Wenn der Vorhang fällt

Alles andere als Tabu: Reden über den Tod mit Betagten aus dem Betreuten Wohnen der Stiftung Halden und aus dem benachbarten Betagtenheim.

Wie stellen sich Hochbetagte ihren letzten Gang vor? Was soll nach ihrem Tod mit ihrem Körper passieren? Und wie steht es um die Angst vor dem Sterben? Acht Menschen geben Auskunft.

Der Tod führt ein ei­gen­tümli­ches Da­sein in un­se­rer Ge­sell­schaft. Er wird reich­lich be­sun­gen, ver­filmt, er­forscht und be­schrie­ben. Er be­trifft uns al­le. Er macht uns gleich. Er ist stets un­ter uns. Trotz­dem ist es al­les an­de­re als all­täglich, über das ei­ge­ne En­de nach­zu­den­ken, ge­schwei­ge denn, mit an­de­ren darüber zu re­den. Da­bei könn­te das durch­aus auch heil­sa­me Sei­ten ha­ben. Wir wis­sen zwar nichts über die gros­se Un­be­kann­te na­mens Tod, aber das Drum­her­um können wir zu­min­dest or­ga­ni­sie­ren. Das ist auch ein Akt der Selbst­be­stim­mung. 

Wir woll­ten wis­sen, wie sich hoch­be­tag­te Men­schen ih­ren letz­ten Gang vor­stel­len. Sind sie über­haupt be­reit, über die­ses The­ma zu re­den? Was soll nach ih­rem Tod mit ih­rem Körper pas­sie­ren? Ha­ben sie kon­kre­te Pläne für ih­re Be­stat­tung? Wie hal­ten sie ih­re Wünsche fest? Und wel­chen Stel­len­wert hat am Schluss ei­gent­lich der Glau­be? 

Die ers­te Fra­ge hat sich in die­sem Fall rasch erübrigt. Auf un­ser Er­su­chen bei der St.Gal­ler Stif­tung Hal­den ha­ben sich spon­tan acht Per­so­nen aus dem Be­treu­ten Woh­nen und dem be­nach­bar­ten Be­tag­ten­heim ge­mel­det, sechs Frau­en und zwei Männer, al­le zwi­schen 1929 und 1945 ge­bo­ren. Ge­rech­net ha­ben wir mit zwei bis vier Per­so­nen. Nun sit­zen sie al­le zu­sam­men am run­den Tisch und hören gar nicht mehr auf zu er­zählen. Die Stim­mung ist an­ge­regt. Es gibt nach­denk­li­che Mo­men­te, aber im­mer wie­der wird auch herz­haft ge­lacht. 

Auf­fällig ist, dass al­le nach ih­rem Tod möglichst nie­man­dem mehr Ums­tände ma­chen wol­len. Ih­re Gräber sol­len «pfle­ge­leicht und be­schei­den» sein wie sie zu ih­ren Leb­zei­ten. Ei­ne Frau hat ih­re hand­ge­schrie­be­ne Pa­ti­en­ten­ver­fügung mit­ge­bracht und zeigt sie in die Run­de. Auch die an­de­ren An­we­sen­den schei­nen gut vor­be­rei­tet zu sein. Nicht we­ni­ge ha­ben be­reits ih­re To­des­an­zei­ge ge­schrie­ben, den Le­bens­lauf hin­ter­legt und die Gäs­te­lis­te zu­sam­men­ge­stellt. Hier ein Aus­zug ih­rer Wün­sche:

Pia Maira Brenn, 1939: «Ich habe alles aufgeschrieben. Statt eines Lebenslaufs habe ich eine Danksagung verfasst. Mein Leben war schön und reich.

Auch meine Todesanzeige habe ich schon gemacht, man muss nur noch das Todesdatum einsetzen. Das habe ich alles auf dem Computer vorbereitet. Ich weiss noch, wie viel Arbeit es gab, als meine Geschwister verstorben sind.

