Von kleinstädtischer Queerness und Besuchen im Museum für Anziehung

Der Rotpunktverlag veröffentlicht in Kooperation mit Saiten die Textsammlung «Rosa Buch» mit queeren Texten der Kolumnistin und Aktivistin Anna Rosenwasser. Das Buch ist ebenso zugänglich und leicht wie hässig und tiefgründig. von Lidija Dragojevic
Von  Gastbeitrag
Anna Rosenwasser, 1990, wohnt in Zürich und ist freischaffende Journalistin. Ihre gesammelten Kolumnen erschienen als Rosa Buch im März beim Rotpunkt-Verlag in Kooperation mit Saiten.

«Hoi Büsi, willkommen im Rosa Buch!», wird man gleich ganz nett begrüsst und zur Katze aufgewertet. Auf den herzlichen Empfang folgt ein selbständiger Spaziergang durch Situationen, die für Anna Rosenwasser ganz alltäglich sind und einigen Menschen bekannt vorkommen werden. Achtung, alle Rolands! Es geht um frauen- und männerliebende Frauen, Gay-Bars und LGBTQ-Referate vor Schüler:innen. Es geht um die Enttabuisierung aller Sexualitäten. Und eigentlich ist das schlicht ein Hochruf auf die Anziehung.

Zugegeben: Es geht um weitaus mehr. Die gesammelten Texte sind in den Jahren 2018 bis 2022 entstanden und chronologisch geordnet. Die Auswahl ist persönlich und in sich schlüssig, die Vielfältigkeit und Frische der Texte lädt aber auch zu einer langen Lektüre ein. Für die Reihenfolge gibt es keinerlei Vorgaben. Man kann nach Überschrift, Gefühl oder auch nach Stichworten aus dem Glossar entscheiden, worüber man gerade lesen möchte.

Anna Rosenwasser schreibt seit 2019 die «Nebenbei gay»-Kolumne für Saiten. (Bild: Lea Reutimann)

Der Spaziergang durch die Gedanken wird für mich zu einem Flanieren durch die Texte: müssig, fast ziellos, mit teilweise so treffenden Stellen, dass ich das Gefühl bekomme, sie seien nur für mich geschrieben worden. Das Schönste daran ist das Wissen, dass es vielen anderen Menschen genauso ergeht und wir das Gefühl teilen.

Farbe bekennen, angreifbar werden

Einige Themen werden öfter aufgegriffen als andere, und doch bringt jeder Text eine neue Erkenntnis. Manchmal habe ich mich mit Anna über die Ignoranz gegenüber Sex zwischen Frauen aufgeregt, andere Male durfte ich dank ihrer ehrlichen Meinung zu Freddie Mercury lachen. Und ganz oft war ich vom Vermögen des Textes berührt, mitfühlend und zutraulich zugleich zu sein. Irgendwie sensibel in den ungefilterten Themen, total kühn in der mitgeteilten Nachricht.

Wenn Anna zum Beispiel ihre Begeisterung für die Farbe Rosa und all ihre Bedeutungen ausspricht, nimmt sie eine verwundbare Position ein und wird diese vermutlich verteidigen müssen. Genau da entstehen starke Passagen: «Viele unserer queeren Vorfahr*innen wurden rosa markiert, um sie abzuwerten. Unter anderem von den Nazis. Dann haben wir uns die Farbe zurückgeholt. Und damit quasi gesagt: Da gibts nichts abzuwerten. Wir sind gerne so.»

Anna Rosenwasser: Rosa Buch. Queere Texte von Herzen.
Rotpunkt-Verlag, Zürich 2023, CHF 28.–

St.Galler Vernissage mit Lesung und Gespräch: 10. März, 19:30 Ihr, Raum für Literatur, Hauptpost St.Gallen

Nebenbei erklärt Anna mithilfe von «Katzenschwanzzeilen», dass sie den Genderstern benutzt, «um alle Geschlechter zu respektieren; Rolands sind mit gemeint.» Inklusion statt Diskriminierung, geschlängelte Katzenschwanzzeilen statt steifer Fussnoten.

«Manchmal ist es eben nicht nur ein Coming-Out. Sondern ein Letting-In.»

Der Text «Gratiseintritt ins Museum» ist mir nach der Lektüre ganz besonders hängen geblieben, und auch er behandelt Inklusion, nämlich jene, die beim Teilen unserer persönlichsten Eigenschaften mit anderen Menschen stattfindet. Im Rosa Buch habe ich das gelernt: Wenn wir uns öffnen und dabei ein Kanal entsteht, funktioniert er in beide Richtungen.

Anna macht diese Feststellung, als sie sich ziemlich nüchtern bei ihrer Mutter als Bisexuelle outet. Ihre sexuelle Orientierung wird zu einem metaphorischen Museum voller Informationen und Exponate, in dem sich Besucher:innen bewegen dürfen und bestenfalls etwas lernen können: «Warte nur, bis sie mal eintreten. Sich von dir durch die Galerie führen lassen. Sich im Innenhof niederlassen und realisieren: Was für ein Glück, dass wir hier sein dürfen.»

Mit genau dieser gastfreundlichen Haltung gewährt Anna uns auch einen Einblick in ihre jüdische Identität, deren Krisen und wie sie sich nur noch durch ihr «diffuses, nicht messbares Gefühl» bestimmen lässt. Antisemitismus und das vergangene Selten-Machen ihres Nachnamens werden in jenen Momenten etwas leichter, wenn sie anderen jüdischen Menschen begegnet oder ihre Menora in Videocalls nicht hinter den Büchern verschwinden lässt. Und dabei tritt sie nicht etwa aus einem Türrahmen hinaus, sondern lässt einen Spalt offen und uns, die Lesenden, eintreten – wie bei einer Katzenklappe.

Genau diesen widmet Anna Rosenwasser ihr Buch: den Lesenden. «Das Rosa Buch ist ein Buch für Queers und ihre Mitmenschen –
also für alle», hiess es in der Crowdfunding-Kampagne für das Buch. Die Texte wurden nicht exklusiv für den «Quotenschwulen» und die «Klischeekampflesbe» aus ihrer Kleinstadt geschrieben. Sie sind für diejenigen Menschen, die andere Menschen kennen.

Der ehrliche Umgang mit intimen Themen, die uns manchmal unikal erscheinen, gibt uns einen Einblick in die Community und verleiht uns ein Gemeinschaftsgefühl. Ein Kanal für die Texte wird geschaffen: vom Herzen Annas zu den Herzen der Lesenden.