, 21. Dezember 2018
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Wenn Josef Maria verprügelt

Im Rahmen der Aktion «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» wurde an der FHS St.Gallen unter anderem über «Mannerbilder» diskutiert. Dabei wurde klar: Auch Jungen und Männer leiden unter dem starren Bild von Männlichkeit. Meryem Oezdirek war dabei.

Gewalt an Frauen ist ein Thema, das, so würde man meinen, schon zur Genüge durchgekaut wurde. Die Hashtags #MeToo oder #schweizeraufschrei sind fast allen ein Begriff. Sie haben uns vor Augen geführt, dass sexuelle Übergriffe und Gewalt ein globales Problem sind. Es ist nicht nur eine Thematik, mit der sich betroffene Frauen auseinandersetzen müssen, sie betrifft auch die Männer, denn der Diskurs führt uns das gesellschaftliche Machtgefälle zwischen den Geschlechtern vor Augen. Die Gewalt an Frauen ist das Problem, aber nicht die Ursache.

Diesem Diskurs widmete sich die Podiumsdiskussion an der Fachhochschule St.Gallen letzte Woche im Rahmen der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen». Eingeladen waren der Slampoet und Autor Renato Kaiser, Sema Karakus vom Frauenhaus St.Gallen, Cristian Bächle, stellvertretender leitender Staatsanwalt in St.Gallen, die Kantonsrätin und Juristin Susanne Vincenz, Therapeut Karl Weilbach, Denise Flunser von der Opferhilfe St.Gallen und beider Appenzell und Strafrechtsprofessor Christian Schwarzenegger. Die Veranstaltung wurde moderiert und organisiert von Gabriella Schmid, Dozentin Fachbereich Soziale Arbeit und Institutsleiterin im Institut für Gender und Diversity IDG-FHO.

Renato Kaiser erinnert zu Beginn daran, dass Männer lernen und zuhören sollten und dass es manchmal «auch einfach nur um Frauen gehen» dürfe, sollte und müsse. Zunächst geht es am Podium jedoch um das Thema «Männerbilder». Dies mag auf manche irritierend gewirkt haben, jedoch hat es seine Berechtigung. Um wen handelt es sich denn beim «gewalttätigen Mann», der seine Ehefrau oder Partnerin misshandelt, missbraucht oder gar tötet? In der Diskussion wird es auf den Punkt gebracht: Diese Männer haben keine einheitlichen Erkennungsmerkmale, die sie auszeichnen – ausser der Gewalt, die sie ausüben.

Vor allem der Mythos, dass es sich hierbei um den sogenannten Migranten-Mann handelt, wird von den Podiumsgästen aus der Welt geschafft: Sowohl in der Täter- als auch in der Opferberatung seien alle Typen des Mannes vertreten, sagen sie einhellig. Es seien Männer aus allen sozialen Schichten, mit unterschiedlichem Bildungs- und Berufsstatus, Schweizer wie Nichtschweizer, berichtet Sema Karakus aus ihren Erfahrungen. In der Beratung für Männer wird dann eine «andere Seite» des Mannes sichtbar, erklärt Karl Weilbach: sympathisch, emphatisch, ein liebevoller Vater usw.

Auch Männer leiden unter der «toxischen Männlichkeit»

Schnell wird klar: Was auf Männer wirkt, sind vor allem Normvorstellungen des Mann-Seins. Gemeint ist die Vorstellung von Männlichkeit, die sich durch Kontrolle, Macht, Dominanz, Homophobie und Abwertung auszeichnet. Diese Vorstellung begünstigt mutwillige Gewalt gegenüber Frauen. Klingt das zu hart? Wann haben Sie das letzte Mal gesagt oder jemanden sagen hören: «Er ist ein richtiger Mann, denn ich kann ihn so liebevoll im Arm wiegen, wenn er sich klein und verletzlich fühlt. Er darf sich bei mir einfach fallen lassen».

Es scheint naturgegeben zu sein, als Mann machtvoll zu sein bzw. als machtvoll erscheinen zu müssen. Dieses Bild soll zumindest nach aussen hin aufrechterhalten werden. Hierbei wird von der «toxischen Männlichkeit» gesprochen. Diese begünstigt jedoch nicht nur Gewalt gegenüber Mädchen und Frauen, sondern auch gegenüber Jungen und Männern selbst. Diese Männlichkeitsbilder werden durch Film, Musik, Literatur, Sprache und Vieles mehr reproduziert und verinnerlicht. Allzu oft hört man: «Sei ein richtiger Mann». Es wäre aber verkürzt, davon auszugehen, dass wir nur durch Bild und Ton beeinflusst werden. Auch in Schul-, Bildungs- und Arbeitssystemen oder der Justiz werden diese Bilder gepflegt.

