
Anita Zimmermann, Nadja Keusch, Fabian Rietmann, Jan Fischer und Kerstin Forster. (Illustration: Louis Vaucher)
Kreativität ist die Fähigkeit zu neuen, schöpferischen Ideen und/oder Taten. Dafür braucht es keinen Standort. Ich erinnere mich, als vor 35 oder 40 Jahren auf beiden Seiten beim Stadteingang (im Lachenquartier und beim Stephanshorn) eine grosse Blache über der Strasse hing: «St.Gallen mit Pfiff». Doch kein Pfiff weit und breit.
Dass das GBS nicht kreativer ist, erstaunt mich nicht. Wir hätten gerne eine Hochschule gehabt hier. Aber ehrlich gesagt, könnte auch eine Hochschule das nicht wett machen. St.Gallen ist sehr aufgeräumt. Das ist ein Kompliment. Aber wir wagen nichts und sind hier sehr verhalten. Alles von aussen ist viel spannender. Und trotzdem verhindern wir uns ständig.
Wir haben tolle Bands, die für sich ein Ventil gefunden haben. Unsere Kulturplätze sind zahlreich und spannend. Kultur ist wichtig. Damit muss aber eine Stadt nicht prahlen oder werben. Eher schauen, dass diese Plätze gut finanziert werden. Der «Kreativstandort» St.Gallen braucht darum mehr Kulturgelder.
Kreativität ist ohnehin ein blödes Reizwort. Oder besser: Nur eine Handlung kann kreativ sein, nicht eine Stadt – und sicher nicht die Wirtschaft. St.Gallen ist weder kreativ noch innovativ und vor allem nicht visionär. Punkt. Die Gesellschaft ist zurzeit so getrieben von der Wirtschaft, welche Kreativität verhindert. Mich macht – wegen dem allem – unsere Stadt sehr kämpferisch, beweglich und kreativ. Weil mir hier viel fehlt. Ich bin eine Kunstaktivistin.
Anita Zimmermann alias Leila Bock ist Künstlerin mit einer Vorliebe für Zwischennutzungsprojekte.
Als Projektleiterin bin ich zwar in der Kreativbranche tätig, aber selbst nicht kreativ. Wenn ich an die Kreativszene denke, kommen mir zum einen die Konzeptkünstler:innen und zum anderen die bildenden oder visuellen Künstler: innen in den Sinn. Von aussen betrachtet sind das zwei verschiedene Szenen, die sich aber an verschiedensten Anlässen kreuzen. Ein für mich klassischer Ort für visuelle Künstler:innen ist die Analog Bar.
Da die St.Galler Grafik schon lange bekannt und wichtiger Bestandteil der Schweizer Grafik-Tradition ist, ist für mich die minimalistische und funktionale Gestaltung Teil des «St.Galler Stils».
Ich unterscheide stark zwischen Kreativszene und Kreativwirtschaft. In der Kreativwirtschaft wird auf Wunsch von Kund:innen designt. Persönliche Stile fliessen mit ein, vieles ist aber vorgegeben. Die Kreativität ist zwar weiterhin erwünscht, jedoch in der Ausführung eingeschränkt. Die Kreativszene ist in meinen Augen nicht eingeschränkt und designt Projekte in vollständig eigenem Stil und kreativem Denken.
Vom «Kreativstandort St.Gallen» wünsche ich mir mehr Raum für Kreativschaffende, weniger bürokratische Hürden bei Projekten und mehr Mut für kreative Ecken in St.Gallen.
Nadja Keusch ist Projektleiterin in einer Agentur für Neurobranding und Packaging Design.
Für mich setzt sich die Kreativszene zusammen aus den unterschiedlichen Kreativbranchen sowie den Leuten, die durch ihre Kreativität die Szene beleben. Dazu benötigt es auch Räume, die von Kreativen geschaffen und bespielt werden, wie zum Beispiel das Haus zur Ameise. Die Kreativwirtschaft ist für mich nur ein Teil aus der Kreativszene, da nicht jede Kreativität wirtschaftlich orientiert ist.
