«Vor allem für die Kleinen wird es hart»
Der Konstanzer Wirt Anselm Venedey (55) weiss, wovon er spricht. Er betreibt in der grössten Stadt am Bodensee seit Jahren drei Cafés und Restaurants, die auch gerne von Schweizer Gästen besucht werden. Seine Gastrobetriebe «Wessenberg» und «Ignaz» sind noch geschlossen, nur das «Heinrich» bietet über ein Schiebefenster einen Strassenverkauf an, der passabel läuft und sich auch zu einem sozialen Treffpunkt mitten in der Altstadt entwickelt hat. Hier kommt man zusammen und tauscht sich aus.
Er selber sei seit Wochen überwiegend damit beschäftigt, «strategisch zu denken und zu überlegen, wie es in Zukunft weiter geht». Die staatliche Soforthilfe habe kurzfristig geholfen, um zumindest teilweise die Pacht für seine Läden überweisen zu können. Und er gibt auch offen zu: «Wir haben in der Vergangenheit gut gewirtschaftet und konnten Rücklagen schaffen, ich will da nicht klagen.» Das wiederum erleichtere auch die Verhandlungen mit Banken, wenn es um zusätzliche Kredite gehe, um längerfristig den Fortbestand seiner Lokalitäten abzusichern.
Zu knapper Lohn für die teure Stadt
Sorgen aber macht sich Venedey, der für die Freien Wähler auch rund 14 Jahre lang Mitglied des Konstanzer Gemeinderats war und dort meist linksliberale Positionen vertrat, vor allem um seine Mitarbeiter. Nach der Schliessung seiner Betriebe musste er sie quasi über Nacht in Kurzarbeit schicken. Will heissen: Die Angestellten mit Kindern bekommen nur noch 67 Prozent ihres Gehalts, die ohne Kinder 60 Prozent.
Damit, so Venedey, «kannst du in der teuren Stadt Konstanz nicht überleben». Die Metropole am Bodensee ist begehrt, die Mieten stiegen in den vergangenen Jahren explosionsartig und sind vergleichbar mit denen in München, Hamburg oder Stuttgart. Und wer hier eine Immobilie erwerben will, muss sehr tief in die Tasche greifen. Auf der Strecke bleiben somit überwiegend die Normalverdiener, deren Finanzen auf Kante genäht sind und die Mühe haben, überhaupt eine bezahlbare Wohnung zu finden.
Da in der Gastronomie auf deutscher Seite erfahrungsgemäss eher schlecht bezahlt wird, ist ein Einkommensverlust von bis zu 40 Prozent existenzgefährdend und auf Dauer nicht zu kompensieren. Oft vergessen werden die zahlreichen Minijobber, meist Studentinnen und Studenten, die sich in der Gastronomie ein kleines Zubrot verdienen, um damit teilweise ihre Ausbildung zu finanzieren. Venedey, bei dem bekanntermassen die soziale Verantwortung für seine Mitarbeitenden ganz weit oben steht, gibt noch zu bedenken: «Es fällt derzeit auch das Trinkgeld weg, das in meinen Betrieben pro Kopf monatlich bei rund 400 Euro liegt.» Die Rechnung ist einfach und brutal zugleich. Wer bislang einigermassen über die Runden kam, muss nun Tag für Tag jeden Euro mindestens zweimal umdrehen, denn für viele hat sich das Einkommen halbiert.
Ein zusätzliches Problem, das den Gastronomen plagt: «Viele meiner Leute, und da überwiegend die mit Kindern, sind restlos überfordert – und sie wollen so schnell wie möglich wieder arbeiten.» Den meisten falle die Decke auf den Kopf: «Da kommt alles zusammen, finanzielle Sorgen, oft enge Wohnerhältnisse, psychische Belastungen, dazu die Frage: Wohin mit den Kindern, denn die Schulen und Kitas sind ja ebenfalls seit Monaten geschlossen? Das überfordert die meisten, die halten das nicht mehr lange durch.»
Die alte Kneipenherrlichkeit kommt nicht so schnell wieder
Der Lichtblick in diesen trüben Zeiten: Kommende Woche sollen Lockerungen auch in der Gastronomie dafür sorgen, dass ein kleines Stück Normalität zurückkehrt. Ab Montag 18. Mai dürfen auch die Restaurants und Cafés wieder ihre Dienste anbieten. Klingt gut, aber einfach wird das nicht. Noch ist nicht ganz klar, welche konkreten Massnahmen und Vorschriften mit der schrittweise Öffnung verbunden sind. Für Anselm Venedey steht ausser Frage: «Vor allem die Hygiene- und Abstandsregeln werden wir versuchen umzusetzen.»
Sowohl im Aussen- als auch im Innenbereich will er nur noch halb so viele Tische aufstellen, der Service wird dreigeteilt: «Ein Mitarbeiter bringt Speisen und Getränke an den Tisch, ein anderer holt die Teller ab, ein dritter kassiert – aus Sicherheitsgründen.» Zudem, so der derzeitige Informationsstand, müssen von Besuchern persönliche Daten notiert werden, um bei später auftauchenden Infektionen die jeweiligen Personenkreise nachverfolgen zu können.
Nun ja, auf die alte Kneipengemütlichkeit wird man wohl noch eine Weile verzichten müssen, und es bleibt abzuwarten, wieviel Publikum sich die neue Gastrowirklichkeit überhaupt antut. Venedey ist trotz aller Unkenrufe vorsichtig optimistisch: «Wir überstehen das.» Für viele andere könnte die Corona-Krise allerdings das Ende bedeuten: «Hauptsächlich für die kleinen Beizen, in denen man sein abendliches Bier nimmt, und die ebenfalls zu unserer Kneipenkultur gehören, wird es sehr eng werden.»