Der Tod führt ein eigentümliches Dasein in unserer Gesellschaft. Er wird reichlich besungen, verfilmt, erforscht und beschrieben. Er betrifft uns alle. Er macht uns gleich. Er ist stets unter uns. Trotzdem ist es alles andere als alltäglich, über das eigene Ende nachzudenken, geschweige denn, mit anderen darüber zu reden. Dabei könnte das durchaus auch heilsame Seiten haben. Wir wissen zwar nichts über die grosse Unbekannte namens Tod, aber das Drumherum können wir zumindest organisieren. Das ist auch ein Akt der Selbstbestimmung.
Wir wollten wissen, wie sich hochbetagte Menschen ihren letzten Gang vorstellen. Sind sie überhaupt bereit, über dieses Thema zu reden? Was soll nach ihrem Tod mit ihrem Körper passieren? Haben sie konkrete Pläne für ihre Bestattung? Wie halten sie ihre Wünsche fest? Und welchen Stellenwert hat am Schluss eigentlich der Glaube?
Die erste Frage hat sich in diesem Fall rasch erübrigt. Auf unser Ersuchen bei der St.Galler Stiftung Halden haben sich spontan acht Personen aus dem Betreuten Wohnen und dem benachbarten Betagtenheim gemeldet, sechs Frauen und zwei Männer, alle zwischen 1929 und 1945 geboren. Gerechnet haben wir mit zwei bis vier Personen. Nun sitzen sie alle zusammen am runden Tisch und hören gar nicht mehr auf zu erzählen. Die Stimmung ist angeregt. Es gibt nachdenkliche Momente, aber immer wieder wird auch herzhaft gelacht.
Auffällig ist, dass alle nach ihrem Tod möglichst niemandem mehr Umstände machen wollen. Ihre Gräber sollen «pflegeleicht und bescheiden» sein wie sie zu ihren Lebzeiten. Eine Frau hat ihre handgeschriebene Patientenverfügung mitgebracht und zeigt sie in die Runde. Auch die anderen Anwesenden scheinen gut vorbereitet zu sein. Nicht wenige haben bereits ihre Todesanzeige geschrieben, den Lebenslauf hinterlegt und die Gästeliste zusammengestellt. Hier ein Auszug ihrer Wünsche:
Pia Maira Brenn, 1939: «Ich habe alles aufgeschrieben. Statt eines Lebenslaufs habe ich eine Danksagung verfasst. Mein Leben war schön und reich.
Auch meine Todesanzeige habe ich schon gemacht, man muss nur noch das Todesdatum einsetzen. Das habe ich alles auf dem Computer vorbereitet. Ich weiss noch, wie viel Arbeit es gab, als meine Geschwister verstorben sind.
Das will ich niemandem zumuten. Nach meinem Tod will ich kremiert werden. Die Asche soll im Albulatal beigesetzt werden, wo mein Bruder und meine Nichte leben. Sie sollen sich aber keine Arbeit mit mir machen. Ich will keinen Grabschmuck und kein bepflanztes Grab. Meine Urne ist aus Filz, damit sie irgendwann von selbst verwest.»

Lina Gschwend, 1945: «Ich will im Gemeinschaftsgrab auf dem St.Galler Ostfriedhof beerdigt werden, in der Nähe meines Mannes. Eine kleine Inschrift reicht mir. Ich will nicht, dass nach meinem Tod noch jemand mein Grab pflegen muss. Mein Lebenslauf soll nur das Wichtigste beinhalten: Wo ich gelebt und was ich gearbeitet habe.»
Elisabeth Minder, 1938: «Bei uns ist der Tod eher ein Tabuthema. Wir reden nur selten darüber, obwohl wir wissen, dass wir langsam sollten. Bis jetzt habe ich erst ein paar Adressen aufgeschrieben für meine Todesanzeige. Wenn es so weit ist, möchte ich kremiert werden und ins Gemeinschaftsgrab. Es wäre mir nicht recht, wenn noch jemand extra den Grabstein pflegen müsste, und unsere Kinder leben ohnehin nicht in St.Gallen. Wichtig ist mir, dass niemand traurig ist. Wir hatten ein schönes und erfülltes Leben.»

Kurt Minder, 1935: «Ja, das hatten wir. Wir haben beide eine Patientenverfügung für medizinische Massnahmen, und ich habe einmal ein Testament gemacht. Ich würde gerne vor meiner Frau Elisabeth sterben, aber das müssen wir zuerst noch ausjassen. Beim Rest schliesse ich mich ihr an.»

