Wahlen 2023: Vorwärts in die Vergangenheit
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Der Rechtsrutsch ist auch im Kanton St.Gallen traurige Tatsache – und wirkt sich direkt auf die Verteilung der zwölf Nationalratssitze aus: Die SVP holt auf Kosten der Grünliberalen einen fünften Sitz. Er geht an Walter Gartmann, Kantonsrat, Kantonalpartei-Präsident und SVP-ler durch und durch.
Während die SVP um 3,2 Prozentpunkte zulegen konnte und nun einen Wähler:innenanteil von über einem Drittel erreicht (34,5 %), hat die rot-grüne Allianz aus SP, Grünen und Grünliberalen (GLP) praktisch im gleichen Ausmass Anteile verloren. Die SP kommt wie vor vier Jahren auf 12,7 %. Die Grünen verlieren zwar – wie auch national – am meisten Wäler:innenanteile aller Parteien im Kanton (minus 1,9 %), können aber ihre zwei Sitze halten. Die grosse Verliererin ist die GLP, die 1,5 Prozentpunkte einbüsst. Sie kann ihren einen Sitz, den Thomas Brunner vor vier Jahren gewonnen hatte und den sie nach dessen Rücktritt aus dem Nationalrat nun mit neuen Kandidat:innen verteidigen musste, nicht halten. Auch die Listenverbindung mit der SP und den Grünen konnte die GLP nicht retten.
Die Mitte und die FDP mussten ebenfalls Federn lassen, allerdings hielten sich ihre Verluste mit 0,6 % respektive 0,5 % in Grenzen. Überhaupt keine Rolle spielten die beiden Bewegungen Aufrecht (1,5 %) und Mass-voll (0,4 %), die im Zuge des Widerstands gegen die Coronamassnahmen entstanden waren und heute Verschwörungsgläubige, Coronaleugner:innen und Nationalist:innen versammeln. Dennoch muss man festhalten, dass Aufrecht den grössten Zuwachs nach der SVP verzeichnen konnte.
Der grünen Bewegung gingen die Themen aus
Die SVP punktete vor allem mit ihrem Lieblingsthema Migration (obschon – oder gerade weil – sie einen Wahlkampf betrieb, der oft jenseits des guten Geschmacks war). Gerade im ohnehin konservativen Grenzkanton St.Gallen lässt sich damit gut Stimmen fangen. Der SP hingegen gelang es nicht, die vielen Herausforderungen, mit denen viele Menschen konfrontiert sind, beispielsweise die steigenden Krankenkassenprämien und Mieten, für sich zu nutzen. Viele Wähler:innen trauen ihr offenbar nicht zu, dafür Lösungen zu finden.
Die Grünen wiederum schaffen es kaum, ihre Wahrnehmung als «Ein-Thema-Partei» aufzubrechen. Die Klimakrise ist insbesondere aufgrund des Ukraine-Kriegs und der sich daraus ergebenden Herausforderungen (Energieversorgung, Sicherheit) in den Hintergrund getreten. Und die Grünliberalen blieben in den vergangenen Jahren kantonal wie national thematisch blass. Hatten sie 2019 noch von der sogenannten «Klimawahl» profitiert, die der ganzen grünen Bewegung Auftrieb verliehen hatten, konnten sie im laufenden Wahlkampf keine Akzente setzen.
Ständerat: Schaulaufen der Bisherigen
Die Wahlen in den Ständerat endeten mit einem Triumph der beiden Bisherigen. Beni Würth (Mitte), der mit der Schnapszahl von 88’888 Stimmen ins Ziel einlief, verwies auf den letzten Metern – sprich: mit Stimmen aus der Stadt St.Gallen – Esther Friedli (SVP, 88’134 Stimmen) auf den zweiten Platz. Ihre Wiederwahl ist keine Überraschung, überraschend ist einzig, dass sie in einem Feld von acht Kandidat:innen einen so grossen Vorsprung auf die Herausforder:innen herausholten und schon im ersten Wahlgang das absolute Mehr problemlos erreichten. Zum Vergleich: Arbër Bullakaj (SP), der das Stöckli-Podium komplettiert, erreichte 24’373 Stimmen, Meret Grob von den Grünen 24’004 Stimmen und Oskar Seger (FDP) 21’560 Stimmen.
Dieses Ergebnis unterstreicht, wie stockkonservativ der Kanton St.Gallen bei Personenwahlen noch tickt. Gewiss haben Bullakaj und Grob in der Politiklandschaft noch keine grossen Spuren hinterlassen. Aber wenn linke Kräfte derart chancenlos bleiben – sie hätten nicht einmal mit ihren kumulierten Stimmen Würth und Friedli gefährlich werden können –, gibt das zu denken. Und das sollte es insbesondere den betroffenen Parteien, die es nicht schaffen, passende Kandidat:innen für das Stöckli zu formen. Das hatte bereits die Ersatzwahl für SP-Urgestein Paul Rechsteiner im Frühling gezeigt.
Alles beim Alten im Appenzellerland
Aus dem Appenzellerland nichts Neues. Dass Andrea Caroni (FDP) erneut in den Ständerat einzieht, war logisch. Niemand wagte es, den politischen Ziehsohn von alt Bundesrat und Bankenlobbyist Hans-Rudolf Merz herauszufordern. Der kluge Rhetoriker wurde konkurrenzlos wiedergewählt.