Der «St.Galler Stil» im Designbereich ist rasterbasiert. Hinter jedem Design verbirgt sich ein Raster, bei dem jedes Element seinen bestimmten und begründbaren Platz hat. Die meisten in St.Gallen ausgebildeten Grafiker:innen sind von Jost Hochuli geprägt, der für mich der Gründervater des «St.Galler Stils» ist. Viele aktuelle Arbeiten im Raum St.Gallen bauen darauf auf und sind mit den heutigen Einflüssen erweitert.
Für den «Kreativstandort St.Gallen» wünsche ich mir mehr Freiheiten und Akzeptanz gegenüber den Kreativen. Zudem würde mehr Vielfalt in den Projektvergaben, was auch mehr öffentliche Ausschreibungen beinhaltet, der Entwicklung helfen.
Fabian Rietmann ist Interaction Designer und Mitinhaber von FF Graphics.
Bei der St.Galler Kreativszene denke ich an Konzerte von Punkrock bis Elektro, an die zugehörigen Plakate und überhaupt: Plakatkunst und Typografie. An die GBS und die Schule für Gestaltung als eine Keimzelle der Kreativwirtschaft und -szene. An wilde, pure Kunst, das kleinste Skigebiet der Welt und eine wunderbare Museumsdichte. Vom «Kreativstandort» St.Gallen wünsche ich mir viel Freude an Schönheit aller Beteiligten und für die Kreativen Underground-Kompliz:innenschaft und ästhetische und moralische Ambition im Sinne Rutger Bregmans.
St.Galler Einflüsse gibt es in der Typografie, Mode, im Textildesign und natürlich der Stickerei. Eine «St.Galler Schule» sehe ich am ehesten in der Schriftgestaltung um Jost Hochuli, seinen Freund:innen und Schüler:innen. Die interessante Frage ist ja, was es braucht, dass sich eine solche hier entwickeln kann – egal in welcher Disziplin. Im Kern sicherlich eine Gruppe entschlossener Geister, beseelt und befeuert von gemeinsamen Überzeugungen und einer Idee, die den Zeitgeist trifft – oder ihn mit formt. Hilfreich ist auch eine starke Institution, die Begegnungen solcher Geister wahrscheinlicher macht und intensiviert.
Ich behaupte, dass eine Designszene, die neu und kraftvoll ist, fast immer erfolgreiches Wirtschaften mit sich zieht. Umgekehrt gilt das nicht. Zum Beispiel in der Bauwirtschaft: Wenn der Fokus darauf liegt, mit einem «Objekt» rasch viel Geld zu machen, gelingt das hierzulande heutzutage zwar meistens, aber es steckt oft wenig gestalterische Qualität dahinter. Diese muss in der Umsetzung nicht zwangsläufig teuer sein. Die aktuelle Forschung und Publikation 33,3%-Haltung von Architekt Jan De Vylder und seinem Team an der ETH treibt das auf die Spitze: maximal sparsam gute Architektur gestalten. Es ist spannend, was sich gerade in der Architektur tut, getrieben von technologischen Möglichkeiten, gesellschaftlichen Veränderungen, neuen Idealen, Überzeugungen und dem Primat der Nachhaltigkeit. Stichworte sind neue Wohntypologien, hybride Konstruktionen, Transformation und radikale Symbiosen – reichlich Inhalt und Aufbruchsmaterial für eine starke Architekturszene.
Jan Fischer leitete von 2018 bis 2024 den Bereich Weiterbildung und Brückenangebote der GBS und studiert heute Architektur in der Architektur Werkstatt St.Gallen.
Privat denke ich bei der Kreativszene an Initiativen wie im Moment der «Graue Himmel» und die Vorgängerevents (Geiler Block, Himmel Helvetia etc.) sowie an die Literatur- und Theaterszene, die immer wieder mit ihrer Forderung nach einem offenen Kulturhaus auf sich aufmerksam macht. Beruflich bin ich in die Grafik- und Architekturszene involviert, meine Verlagskollegin Andrea Wiegelmann ist im Vorstand vom Architektur Forum Ostschweiz und ich habe viele Jahre bei der Tÿpo St.Gallen mitgewirkt. Als Verlag sind uns natürlich die anderen Verlage (zum Beispiel VGS, Jungle Books oder Vexer) ein Anliegen, aber auch generell die Buchgestalter:innen, Buchhandlungen, Literaturveranstaltungen und -orte.