Betrachtet man die gesetzlichen Bestimmungen in der Schweiz, herrscht zumindest auf dem Papier die Gleichstellung von Mann und Frau in allen Lebensbereichen. Aber nur weil etwas gesetzlich vorgeschrieben ist, heisst es nicht, dass es auch gelebt wird. In diesem Jahr wurde immer noch über die Lohnungleichheit debattiert oder darüber dass Frauen in allen relevanten Entscheidungsgremien der Wirtschaft untervertreten sind und schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Auch Stalking, Zwangsprostitution, Frauenhandel und andere Formen der direkten Gewalt gegen Frauen kommen noch immer sehr häufig in der Schweiz vor.

«Oftmals haben die Männer gelernt, dass sie mit ihrer Aggressivität Erfolg haben», berichtet Christian Bächle von der Staatsanwaltschaft aus seinen Erfahrungen mit Tätern. Wenn das Recht eingreifen soll, werde sichtbar, dass es viele Formen der Gewalt gibt, in denen Gesetze noch keine Wirkung haben, hält Christian Schwarzenegger fest. Zwar seien Strafen vorgesehen, doch diese stellten oft auch eine Mitbestrafung für die (Ehe-)Frauen dar, erklärt er. Beispielsweise werde bei Geldstrafen auch das Budget der (Ehe-)Frau gemindert.

Zu wenig Ressourcen für die Opfer von Gewalt

Was vor allem Erfolg aufweist, sind Massnahmen wie Therapien und Beratungsprogramme wie sie zum Beispiel Männerbüros anbieten. Hier könnten Männer an ihrem Gewaltbild arbeiten, sagt Karl Weilbach, der unter anderem auch Tätertherapeut ist. Bis anhin seien diese Programme jedoch nach einem Vorfall nicht verpflichtend. Auch gebe es im Kanton St.Gallen wenig Anlaufstellen für Männer, zudem seien die wenigen vorhandenen Angebote nicht kostenfrei. Dies stelle eine weitere Hürde dar.

Denise Flunser von der Opferhilfe St.Gallen verweist auf eine weitere zentrale Frage: Wie gehen das Umfeld und die Professionellen mit Gewaltopfern um? Betroffene Frauen berichteten oft von fehlender Sensibilität in ihrem Umfeld und seitens der Betreuungspersonen. Das neue Polizeigesetz wie auch die Ratifizierung der Istanbul-Konvention seien ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch fehle es, darin sind sich die Podiumsgäste einig, an Ressourcen für die Umsetzung.

Es ist offensichtlich, dass ein Gesetz allein kein Allheilmittel ist. Zudem kann man das Gesetz oft erst dann anwenden, wenn es Geschädigte gegeben hat. Wichtig ist, dass Massnahmen zur Gewaltprävention mit Massnahmen zur Förderung der Gleichstellung einhergehen. Zum einen würde dies bedeuten, dass Beratungsstellen für Jungen und Männer mehr Priorität erhalten müssen, zum anderen aber auch, dass Professionelle (Polizei, Rechtsanwältinnen, Sozialarbeiter usw.) stärker sensibilisiert werden – das kostet Geld.

Im Kanton St.Gallen hätten seit 2003 wenig Investitionen in diese Richtung stattgefunden, wirft Gabriella Schmid ein. Nur wenn der Diskurs zur Sensibilisierung anrege und auch in der Politik mit entsprechenden Ressourcen verankert werde, könne der Schutz von Mädchen, Jungen, Frauen und Männern verbessert werden. Dem stimmt auch Susanne Vincenz zu.

Am Ende der Diskussion ist klar: Soziale Missstände und unterdrückende Verhältnisse, zu denen auch die Gewalt an Frauen zählt, sind keine private Angelegenheit, sondern müssen in der Politik und in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Zudem muss die Thematik auch im individuellen Kontext thematisiert und sensibilisiert angegangen werden.

In der Fragerunde am Schluss bemängelt ein Mann aus dem Publikum, dass es an diesem Abend nur um Frauen gegangen sei und ihn das störe. Schade, dass es nicht einmal nur um Frauen gehen kann, ohne dass dies problematisiert wird. Schade für ihn.

Meryem Oezdirek ist Wissenschaftliche Assistentin im Fachbereich Soziale Arbeit an der FHS St.Gallen.

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