Vom Heimwerker zum Space-Werker

Selbermachen und teilen statt nur konsumieren: Darum geht es am ersten Maker-Festival «Make Things Anywhere». Am 11. Juni öffnen St.Galler Ateliers und Hackerspaces ihre Türen und bieten Workshops an; für Szene-Nerds genauso wie für die interessierte Öffentlichkeit.
Von  Philip Bürkler
Im Keramik-Atelier. (Bilder: Sara Spirig)

Die Zahl ist erstaunlich. Allein in der Stadt St.Gallen gibt es fast 20 Ateliers, Hackerspaces, Labors und Werkstätten, die sich der sogenannten Maker-Szene zuordnen. In dieser Szene steht das Teilen von Tools und Knowhow im Zentrum. Die Spaces werden meist von einer kleinen Gruppe von Leuten ehrenamtlich und ohne kommerzielle Absichten betrieben, aus Leidenschaft zur Kreativität und Lust am Experimentieren. In St.Gallen zu finden sind beispielsweise eine Siebdruckwerkstatt, eine Sandstrahlerei, eine Tanzschule, ein Keramikatelier, ein Nähatelier oder ein Alchemielabor.

In der breiten Öffentlichkeit sind diese Orte aber noch eher unbekannt. Damit sich dies ändert und ein allgemeines Bewusstsein für die Maker-Kultur entsteht, vereint das St.Galler Start-up Make Things erstmals alle lokalen Spaces in einem Festival. «Make Things Anywhere» heisst die Veranstaltung am 11. Juni. Das Ziel ist es, die Orte aus der Nische zu holen. Eine Nische, die eigentlich längst Mainstream sein sollte, denn Teilen ist in einer Welt mit endlichen natürlichen Ressourcen eine Grundvoraussetzung für Nachhaltigkeit.

Durch die expansive Konsumkultur und das landesweite Aufpoppen zahlreicher Baumärkte in den vergangenen Jahrzehnten ist es für viele Menschen völlig normal geworden, eine eigene Bohrmaschine, Schleifmaschine oder sogar einen eigenen 3D-Drucker zuhause stehen zu haben. Das Problem dabei: Ist die Arbeit getan oder die Lust am Heimwerken gar verpufft, stehen die Geräte oft ungenutzt im Keller und verstauben dort.

Wir-Gefühl und Community

Neben dem gestalterischen und handwerklichen Knowhow ihrer Macher:innen verfügen die Spaces in der Regel genau über solche Infrastrukturen: Werkzeuge, Maschinen, Materialien oder Arbeitsflächen. Diese Ressourcen gilt es mit anderen Menschen zu teilen.

Gemeinsam am Laserdrucker.

Dabei werden Tools wie Bohrmaschinen, Zangen oder Sägen aber nicht einfach «ausgeliehen» oder gar gegen Geld «vermietet», um sie dann zuhause alleine im Kämmerlein zu verwenden. Im Gegenteil: Ziel der Maker- und Hacker-Szene ist es vielmehr, diese Tools auch gemeinschaftlich innerhalb der entsprechenden Spaces zu nutzen, also gemeinsam an einem Werk, einem Projekt oder einem Objekt zu arbeiten. Gewerkt wird nicht mehr wie früher traditionell allein zuhause als «Heimwerker:in», sondern mit anderen Personen zusammen.

Projekt-Mitinitiator Marcio Ferreira dos Santos erklärt es so: «Es geht nicht mehr um den Heimwerker, sondern um den Wir-Werker oder den Space-Werker» – Werkerinnen selbstverständlich mitgemeint.

Hacker- und Maker-Kultur

Zur DNA der Hacker-Kultur gehört es auch, nicht nur physische Werkzeuge zu teilen, sondern auch anderen den Umgang damit zu vermitteln. Die beste und teuerste Maschine bringt nämlich nichts, wenn sie falsch verwendet wird. Genauso wichtig in der Hacker-Kultur ist auch der Austausch von ideellen Werten sowie die Weitergabe von Skills und Wissen. «Hacker behalten ihr Wissen nie für sich selber. Niemand hat Anspruch auf ein Patent oder sogar die Absicht, mit einer technischen Entwicklung reich zu werden», sagt Roger Berhalter, der beim Festival für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.

Die Maker- und Hacker-Szene hat ihren Ursprung in den USA. Dort haben kreative und technik-interessierte Menschen gegen Ende der 1970er-Jahre damit begonnen, sich in ihren Garagen, Kellern oder Hinterhöfen zu treffen, um gemeinsam zu basteln und zu experimentieren. «Hacken» bedeutet, nicht nur neue Technologien oder Dinge zu «erfinden», sondern bestehende Strukturen und Technologien für sich zu adaptieren, sowie diese neu- oder umzunutzen. Es geht also auch darum, Technologien für andere Zwecke zu verwenden, als dies von der Industrie ursprünglich beabsichtigt war.