Ob es einen «St.Galler Stil» gibt? Schwer zu sagen. Es gibt ihn eher «nicht mehr», denn wie in vielen Bereichen werden die Stile immer internationaler, auch gleichförmiger. Im Bereich Grafik hat beispielsweise Jost Hochuli sicher einen St.Galler Stil und auch eine entsprechende Haltung unterrichtet. Bis heute ist seine Arbeit als Buchgestalter international hochgeschätzt, was Ausstellungen weltweit beweisen. In der Schweiz wird ihm kaum mehr Beachtung geschenkt, leider.
Der Unterschied zwischen Kreativszene und Kreativwirtschaft: Einfach erklärt, ist die Kreativwirtschaft die Summe aller Szenen, vergleichbar mit dem Tourismus, der sich auch aus verschiedenen Betriebszweigen (Hotel, Gastro, Sport usw.) zusammensetzt. Die Kreativwirtschaft als solches, auch als Begriff, ist in St.Gallen wenig etabliert – obwohl sie wirtschaftlich mächtig ist. Allerdings ist sie noch zu wenig vernetzt. Punktuell schon, aber es gibt kein etabliertes Designforum oder -museum, wiederkehrende Veranstaltungen, wo die Branche regelmässig auch nach aussen sichtbar zusammenfindet und sich präsentiert.
Die Design Week ist eine gute Sache für den «Kreativstandort» St.Gallen. Sie macht endlich sichtbar, wie viele Agenturen, Institutionen und Betriebe hier tätig sind, und auch, welche wirtschaftliche Bedeutung die Kreativwirtschaft in der Stadt und der Region hat. Ich hoffe, dass viele bei der Design Night mitmachen und ihre Türen öffnen. So kann sich das Publikum ein Bild machen, was in den Ateliers passiert. Der Triest Verlag macht jedenfalls mit.
Kerstin Forster ist Verlegerin des Triest Verlags, den sie 2015 mit Andrea Wiegelmann gegründet hat, Geschäftsleiterin der VGS Verlagsgenossenschaft St.Gallen und Lektorin.

Luisa Zürcher, Larissa Kasper, Juri Roemmel, Ladina Bischof und Johannes Stieger. (Illustration: Louis Vaucher)
Bei der St.Galler Kreativszene denke ich an die Filmszene (vor allem an junge Finta-Personen in meinem Umfeld, die gerade versuchen, sich mehr zu vernetzen, und an das 2023 ins Leben gerufene sexpositive Festival Glitch), an die Kunstbubble, wo mir vor allem das AUTO, das Kunstmuseum und die Kunsthalle einfallen, die hauptsächlich Bildende Kunst machen, aber auch Einzelpersonen wie Julia Kubik und Manuel Stahlberger, die überall ein bisschen zu Hause sind und auch auf der Bühne stehen. Auch die Musikszene ist für mich sehr präsent, wo über Musikvideos oft der Austausch und die Überschneidung zu den Kunstis entsteht.
Den grössten Unterschied zwischen Kreativszene und Kreativwirtschaft sehe ich im Antrieb: Filmstudios, Designer oder Grafiker:innen arbeiten eher auf Auftrag, während selbstständige Künstler: innen öfters eigene Projekte umsetzen und etwas freier unterwegs sein dürfen, aber dafür auch mehr auf Kulturförderung oder Nebenjobs angewiesen sind.
Von einem Kreativstandort wünsche ich mir Austausch zwischen Menschen aus verschiedenen Sparten, wo ein gewisser Zusammenhalt entstehen könnte, und Raum, aus dem sich gemeinsame Projekte entwickeln könnten. Ich denke dabei auch sofort an eine fehlende Kunsthochschule, bei der genau diese Dinge von alleine passieren; an gemeinsame Atelierräume, die einfach fehlen in St.Gallen.
Luisa Zürcher ist selbständige Filmemacherin und Illustratorin.
Als Kreativszene verstehe ich in erster Linie all die Kollektive und Ateliers hier in St.Gallen. Menschen, die sich zusammenschliessen, um sich kreativ auszutauschen oder gemeinsam an Projekten zu arbeiten. Räumlichkeiten, die diesen Dialog ermöglichen.
