, 23. Juli 2020
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Wer die Raupe nicht ehrt…

Ein Garten voller Schmetterlinge – wie man das erreicht, zeigt ein Besuch bei Katharina Antonietti und ihren Schwalbenschwänzen in Trogen: Wachsen lassen, was der Raupe schmeckt. Stehen lassen, worin sie sich verkriechen kann. Und wer dann noch nicht genug hat, macht ein Puppenhotel auf. von Julia Sutter

Katharina Antonietti in ihrem Garten. (Bilder: Julia Sutter)

Von der Strasse kommend, muss man sich erst einmal bücken. Dann, hinter einem Torbogen aus Kletterrosen: ein dichtes, sorgfältig abgestimmtes Nebeneinander von Büschen und Blüten, hohem Gras und wilder Hecke. Linkerhand geht der Blick an der Fassade hoch zum auffällig bemalten Dachhimmel, wo eine lange Reihe bunter, in stilisierten Farben gehaltener Schwalbenschwänze in den blauen Nachmittag ausfliegt. Eigentlich wenig überraschend, dass zu einem Schmetterlingsgarten auch ein Schmetterlingshaus gehört.

Die Bewohnerin verliert keine Zeit und macht einen gleich mit den richtigen Faltern bekannt. «Da», zeigt die Trogenerin Katharina Antonietti hinüber zu einem blühenden Strauch Silberlinge, «ein kleiner Fuchs!» Und eilt auch schon davon, die Käfige holen. Der Fuchs schaukelt ebenfalls fort. Macht aber nichts. Wir sind wegen der Schwalbenschwänze verabredet, deren Puppen mit etwas Glück noch heute aufbrechen. Gegen Abend sollen Gewitter eine Kaltfront bringen, danach wird fürs Erste wieder Schluss mit Schlüpfen sein.

Sammeln und bestimmen

Schmetterlinge wurden ihrer Schönheit wegen schon immer besonders gern gesammelt, sprich gefangen, mit Salmiakgeist aufgepumpt und auf ein Brett gespiesst. Als Laie mag man glauben, diese Art von Sammler müsse längst ausgestorben sein. Stimmt nicht ganz. Die verbliebenen Exemplare führen auf einschlägigen Webforen sehr lebendige Fachgespräche. Auf die Frage zum Beispiel, wie sich sehr grosse Falter am besten töten liessen («ist Einfrieren eine Option?»), rät ein User zum Spritzen von Nagellackentferner. Ein anderer zieht reines Aceton vor, das ist billiger.

Währenddessen entspannt sich auf dem Nachbarsforum eine angenehm reflektierte Diskussion darüber, warum überhaupt (noch) gesammelt werde. Hier tauschen sich keine rücksichtslosen Trophäenjäger aus, sondern Menschen, die schützen wollen, wofür sie sich begeistern und worüber sie eine Menge Wissen gesammelt haben. Das rasende Schwinden der Artenvielfalt verfolgen sie mit der Sorge dessen, der den Wandel anhand der eigenen, jahrzehntealten Sammlung untrüglich belegen kann. Man schützt nur, was man kennt, so lautet ihre Devise.

Katharina Antonietti mit einem ihrer Schwalbenschwänze.

Gut möglich also, dass sich in den Sammlerköpfen die gleichen Bilder von früher finden, wie Katharina Antonietti sie im Gang durch ihren Garten hervorholt: Wiesen, von denen es beim Drübergehen in alle Richtungen aufflatterte. Verklebte Windschutzscheiben nach jeder Autofahrt. Raupen und Schmetterlinge überall.

Anders als die Sammler aber, die es sich zur Aufgabe machen, Veränderung nur zu dokumentieren, möchte Antonietti aktiv Gegensteuer geben. Will so lange Schwalbenschwänze fliegen lassen, bis das Flattern wenigstens ein bisschen zurückgekommen ist. Auf das Aufspiessen angesprochen, schüttelt sie denn auch ein bisschen angewidert den Kopf. Sie wurde anders an die Wertschätzung herangeführt: «Man nimmt nur nach Hause, was man kennt», schärfte der Vater ihr ein, wenn sie als Kind mit ihm durch die Wiesen streifte. Ohne die Art bestimmen zu können, wisse man ja nicht, was das Tier zum Fressen brauche. Oder wieviel. Nein, wer glaube, man könne eine irgendwo abgepflückte Raupe aufs Geratewohl auf einen schlaffen Fenchelstängel setzen und gut sei, der irre sich sehr.