Das will ich niemandem zumuten. Nach meinem Tod will ich kremiert werden. Die Asche soll im Albulatal beigesetzt werden, wo mein Bruder und meine Nichte leben. Sie sollen sich aber keine Arbeit mit mir machen. Ich will keinen Grabschmuck und kein bepflanztes Grab. Meine Urne ist aus Filz, damit sie irgendwann von selbst verwest.»

2504 Altersheim Halden Andri Voehringer Pia Maria Brenn

Li­na Gschwend, 1945: «Ich will im Ge­mein­schafts­grab auf dem St.Gal­ler Ost­fried­hof be­er­digt wer­den, in der Nä­he mei­nes Man­nes. Ei­ne klei­ne In­schrift reicht mir. Ich will nicht, dass nach mei­nem Tod noch je­mand mein Grab pfle­gen muss. Mein Le­bens­lauf soll nur das Wich­tigs­te be­inhal­ten: Wo ich ge­lebt und was ich ge­ar­bei­tet ha­be.»

Elisabeth Minder, 1938: «Bei uns ist der Tod eher ein Tabuthema. Wir reden nur selten darüber, obwohl wir wissen, dass wir langsam sollten. Bis jetzt habe ich erst ein paar Adressen aufgeschrieben für meine Todesanzeige. Wenn es so weit ist, möchte ich kremiert werden und ins Gemeinschaftsgrab. Es wäre mir nicht recht, wenn noch jemand extra den Grabstein pflegen müsste, und unsere Kinder leben ohnehin nicht in St.Gallen. Wichtig ist mir, dass niemand traurig ist. Wir hatten ein schönes und erfülltes Leben.»

2504 Altersheim Halden Andri Voehringer Elisabeth Minder

Kurt Minder, 1935: «Ja, das hatten wir. Wir haben beide eine Patientenverfügung für medizinische Massnahmen, und ich habe einmal ein Testament gemacht. Ich würde gerne vor meiner Frau Elisabeth sterben, aber das müssen wir zuerst noch ausjassen. Beim Rest schliesse ich mich ihr an.»

2504 Altersheim Halden Andri Voehringer Kurt Minder

The­re­se Sto­cker, 1942: «Ich ha­be ei­ne Pa­ti­en­ten­ver­fügung aus­ge­füllt und sie zei­tig mit mei­nen drei Töchtern be­spro­chen. Das Spre­chen über den Tod ist in mei­ner Fa­mi­lie selbst­ver­s­tänd­lich. Mir ist es wich­tig, dass die Ärz­te kei­ne le­bens­ver­längern­den Mass­nah­men ein­lei­ten. Mei­ne Be­er­di­gung soll so schlicht wie möglich sein, oh­ne gros­se Ze­re­mo­nie. Auch um mei­nen Le­bens­lauf sol­len sie bloss kein Tam­tam ma­chen. Mei­ne Kin­der und En­kel­kin­der sol­len mich ein­fach ins Ge­mein­schafts­grab le­gen, ein Täfel­chen mon­tie­ren und da­nach et­was Schönes zu­sam­men un­ter­neh­men. Für sie muss es pas­sen. Ich bin ja dann nicht mehr da­bei.»

Annemarie Friedli, 1932: «Ich kann gut über das Sterben reden. Der Tod gehört zum Leben, und was gesagt werden muss, habe ich längst gesagt. Ich bin Schneiderin. Das Kleid, in dem ich sterben werde, nähe ich selber. Danach will ich in meinem Heimatort Bernhardzell, wo ich 60 Jahre lang gelebt habe, beerdigt werden. Im Gemeinschaftsgrab. Das habe ich bereits so besprochen mit dem dortigen Pfarreileiter. Als ich jung war, wurden nur die Protestanten kremiert und die Katholischen mussten auf einem Friedhof im Nachbardorf beerdigt werden. Heutzutage spielt die Religion nicht mehr so eine grosse Rolle, dafür diskutieren wir über Themen wie Sterbehilfe.»