Als wir 2024 mit unserem Verlag Jungle Books den Jan-Tschichold-Preis erhielten, sprach das Bundesamt für Kultur von einer «St.Galler Szene, die man geradezu als St.Galler Schule bezeichnen möchte». Ich denke, dass dieser «Stil» weniger eine einheitliche gestalterische Handschrift beschreibt, sondern vielmehr eine bemerkbare Präsenz innerhalb der von den grossen Schweizer Städten geprägten Designlandschaft. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass junge Gestalter:innen vermehrt nach St.Gallen zurückkehren und hier ihr Basislager aufschlagen.
Es gibt durchaus Schnittstellen zwischen Kreativszene und Kreativwirtschaft, aber die Kreativszene ist für mich ein Netzwerk, das durch Austausch, Inspiration und gegenseitige Förderung entsteht – mit dem Ziel, sich gemeinsam weiterzuentwickeln. In der Kreativwirtschaft spüre ich weniger Austausch, dafür mehr Wettbewerb – und das Ziel, sich schneller und erfolgreicher als die Konkurrenz weiterzuentwickeln.
Wenn ich mir vom «Kreativstandort» St.Gallen etwas wünschen könnte, wären es mehr subventionierte Atelierräume.
Larissa Kasper ist Grafikdesignerin, Verlegerin und Mitinhaberin von Kasper-Florio und Jungle Books.
Aus meiner Perspektive, die stark von Design und Grafik geprägt ist, denke ich bei der Kreativszene eher an eine Nische, die mehrheitlich unter dem Radar agiert – zumindest in St.Gallen. Auffällig oft sind es kleinere Studios, die über die Grenzen von St.Gallen und der Schweiz hinaus wahrgenommen werden, während grössere Agenturen eher lokal oder national tätig sind.
Da ich in der Westschweiz studiert habe und auch mit vielen Gestalter:innen aus anderen Teilen der Welt zusammenarbeiten konnte, habe ich mehrfach festgestellt, dass meine Kolleg:innen ein bestimmtes Bild von der Gestaltung in der Schweiz und speziell der Ostschweiz haben. Der oder die stereotypische Schweizer:in existiert scheinbar auch in der Gestaltung und zeichnet sich unter anderem durch Präzision und Nüchternheit aus. Diese Eigenschaften werden von aussen, sofern sie gut gemacht sind, oft als positiv wahrgenommen, besonders in Bereichen wie Design, Typografie oder Grafik, da sie eine klare und strukturierte Kommunikation fördern. Besonders aufgefallen ist mir, dass in der Deutschschweiz, insbesondere auch in der Ostschweiz, weniger farbenfroh und experimentell gestaltet wird. Die Gestaltung ist subtiler und zurückhaltender, aber gleichzeitig überzeugt sie durch ihre Präzision und durchdachte Konzeption.
Ich mache definitiv einen Unterschied zwischen Kreativszene und Kreativwirtschaft. Erstere ist eher kulturell und sozial geprägt – eine Subkultur, die unabhängig von wirtschaftlichen Faktoren agiert. Die Kreativwirtschaft hingegen misst ihren Erfolg klar am ökonomischen Mehrwert und daran, wie kreative Dienstleistungen kommerziell verkauft werden können – was oft dazu führt, dass die Ergebnisse etwas weniger gewagt sind. Ich finde es wichtig, dass eine kreative Szene autonom und losgelöst von wirtschaftlichen Faktoren bestehen und agieren kann, da sich daraus Möglichkeiten erschliessen, die unabhängig von Profit- und Maximierungsgedanken sind. Dadurch können Ideen und Visionen freier gestaltet werden. Ein Austausch zwischen «Szene» und «Wirtschaft» könnte aber beiden Seiten neue Perspektiven und Chancen eröffnen.
Vom «Kreativstandort St.Gallen» würde ich mir wünschen, dass diverse lokale Institutionen mehr Mut zeigen und vermehrt mit kleineren Studios oder Künstler:innen zusammenarbeiten. In St.Gallen steckt ein enormes Potenzial in nicht rein kreativwirtschaftlichen Persönlichkeiten. Das wird aus meiner Sicht bislang noch zu wenig genutzt. Für die Vielfalt der Stadt ist eine starke und autonome Kreativszene wichtig. Es würde sich lohnen, mit dieser auch bei kommerzielleren Projekten zusammenzuarbeiten und sie aktiv zu unterstützen.