Im luftigen Käfig

Die zwei Schmetterlingskäfige auf dem Gartentischlein, von einer Schale beschwert, damit der aufkommende Wind sie nicht fortträgt, stehen gewöhnlich an einem kühlen, schattigen Ort im Hausinnern. Die würfelförmigen Zuchtbehälter erinnern an ein kleines Innenzelt – die Wände aus engen, weissen Netzmaschen, verbunden durch kräftige schwarze Naht, vorne die heruntergeklappte Eingangswand, der offenstehende Reissverschluss.

Am Käfigboden liegen aufgebrochene Puppen, in den Ecken hängen sieben oder acht unversehrte Hülsen, braun, schwarzbraun und grün gefärbt. Ebenfalls schwarz liegt da noch ein übriggebliebener Fenchelstängel vom vergangenen September, damals, als sich hier drin eine Raupe nach der anderen sattfrass, eine Weile ruhelos durch den Käfig wanderte, sich endlich mit einem feingesponnenen Gürtel an der Wand festhängte und verpuppte.

Phasen einer Metamorphose:

Die nachfolgenden Bilder zeigen Phasen der Entwicklung von der Raupe zum Schmetterling: die ausgewachsene Raupe und ihre Verpuppung, den frisch geschlüpften Schwalbenschwanz und den «fertigen» Schmetterling, bereit für den Abflug.

Im zweiten Aerarium sieht es ähnlich aus, mit dem Unterschied, dass sich hier ein erwachsenes Tier über die Zeltrückwand spannt, frisch geschlüpft, vor zwei oder drei Stunden erst. Jetzt sind seine Flügel fertig ausgehärtet. Behutsam hebt Antonietti den Falter aus dem Käfig. Das Tier bleibt ein bisschen auf ihrer Hand ruhen, gerade lange genug, dass man alles bewundern kann, die Farben, die deutlich erkennbaren Schuppen, die fast fellige Mitte, und dabei an sich halten muss, nicht darüberzustreichen. Dann hebt der Schwalbenschwanz ab, bleibt kurz noch als heller Fleck in der Luft hängen und ist fort.

Die ausgewachsene Raupe spinnt den Flügel.

Verpuppung: Die haut wird abgestreift.

Der frischgeschlüpfte Schwalbenschwanz.

Startklar für den Abflug.

Wenn es nach der Züchterin geht, sollen die meisten der zirka 150 Schmetterlinge, die sie in einer guten Saison ins Freie entlässt, ruhig in die Nachbarschaft weiterziehen. Tun sie auch. Umgekehrt wird sie dafür aus den umliegenden Gärten mit Raupen beliefert.

Inzwischen hat sich in ihrem Umfeld nämlich herumgesprochen, dass man nichts in Obhut nehmen soll, was man nicht bestimmen kann. Ein unbekanntes Räuplein, das man bei der Gemüseernte aus Versehen seiner Nahrungsquelle beraubt hat, wird darum oftmals lieber gleich zu ihr gebracht. Über die Jahre ist in der Nachbarschaft aber zugleich auch das Interesse gewachsen, es mit dem Hüten und Aufziehen einmal selber zu versuchen. Besonders Kinder kreuzen manchmal mit ihren Eltern bei Antonietti auf und lassen sich erklären, worauf sie bei der Raupe in ihrem Konfitürenglas achten müssen, wenn die Verwandlung gelingen soll.

Zwei Jahreszeiten, eine Verwandlung

Schmetterlinge gehören zu den wenigen Wesen, die im Laufe ihrer Entwicklung eine vollständige Metamorphose durchlaufen: Mit blossem Auge kann man den Weg vom Ei über Raupe und Puppe bis zum erwachsenen Tier mitverfolgen. In unseren Breitengraden vollzieht sich das Wunder zweimal pro Jahr, wobei sich die Zyklen betreffend Dauer frappant unterscheiden. Während die überwinternde Generation sieben lange Monate im Puppenstadium auszuharren hat, durchläuft die Sommergeneration dasselbe Prozedere in nur zwei bis drei Wochen.

Wer dazu beitragen möchte, dass die Tiere ungestört vor Schädlingen und Fressfeinden heranreifen können, solle sich erstmal der Sommergeneration annehmen; überwintern, so Antonietti, könne eine heikle Angelegenheit sein. Wer keinen kühlen Keller habe, solle lieber nicht darüber nachdenken. Sie selber hat bei gewissen Witterungslagen ihre Schützlinge auch schon mal kurzentschlossen in den Kühlschrank übersiedelt, damit diese auch ganz sicher kapierten, dass jetzt noch nicht die Zeit zum Schlüpfen sei. Nichts trauriger als ein einsamer Falter, der die warmen Föhntage Ende Oktober für Frühlingsanfang gehalten hat und stirbt, ohne die Freuden des Falterdaseins vorher richtig ausgekostet zu haben.