2504 Altersheim Halden Andri Voehringer Annemarie Friedli

Mar­grith Zähn­ler, 1942: «Ich bin ja ei­gent­lich fremd hier. Uz­wil war mei­ne Hei­mat, aber dort war­tet nie­mand auf mich, dar­um muss ich nicht un­be­dingt wie­der zu­rück. Vie­le Ge­dan­ken ha­be ich mir bis jetzt nicht ge­macht. Ein­fach und be­quem soll mein Grab sein.»

Adolf Lutz, 1929: «Mit meiner Frau habe ich oft über den Tod gesprochen. Wir haben früh eine Patientenverfügung gemacht und mit den Kindern geredet. Auch die Gästeliste für die Bestattung und die Lebensläufe haben wir zusammen gemacht. Sie ist leider zuerst gegangen. Jetzt warte ich, bis auch meine Zeit gekommen ist. Dann möchte ich mich ebenfalls kremieren lassen. Ich habe nachgeschaut: Es gibt keine Stelle in der Bibel, die das verbietet. Meine Frau liegt in einem Wiesengrab unter einer Steinplatte. Dort haben wir Platz gelassen für meinen Namen.»

2504 Altersheim Halden Andri Voehringer Adolf Lutz

Je län­ger das Ge­spräch dau­ert, des­to an­ge­reg­ter ist die Dis­kus­si­on. Auch der ge­sell­schaft­li­che Um­gang mit dem Ster­ben gibt zu Re­den. Für Ir­ri­ta­ti­on sorgt zum Bei­spiel, dass oft nicht of­fen kom­mu­ni­ziert wer­de, wenn je­mand stirbt. So ver­pas­se man die Ge­le­gen­heit, von­ein­an­der Ab­schied zu neh­men. «Wenn ich im Ster­ben lie­ge, will ich, dass man das im Spei­se­saal öf­fent­lich ver­kün­det», sagt et­wa An­ne­ma­rie Fried­li. «Ihr könnt dann auf­hö­ren, mir ‹Gu­te Bes­se­rung› zu wün­schen.»

Vie­le kri­ti­sie­ren, dass man die Men­schen heut­zu­ta­ge zu lan­ge am Le­ben hält «mit Che­mie­keu­len und teu­ren Me­di­ka­men­ten». Man­che wün­schen sich auch, dass das Ster­ben mit Ster­be­hil­fe­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Exit in Be­tag­ten­hei­men ge­ne­rell er­laubt wer­den soll. Stand heu­te ist das von In­sti­tu­ti­on zu In­sti­tu­ti­on ver­schie­den. Es gibt Hei­me, die Ster­be­wil­li­ge, die von Exit be­glei­tet ge­hen wol­len, zum Ster­ben um­quar­tie­ren, so auch das Be­tag­ten­heim Hal­den.

Al­le in der Run­de wün­schen sich ein schnel­les und schmerz­lo­ses En­de. Man­che sa­gen, dass sie schon heu­te zu ge­hen be­reit wä­ren. Was nicht heisst, dass sie kei­ne Angst hät­ten vor dem Mo­ment des Ster­bens. «Ich ha­be gros­se Angst da­vor, fast schon Pa­nik», sagt zum Bei­spiel Eli­sa­beth Min­der. «Weil ich mir ein­fach nicht vor­stel­len kann, wie das sein wird. Dar­um fällt es mir auch schwer, dar­über zu re­den.» Selbst The­re­se Sto­cker, die als ehe­ma­li­ge Ge­mein­de­schwes­ter dem Tod stets sehr na­he war und das Ster­ben als ei­nes ih­rer «Le­bens­the­men» be­zeich­net, ist nicht frei von Angst. «Mir graut es vor mög­li­cher Atem­not.»

«Ster­ben kann ja auch ei­ne Freu­de sein», gibt Adolf Lutz zu be­den­ken. «Mei­ne Frau hat im­mer ge­sagt, dass sie hin­ter der Brü­cke auf ei­nem Bänk­lein auf mich war­te. Mit die­sem Bild vor Au­gen wer­de ich hin­über­ge­hen. Dann sind wir wie­der bei­ein­an­der. Dar­auf freue ich mich.»