«Weil wir dem Publikum alles zutrauen»

Die Ostschweiz wird in der Restschweiz nicht wahrgenommen? Stimmt zumindest kulturell für einmal nicht – gleich mehrere nationale Preise gehen in die Ostschweiz, darunter der Grand Prix Theater an das Theater Sgaramusch.
Von  Peter Surber

Für den grandiosesten Preis muss man die Ostschweiz zwar etwas grosszügig auslegen, aber nicht bis nach Zürich, nur bis Schaffhausen: Das dort beheimatete freie Theater Sgaramusch erhält den Hans Reinhart-Ring, den Grand Prix Theater der Schweiz, «für sein beharrliches Engagement im Kinder- und Jugendtheater».

Der Preis ist mit 100’000 Franken dotiert. Die Ehrung sei «in der Tat fast umwerfend», sagt die Co-Leiterin des Ensembles, Nora Vonder Mühll, und fügt bescheiden an: «auch weil wir klein sind und es 20 andere gäbe, die den Preis auch verdient hätten».

«Ohne didaktischen Zeigefinger»

Sgaramusch, 1982 von Urs Beeler gegründet, wird seit über zwanzig Jahren von Nora Vonder Mühll und Stefan Colombo geleitet. Es bringe «anregende Stücke ohne didaktischen Zeigefinger auf die Bühne, die auch für Erwachsene sehenswert sind». Aktuell ist in der Region das Stück Alleidihei (Winterthurer Theaterfrühling, 7. bis 9. Mai) zu sehen. Der Preis betone auch die Wichtigkeit des Kinder- und Jugendtheaters.

Stefan Colombo und Nora Vonder Mühll in «Knapp e Familie».

Sein Theaterverständnis umschreibt Sgaramusch in einem Selbstporträt so: «Die schönsten und gefährlichsten Bühnenbilder entstehen in den Köpfen der Zuschauerinnen. Die abgründigsten, aber auch überfliegendsten Gefühle wachsen in den Herzen des Publikums. Die kniffligsten Fragen stellen neugierige Kinder. Die besten Antworten gibt man sich selbst. Deshalb macht Sgaramusch Theater, das Geschichten, Gefühle und Fragen aus den Zuschauerinnen und Zuschauern herauskitzelt. Weil wir dem Publikum alles zutrauen.»

2001 hatte der damalige St.Galler Theaterdirektor Peter Schweiger den Hans Reinhart-Ring erhalten; von Maria Becker und Heinrich Gretler über Rolf Liebermann, Dimitri oder Christoph Marthaler bis zu Gardi Hutter und zuletzt Ursina Lardi reicht die imposante Liste der seit 1957 Ausgezeichneten.

Daneben vergibt das BAK fünf mit je 30’000 Franken dotierte Theaterpreise. Einer hat ebenfalls Ostschweizer Stossrichtung: Er geht an Gabi Bernetta, Kulturmanagerin und Initiantin und Leiterin des St.Galler Festivals Jungspund für ein junges Theaterpublikum (an dessen erster Durchführung im Februar 2018 auch Sgaramusch mit Knapp e Familie zu sehen war). Die weiteren Preisträger sind Anne Bisang, Leiterin des Théâtre Populaire Romand in La-Chaux-de-Fonds, der Genfer Schauspieler und Regisseur Oscar Gomez Mata, der Zürcher Musiker und Regisseur Ruedi Häusermann und das Basler Festival Wildwuchs.

Kulturdirektor Alain Berset vergibt die Preise am 24. Mai am Schweizerischen Theatertreffen im Zürcher Schiffbau.

Erbprozent zeichnet Sitterwerk und Lika Nüssli aus

Noch vorher, am 6. Mai auf dem Säntis, vergibt die nationale, vor vier Jahren in Heiden gegründete Stiftung Erbprozent zum zweiten Mal ihre Fördergelder, dies im Rahmen der Ausserrhoder Kulturlandsgemeinde. An drei Institutionen und fünf Kulturschaffende gehen insgesamt 115’000 Franken Förderbeiträge.

Unter dem Titel «Wertschätzung» wird die Stiftung Sitterwerk St.Gallen mit 40’000 Franken gefördert. Das Sitterwerk verfüge über einen unschätzbaren Wissensfundus und habe sich als Zentrum für künstlerische Forschung, Recherche und Produktion etabliert. Das ganze Team trage «Hand in Hand, mit Leidenschaft und hoher Sachkenntnis zur Weiterentwicklung des kulturellen und künstlerischen Schaffens bei», heisst es in der Begründung.

Lika Nüssli: Fördergeld für Mentoring.

Fünf Kulturschaffende erhalten ein Mentoring-Stipendium («Wahlverwandtschaften») im Betrag von 25’000 Franken. Zu ihnen gehört die St.Galler Zeichnerin Lika Nüssli sowie Lena Maria Thüring (Zürich, Video / Kunst), Manuel Troller (Basel, Musik / Komposition), Carmen Stadler (Zürich, Film) und Sinae Yoo (Bern, Video / Kunst). Zwei weitere Preise unter dem Titel «Vertrauen» beziehungsweise «Publikum» erhalten das Zürcher Musikprogramm Galotti und der Berner Verein BewegGrund.

Das Geld stammt aus Vorlässen, also Schenkungen, die Erbversprechende der Stiftung zu Lebzeiten vermachten, und von Erbenden, die einen Beitrag aus Nachlässen der Stiftung anvertrauten.