Von Rossweiden zu Baumschulen
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Die Brüder Heinrich und Ulrich Stahel kamen 1861 nach Flawil, kauften Land und bauten einen Gärtnereibetrieb auf, der zu einem florierenden Unternehmen wurde. Um 1900 gehörten seine Baumschulen und Rosenanlagen zu den grössten der Schweiz. Die Stahels zählten zur lokalen Elite, engagierten sich in Vereinen und Ämtern, und trugen wesentlich dazu bei, dass Flawil zu einem Industrie- und Gewerbedorf wurde.
Ihr Tätigkeitsfeld ging allerdings weit über Flawil hinaus. Albert Stahel war zum Beispiel 40 Jahre Sekretär des Schweizerischen Gärtnermeisterverbandes, sein Sohn Heinrich brachte es im Militär bis zum Oberst. Die Blütezeit der Firma Stahel fällt in die Zeit des Stickereibooms, 1916 wurde sie aufgeteilt, am längsten gehalten wurde die Gärtnerei (bis 1946).
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Sonntagsdienst: Vorne Oberstleutnant Stahel, Kommandant des Infanterieregiments 34, beim Fischen im Schlossteich während des Aktivdiensts in der Nord/Nordwestschweiz 1917
In der Region sind von alledem heute nur noch Spuren vorhanden – und natürlich Bäume. Dazu kommen historische Fotos, Dokumente und Objekte. Das Ortsmuseum hat mit ihnen eine kleine, aber feine Ausstellung realisiert.
Man merkt schnell: Da eröffnet sich ein ganzer Mikrokosmos an Sozial- und Alltagsgeschichte, mit einem Reichtum an Geschichten, der Potenzial für einen Roman hat – ob das nun die Erinnerungen von Albert Stahel an seine zwei Lehrjahre in Versailles und die Pariser Weltausstellung 1889 sind oder die Fotos vom Transport grosser Bäume nach Tarasp, zur Begrünung des Schlosshügels.
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Das Aufladen eines Baumes für den Transport nach Schloss Tarasp, wo die Gebrüder Stahel den Schlosshügel begrünten, zwischen 1908 und 1912.
Spannend auch die historischen Fotos der Baumschulen in Flawil. Eine Art Baum-Acker, denkt man und staunt, wie reizvoll ihre abstrakten Strukturen auf den Schwarz-Weiss-Fotos wirken. Eine Welt, die man auch aus Friedrich Glausers Kriminalroman Wachtmeister Studer (1935) kennt, wo eine Baumschule zu den Schauplätzen gehört.
Von Rossweiden zu Baumschulen: bis 20. November, Ortsmuseum Flawil
ortsmuseumflawil.ch
«Über die konkreten Kunden und Aufträge der Stahels ist allerdings wenig bekannt», sagt Urs Schärli, einer der Ausstellungsmacher, «da fehlen uns leider die Geschäftsakten.» Auch Mammutbäume, die im St.Gallen des Stickereibooms Modebäume waren, tauchen nicht auf. Dafür zum Beispiel verschiedenste Obstbäume.
Oder Rosskastanien. Der Flawiler Stationsvorstand brachte 1861 Heinrich Stahel 100 Früchte, mit der Bitte, daraus Bäume zu ziehen. «Können Sie acht bis neun Jahre warten?» Der Stationsvorstand nickte. 1869 pflanzten die beiden dann 50 Bäume, so dass der Bahnhof in einem kleinen Park von Rosskastanien stand. Sechs davon gibt es heute noch.
Bieser Beitrag erschien im Sommerheft von Saiten.