Wenig hilfreiche Online-Wahlhilfen

Bei den St. Galler Kantonsratswahlen vom 11. März 2012 bieten gleich zwei Online-Wahlhelfer-Plattformen ihre Dienste der unentschlossenen Wählerschaft an: Smartvote aus der Küche des Lausanner Politologie-Professors Andreas Ladner und Vimentis, ein Wähler-Coaching, das jetzige und frühere HSG-Studis entwickelt und ins Netz gestellt haben. Die Funktionsweise ist bei beiden Angeboten so ziemlich dieselbe: Die Wählenden geben […]
Von  Harry Rosenbaum

Bei den St. Galler Kantonsratswahlen vom 11. März 2012 bieten gleich zwei Online-Wahlhelfer-Plattformen ihre Dienste der unentschlossenen Wählerschaft an: Smartvote aus der Küche des Lausanner Politologie-Professors Andreas Ladner und Vimentis, ein Wähler-Coaching, das jetzige und frühere HSG-Studis entwickelt und ins Netz gestellt haben.

Die Funktionsweise ist bei beiden Angeboten so ziemlich dieselbe: Die Wählenden geben anhand eines Fragenkataloges ihr politisches Forderungs-Profil in den Compi ein, welches dann der Rechner mit den zuvor von den Kandidierenden eingetöggelten politischen Dienstbarkeits-Profilen abgleicht. Nach wenigen Sekunden kann das Ergebnis dieses Polit-Contest als Liste samt Grafik ausgedruckt werden. Zuoberst rangieren die Kandidatinnen und Kandidaten respektive Parteien, bei denen das Computerprogramm die meisten Übereinstimmungen der Profile festgestellt hat.

 

Gewiss gibt es Leute, die es nicht stört, ihr politisches Bewusstsein im Cyberspace aufzubereiten wie in der Mikrowelle und das, was der Computer ausgespuckt hat, auf die Wahllisten zu übertragen und in die Urne zu stecken. Viele heiraten ja auch schon auf ähnliche Weise und werden glücklich dabei.

 

Etwas altmodischere oder vielleicht sensiblere Staatsbürger und Staatsbürgerinnen – ich erlaube mir, mich zu dieser Kategorie zu zählen – tun sich wahrscheinlich eben nicht leicht mit der gewiss lieb gemeinten Online-Wahlhilfe, wie sie gleich im Doppel für die St. Galler Wahl angeboten wird.

 

Politisch stehe ich eindeutig links von der SP. So gesehen sind meine Klientenerwartungen nicht leicht zu befriedigen. Für solche Leute gibts bei der St. Galler Wahl keinen massgeschneiderten Tipp. Welche Partei, die Sitze im Kantonsparlament anstrebt, politisiert denn schon auf dieser Position. Also hätte es mich schon beruhigt, wenn mir von der digitalen Wahlhilfe Polit-Persönlichkeiten angeboten worden wären, bei denen ein bisschen Gesinnungsverwandtschaft durchgeschimmert hätte.

 

Aber weit gefehlt: Der Vimentis-Rechner hat scheinbar nicht mal das geringste politisches Grobgefühl. Macht der mich doch einfach zu 22 Prozent zu einem Parteigänger der Schweizer Demokraten! Hat man da noch Töne? Das ist grobe Ehrverletzung und üble Nachrede im Doppelpack. Und zu 28 Prozent meiner 72 Kilogramm Körpergewicht passe ich auch noch ins potenzielle Wählerpublikum der EVP.

 

Da versöhnt es mich natürlich überhaupt nicht, wenn Vimentis mir noch gnädigst 56 Prozent SP, 58 Prozent Grüne und 59 Prozent Junge Grüne zugesteht. Und bei der Suche nach kandidierenden Einzelmasken, die meinem politischen Wesen verwandt scheinen, werde ich zu 56 Prozent mit dem Profil einer EVP-Walküre verknüpft und zu 50 Prozent ins Profil eines ihrer Parteikollegen eingewoben.

 

Nicht ganz so shocking wie bei Vimentis ist die Wahlhilfe von Smartvote. Von Rang 1 bis 7 werden mir SP-Kandidatinnen und Kandidaten angeboten. Die Richtung ist wenigstens in etwa richtig. Aber fast die Hälfte zählt wahrscheinlich zur Lifestyle-Linken, das jedenfalls mein Eindruck nach dem Durchlesen der Profile. – Auf Platz 8 dann eine Grüne. Und in den Rängen 9 bis 13 wieder Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen. Und die sind, so wie ich sie zu kennen glaube, einiges linker als die erste Staffel.

 

Mit den Parteizuweisungen kann ich leben: SP, PPS Piratenpartei, Junge Grüne, Hauptliste Grüne. – Aber die SVP ist mir von Smartvote in unerklärlicher Verkennung meines politischen Credos auch noch untergejubelt worden, wenn auch auf dem letzten Rang, aber immerhin mit 33,4 Prozent.

 

Ich habe jetzt den bösen Verdacht, die Online-Wahlhilfen sind auf Wahlempfehlungsbasis irgendwie Provisionsbezüger der kandidierenden Parteien und Personen. Wie sonst ist es möglich, dass ein Linker unversehens Rechtsextreme als Variabilitäten vorgeschlagen bekommt. So bescheuert bin ich nun auch wieder nicht, dass ich mir das hätte selbst eingebrocken können, etwa durch unklare, missverständliche Formulierungen im Eigenprofil.

 

Mein Rat deshalb: Hände weg von den Online-Wahlhilfen. Politik ist nicht der Eurovision Song Contest. Einige formulieren das sogar noch sehr viel schärfer und sagen: Scharlatanerie. Und ob – Smartvote hat bei der Wahl des Kantonsparlamentes im Kanton Freiburg im vergangenen November Kandidierende empfohlen, die gar kein Profil hinterlegt hatten. – Vielleicht gerät auch darum ein erklärter Linker plötzlich ins Parteigehege populistischer Rechter.