaren Argumenten (Silke: «Er kennt meine Geschichte doch gar nicht!») spitzt sich die bitterböse Screwball-Komödie auf die Frage zu, wieviel Wohlstand uns eigentlich zusteht.

Da lehnt Maude zunächst Geld aus dem Nachlass von Silkes Vater mit der Begründung ab: «Was habe ich mit dem Geld von Silkes Eltern zu tun?» Bis sich ihr die nächste Frage unweigerlich aufdrängt: «Was hat Silke mit dem Geld von Silkes Eltern zu tun?». Eine abschliessende Antwort wird Jeeps dem Publikum nicht bieten, aber dafür ein ziemlich eindeutiges Gefühl.

 

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