Mit 8502 Stimmen deutlich wiedergewählt wurde auch SVP-Nationalrat David «Zubi» Zuberbühler, obwohl es aus verschiedenen Lagern – nicht nur links der Mitte – hiess, es gelte in erster Linie, den konservativen Herisauer und seine Rückwärtspolitik zu verhindern. Die FDP hat mit Matthias Tischhauser den aussichtsreichsten Kandidaten ins Rennen um den einzigen Nationalratssitz des Halbkantons geschickt und für Ausserrhoder Verhältnisse einen ziemlich konfrontativen Wahlkampf geführt. Anstatt dass Zubi darauf cool und mit Argumenten – an denen es offensichtlich mangelte – reagierte, verfiel er in eine Trotzhaltung und jammerte über die unfairen Angriffe auf seine Person. Zubi mag ein freundlicher und sensibler Mann sein, die Tränen nach Bekanntgabe der Wahlresultate haben es wieder gezeigt, aber als Mitglied der SVP sollte er sich wohl zuletzt über politischen Stil beklagen. An öffentlichen Wahlpodien glänzte er vor allem durch Abwesenheit, er habe einfach zu viel zu tun, war seine Ausrede.
Zubi kam vor allem zugute, dass wenigstens eine Partei nicht vorrangig ihn verhindern, sondern eine eigene Kandidatin nach Bern schicken wollte. Claudia Frischknecht blieb zwar stets ohne realistische Wahlchancen, erreichte aber immerhin 2863 Stimmen, die dann dem einzigen ernsthaften Konkurrenten Zubis, FDP-Tischhauser, fehlten. Zusammen hätten die FDP- und CVP-Stimmen Zubis Resultat um 700 Stimmen übertroffen. So haben sich seine Gegner aber selber zerfleischt und der Schuhverkäufer darf als lachender Dritter nochmals für eine Legislatur ins ferne Bundesbern pilgern. Dies trotz äusserst geringem Leistungsausweis in der vergangenen Legislatur (absolutes Highlight bleibt sein missratener Versuch, den Teletext abzuschaffen) und wenig zukunftsweisenden Visionen. Im Gegenteil: Zubi glaubt nach wie vor, der Klimawandel sei nicht menschgemacht. Das überrascht mit Blick auf seinen frömmlerischen Hintergrund allerdings wenig: Der Allmächtige hat uns doch mit einem schönen Land beschenkt, dazu gehört auch schönes Wetter, die Schöpfung ist allgemein ein grosses Geschenk, ausser Teile davon setzen sich mangels Zukunftsperspektiven in Bewegung und schicken sich an, hierher ins Voralpenparadies zu migrieren, dort macht die Nächstenliebe dann sofort Halt …
Ebenfalls allmächtig kann die Obrigkeit in Appenzell Innerrhoden regieren und legiferieren. Das Stimmvolk dort ist derart machthörig, dass politische Konkurrenz von ausserhalb des Zirkels gar nicht erst kandidiert. Und wenn es doch einmal einer wagen sollte, am Stuhl eines Bisherigen zu rütteln, wird dieser in der Regel mit einem miserablen Wahlergebnis weggeklatscht. Ruedi Eberle (SVP), der einzige Herausforderer von Mitte-Nationalrat Thomas Rechsteiner, erreichte nur gerade 68 Stimmen. Ihm blieb gegenüber Rechsteiner mit 2423 Stimmen nicht der Hauch einer Chance. Bereits an der Landsgemeinde im Frühling wiedergewählt wurde Ständerat und alt Landammann Daniel Fässler, ebenfalls von der Mitte.
FDP holt sich im Thurgau den Sitz von den Grünen zurück
Auch im Thurgau konnten die rechts-bürgerlichen Kräfte zulegen und halten wieder vier der sechs Nationalratssitze: Die SVP verteidigte ihre drei Nationalratssitze problemlos. Sie legte um ganze 4 Prozentpunkte zu und durchbrach damit die 40-Prozent-Marke (40,7 %). Auch die Mitte, die vor vier Jahren fast 2 Prozentpunkte eingebüsst hatte (die damals noch nicht fusionierten Parteien CVP und BDP zusammengerechnet), konnte ihren Wähler:innenanteil um 0,5 Prozentpunkte auf 15,5 % steigern. Ihre Listenpartnerin, die FDP, verlor zwar 0,6 Prozentpunkte und landete bei 10,9 % der Stimmen, holte sich aber dennoch den Sitz zurück, den sie vor vier Jahren an die Grünen verloren hatte – und zwar von den Grünen. Waren diese vor vier Jahren mit einem Stimmenzuwachs von 5,2 Prozentpunkten noch die Wahlsieger, büssten sie heuer 2 Prozentpunkte ein (am Ende 8,6 %). Ausserdem verlor auch die SP, mit der die Grünen eine Listenverbindung hatten und die ihren Sitz ohne die bisherige Nationalrätin Edith Graf-Litscher verteidigen musste, ganze 2,2 Prozentpunkte und landete mit 10,4 % der Stimmen noch hinter der FDP. Auch die dritte Listenpartnerin, die GLP, die 2019 noch 1,9 Prozentpunkte hinzugewonnen hatte, musste einen Verlust von 1,4 Prozentpunkten hinnehmen und erreichte noch 6,7 %. SVP und FDP.
Die beiden Thurgauer Ständeratssitze bleiben in der Hand der Bisherigen: Brigitte Häberli-Koller (Mitte, 51’209 Stimmen) und Jakob Stark (SVP, 46’126 Stimmen) schafften die Wiederwahl im ersten Wahlgang, und zwar mit riesigem Vorsprung auf die vier Gegenkandidat:innen. Diese holten zusammen fast so viele Stimmen wie Stark allein, Stefan Leuthold (GLP) kam als Drittplatzierter auf 19’290 Stimmen.