Juri Roemmel hat zuerst eine Grafiklehre gemacht und danach Industrial Design studiert. 2022 hat er sich mit dem Studio Tecta selbständig gemacht.
Unter der «St.Galler Kreativszene» verstehe ich Personen im Raum St.Gallen, die sich auf unterschiedlichste Weise dem Schöpferischen widmen – sei es als Hobby oder Beruf, handwerklich oder geistig, im Auftrag oder frei. Ich verorte sie aufgrund des Begriffs «Szene» eher im Regionalen, während die Kreativwirtschaft für mich ortsunabhängig wirkt.
In einer Kreativszene ist das Erschaffen von etwas Kreativem tendenziell freier und selbstbestimmter, in der Kreativwirtschaft hingegen geschieht das Erschaffen immer im Auftrag und das Finanzielle und die Effizienz stehen mehr im Fokus. Den Begriff «kreativ» finde ich in diesem Zusammenhang aber etwas vage. Auch die Unterscheidung in «Szene» und «Wirtschaft scheint mir fraglich, da in vielen Berufsfeldern wirtschaftliche und künstlerische Ab- und Unabhängigkeit ohnehin eng beieinanderliegen und oft nicht klar voneinander zu trennen sind.
Vom «Kreativstandort» St.Gallen wünsche ich mir mehr freie Räume für die Ausübung und Präsentation.
Ladina Bischof ist selbständige Fotografin.
Ist es nicht seltsam, alle zu clustern, die einen sogenannt kreativen Beruf ausüben? Egal ob Architektin einer Siedlung, Gestalter einer Garderobe, Designerin eines Prospektes oder Zeichner einer Graphic Novel – und die Kulturvermittler:innen gehören grad auch noch dazu? Es wird ja auch nicht von einer Dienstleistungs- oder Handwerksszene gesprochen.
Es gibt in St.Gallen Leute, die in verschiedenen gestalterischen Sparten auf hohem Niveau und mit einer Unbestechlichkeit ihr Ding in einem kulturellen Umfeld durchziehen, also grösstenteils unkommerziell arbeiten. Die einen mit internationalem Horizont und preisbeladen, die anderen leiser und verschrobener. Sie alle eint der Anspruch, Inhalt und Form in Einklang zu bringen und bei den eigenen Wertvorstellungen des Geldes wegen nicht allzu viele Kompromisse einzugehen. Diese Menschen sind teils miteinander befreundet, teils lose verknüpft und trinken den Espresso dort, wo sie ihn am besten finden, arbeiten ab und zu mit- oder füreinander oder schätzen sich wenigstens. Dieser Kreis könnte als Designszene bezeichnet werden. Eine grosse Zahl gestalterischer oder auch künstlerischer Outputs, die «st.gallerisch» genannt werden könnten, ist recht lakonisch. Und mir gefällt das gekonnte Zusammenbringen von Härte, Konsequenz und einer gut gesetzten Schludrigkeit oder konzeptionellen Unschärfe.
Ob ich einen Unterschied zwischen Kreativszene und Kreativwirtschaft mache? Sagen wir es mal so: Das Standortmarketing interessiert sich für die Kreativindustrie und die Kreativszene interessiert sich nicht wahnsinnig stark für Marketing. Und dann gibt es noch die Designszene, die ist irgendwo dazwischen anzusiedeln.
Vom «Kreativstandort» St.Gallen wünsche ich mir bezahlbare, schöne Büroräume, einen wendigen Ausstellungsraum für gesellschaftliche, politische und popkulturelle Themen, einen Suppenladen, zwei, drei besetzte Häuser oder wenigstens einen Architekturwettbewerb mit lokaler Beteiligung für zukunftsträchtige Wohnformen, statt einem lukrativen Eigentumswohnungsturm von Herzog & de Meuron. Und zudem wären ein, zwei feine Designlehrgänge auf Fachhochschul-Niveau fein, denn gerade bezüglich Designkritik und -theorie ist es in dieser Stadt fast beängstigend ruhig.
Johannes Stieger ist Präsident der Association Palace St.Gallen, Ausstellungsgestalter und Mitinhaber des Studio DAS für Design und Szenografie. Er war an der Konzeption des Industrial-Design-Studiengangs an der GBS beteiligt, wo er auch unterrichtete und derzeit Diplome juriert.