Der Oktober, meint Antonietti, könne auch in anderer Hinsicht eine schwierige Zeit sein. Ihr werde das Herz schwer, wenn sie im Herbst all die Gärten sehen, in denen, kaum seien die Dinge verblüht, auch schon alles wieder aussehen müsse, als sei es nie da gewesen. Ein guter Garten, ein Garten für Tiere und ein Raupengarten sowieso, das sei ein unaufgeräumter Ort, ein bisschen ein Puff gar. Ein Garten sei schliesslich kein Wohnzimmer. Wenn einen der Ordnungssinn zwinge, könne man die verblühten Sträucher ja hochbinden, bloss stehenlassen sei Pflicht, sonst finden die Tiere, die dann im Sommer wieder flattern sollen, nirgendwo Unterschlupf. Geräumt wird im Frühling.

Wertvolle Futterpflanzen und falsche Freunde

Nach den Streifzügen der Kindheit an der Hand des Vaters kehrte Katharina Antonietti erst als Erwachsene zu den Schmetterlingen zurück. Seit zwölf Jahren schafft sie hier auf diesen gar nicht so vielen Quadratmetern die besten Voraussetzungen für eine wachsende Falterpopulation. Mittlerweile pensioniert, verbringt sie fast täglich Zeit im Garten. Hier ein bisschen stutzen, da ein bisschen stützen: Es sind keine grossen Eingriffe, die sie vornimmt. Aber gut gewählte und unbedingt notwendige. Denn würde man die Gewächse sich selber überlassen, wäre in kurzer Zeit alles verwildert.

Wozu aber macht man sich die ganze Arbeit? Aus Freude. Und um Lebensraum für eine Vielzahl von Insekten und Kleintieren zu schaffen. Was die Schmetterlinge angeht, darf man beim Versuch, es ihnen recht zu machen, nur ja nicht bloss an die ausgewachsenen Tiere denken, mehrfach betont sie: «Wer etwas für Schmetterlinge tun möchte, muss zu den Raupen schauen.» Also Umstände schaffen, in denen diese Nahrung finden. Schwalbenschwanz-Raupen beispielsweise hätten in gewöhnlichen Gärten, aber auch im Landwirtschaftsgebiet eigentlich ein Leichtes. Aber die Liebe zu Nutzpflanzen, zu Fenchel und Karotten, bedeuten eben oftmals auch ihr Verderben. Denn so lange die Raupe noch nicht ihre charakteristische Zeichnung hat, landet sie zwischen Ernten und Rüsten allzu leicht auf dem Kompost. Was also tun?

Als erstes gilt es, fremde oder gar invasive Gewächse aus den Gärten zu verbannen, auch wenn sie noch so hübsch aussehen und, im Falle des Sommerflieders, auch von unzähligen Faltern besucht werden. Aber der Schein trügt, ist doch die Nektarsuche der einfachste Teil der weiten Reise, und hat doch der exotische Schmetterlingsstrauch noch keine hiesige Raupe satt gemacht. In Antoniettis Garten durfte dennoch ein einziges Exemplar stehen bleiben, so wie auch die Rosen ihr Plätzchen behalten dürfen, einfach, weil sie schön sind.

Unter dem Faulbaum dagegen, dem heimlichen Herzstück der Hecke, summt es wie im Bienenhaus, und das, obschon der Baum nur winzige, unscheinbare Blüten trägt. Ja, der Faulbaum! Antonietti würde wohl am liebsten allen Gartenbesitzern eines dieser wunderbaren Insektenheime unterjubeln. Sie selber müsste dann nur noch zum Vergnügen Raupen bei sich aufnehmen, nur wegen des Schauspiels der Verwandlung, das sie sich nicht entgehen lassen möchte.

Zurück bei den Käfigen auf dem Gartentisch hat sich nichts getan. Auch die vorderste Puppe, bereits ganz durchscheinend geworden, so dass man unter der Hülle die Farben der Flügel erkennt, rührt sich nicht. Es ist alles schon da, aber noch nicht Zeit, oder der Regen zu nah. So bleibt einem, zurück in der Stadt, nur der Ausweg, auf YouTube die vollständige Metamorphose im Zeitraffer zu verfolgen. Wie sich erst gewaltsam etwas Grünes aus dem Raupenrücken schiebt. Dann die fertige Puppe. Wie sie in ihrem Gürtel schaukelt. Wie sie ruckelt, wie sie bricht.

Julia Sutter, 1987, lebt in St.Gallen und arbeitet in der Kommunikation und als Autorin.

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