Therese Stocker, 1942: «Ich habe eine Patientenverfügung ausgefüllt und sie zeitig mit meinen drei Töchtern besprochen. Das Sprechen über den Tod ist in meiner Familie selbstverständlich. Mir ist es wichtig, dass die Ärzte keine lebensverlängernden Massnahmen einleiten. Meine Beerdigung soll so schlicht wie möglich sein, ohne grosse Zeremonie. Auch um meinen Lebenslauf sollen sie bloss kein Tamtam machen. Meine Kinder und Enkelkinder sollen mich einfach ins Gemeinschaftsgrab legen, ein Täfelchen montieren und danach etwas Schönes zusammen unternehmen. Für sie muss es passen. Ich bin ja dann nicht mehr dabei.»
Annemarie Friedli, 1932: «Ich kann gut über das Sterben reden. Der Tod gehört zum Leben, und was gesagt werden muss, habe ich längst gesagt. Ich bin Schneiderin. Das Kleid, in dem ich sterben werde, nähe ich selber. Danach will ich in meinem Heimatort Bernhardzell, wo ich 60 Jahre lang gelebt habe, beerdigt werden. Im Gemeinschaftsgrab. Das habe ich bereits so besprochen mit dem dortigen Pfarreileiter. Als ich jung war, wurden nur die Protestanten kremiert und die Katholischen mussten auf einem Friedhof im Nachbardorf beerdigt werden. Heutzutage spielt die Religion nicht mehr so eine grosse Rolle, dafür diskutieren wir über Themen wie Sterbehilfe.»

Margrith Zähnler, 1942: «Ich bin ja eigentlich fremd hier. Uzwil war meine Heimat, aber dort wartet niemand auf mich, darum muss ich nicht unbedingt wieder zurück. Viele Gedanken habe ich mir bis jetzt nicht gemacht. Einfach und bequem soll mein Grab sein.»
Adolf Lutz, 1929: «Mit meiner Frau habe ich oft über den Tod gesprochen. Wir haben früh eine Patientenverfügung gemacht und mit den Kindern geredet. Auch die Gästeliste für die Bestattung und die Lebensläufe haben wir zusammen gemacht. Sie ist leider zuerst gegangen. Jetzt warte ich, bis auch meine Zeit gekommen ist. Dann möchte ich mich ebenfalls kremieren lassen. Ich habe nachgeschaut: Es gibt keine Stelle in der Bibel, die das verbietet. Meine Frau liegt in einem Wiesengrab unter einer Steinplatte. Dort haben wir Platz gelassen für meinen Namen.»

Je länger das Gespräch dauert, desto angeregter ist die Diskussion. Auch der gesellschaftliche Umgang mit dem Sterben gibt zu Reden. Für Irritation sorgt zum Beispiel, dass oft nicht offen kommuniziert werde, wenn jemand stirbt. So verpasse man die Gelegenheit, voneinander Abschied zu nehmen. «Wenn ich im Sterben liege, will ich, dass man das im Speisesaal öffentlich verkündet», sagt etwa Annemarie Friedli. «Ihr könnt dann aufhören, mir ‹Gute Besserung› zu wünschen.»
Viele kritisieren, dass man die Menschen heutzutage zu lange am Leben hält «mit Chemiekeulen und teuren Medikamenten». Manche wünschen sich auch, dass das Sterben mit Sterbehilfeorganisationen wie Exit in Betagtenheimen generell erlaubt werden soll. Stand heute ist das von Institution zu Institution verschieden. Es gibt Heime, die Sterbewillige, die von Exit begleitet gehen wollen, zum Sterben umquartieren, so auch das Betagtenheim Halden.
Alle in der Runde wünschen sich ein schnelles und schmerzloses Ende. Manche sagen, dass sie schon heute zu gehen bereit wären. Was nicht heisst, dass sie keine Angst hätten vor dem Moment des Sterbens. «Ich habe grosse Angst davor, fast schon Panik», sagt zum Beispiel Elisabeth Minder. «Weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, wie das sein wird. Darum fällt es mir auch schwer, darüber zu reden.» Selbst Therese Stocker, die als ehemalige Gemeindeschwester dem Tod stets sehr nahe war und das Sterben als eines ihrer «Lebensthemen» bezeichnet, ist nicht frei von Angst. «Mir graut es vor möglicher Atemnot.»
«Sterben kann ja auch eine Freude sein», gibt Adolf Lutz zu bedenken. «Meine Frau hat immer gesagt, dass sie hinter der Brücke auf einem Bänklein auf mich warte. Mit diesem Bild vor Augen werde ich hinübergehen. Dann sind wir wieder beieinander. Darauf freue ich mich.»