Nerds beissen nicht

Mittlerweile ist die Maker- und Hacker-Kultur eine weltweite Bewegung, in deren Spaces nicht nur witzige Kunstprojekte oder neon-leuchtende Pflanzen entstehen, sondern die auch von Unternehmen immer öfters als Experimentierfeld für Prototypen jeglicher Art genutzt werden. Während verschiedene Industriezweige und Unternehmen Maker- und Hackerspaces heute zunehmend kommerziell nutzen, haben sich die Spaces weltweit aber vor allem in verschiedene Subkulturen weiterentwickelt: vom Bio-Hackerspace, in dem die Genetik von Pflanzen verändert wird, zur Robotik-Werkstatt bis zur Schreinerei mit Laser-Cuttern oder der 3D-Druckerei. Auch in der Schweiz ist die Szene in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Die Plattform makethings.ch listet schweizweit knapp 60 Spaces auf.

Marcio Ferreira dos Santos hat die Plattform mitbegründet. Das von Migros Engagement unterstützte Start-up hat sich zum Ziel gesetzt, schweizweit alle Maker- und Hackerspaces untereinander zu vernetzen und ihre Angebote der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Interessant sei, so Ferreira dos Santos, dass sich immer mehr Menschen für die Szene interessierten, die eigentlich nichts mit der Materie zu tun hätten. Das Festival kommt also wohl zur richtigen Zeit und kann bestimmt allfällig bestehende Hemmschwellen gegenüber der verborgenen Subkultur abbauen.

Machen statt zuschauen

Tatsächlich denken noch immer viele Menschen im Zusammenhang mit «Hacking» oder «Making» an Nerds, die tage- und nächtelang in dunklen Kellern an irgendwelchen Geräten herumschrauben. Natürlich hat jeder Space seine eigene Zielgruppe und seine ganz spezifischen Nerds. Am Festival soll aber ein breites Publikum Zugang zu dieser meist unsichtbaren Kultur erhalten und dabei feststellen: Nerds beissen nicht. «Wir wollen Menschen mit verschiedenem Hintergrund zusammenbringen», erklärt Festival-Initiator Ferreira dos Santos.

Make Things Anywhere: 11. Juni, diverse Orte in St.Gallen
Programm und Workshops: we.makethings.chDas Ziel sei es, möglichst viele Festival-Besucher:innen zu Teilnehmer:innen zu machen. «Sobald man etwas selber macht, stellen sich sofort auch andere Fragen», erklärt Ferreira dos Santos. Fragen, die mit anderen Teilnehmer:innen und Space-Betreiber:innen diskutiert werden können.

«Machen» liegt bei einem Maker-Festival natürlich auf der Hand. Besucher:innen können deshalb aus einem breiten Angebot an Workshops auswählen, die von den einzelnen Spaces angeboten werden. Beispielsweise können Interessierte in einer Siebdruckwerkstatt Pizzaschachteln bedrucken, in einer Sandstrahlerei können Flaschen sandgestrahlt werden, in einem Hackerspace ein Roboter zusammengebaut oder am Computer virtuelle Objekte gestaltet werden.

Altes Handwerk, neue Technik: Im Keramikatelier.

Ein Highlight ist der Workshop in einer Töpferei. Dabei können die Teilnehmer:innen mit einem 3D-Drucker eine Keramikvase herstellen. «Das Töpfern, ein uraltes Handwerk, wird mit dem 3D-Druck, einer der modernsten Fertigungstechniken, verbunden. Das ist eine spannende Kombination», erklärt Roger Berhalter begeistert.

Die meisten Workshops richten sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene jeglichen Alters, an Familien wie Einzelpersonen. Der Gedanke dahinter: Haben die Menschen die Orte erst einmal kennengelernt und «beschnuppert», kehren sie nach dem Festival eher zurück, um die Infrastruktur für ihre eigenen weiteren Projekte zu nutzen.

Skills und neue Freundschaften

Die St.Galler Maker-Szene um Marcio Ferreira dos Santos und Roger Berhalter, aber auch die globale Bewegung versteht sich als Gegenkonzept zur gängigen Konsumkultur und Wirtschaftsweise, die mit den endlichen Ressourcen des Planeten nicht kompatibel sind. Den nachhaltigen Gedanken der «Sharing Economy» verbinden die Hacker- und Maker-Spaces parallel auch mit dem sozialen Aspekt, der in der künftigen postmateriellen Gesellschaft genauso zentral sein wird für das Zusammenleben wie das Tauschen von Waren und Infrastrukturen selbst. Wer nämlich in einem der Spaces eine Maschine nutzt, trifft dort im Idealfall auf zwei oder drei Menschen, die dabei helfen, das eigene Projekt entweder weiterzudenken, oder gleich ein völlig neues Projekt gemeinsam zu entwickeln.

In der Hacking- und Maker-Community geht es also auch sehr stark um das Knüpfen neuer Beziehungen und das Festigen bestehender Freundschaften. Hacker- und Maker-Spaces des 21. Jahrhunderts sind gleichzeitig Orte für handwerkliche Skills und soziale Kompetenzen. Soziale Begegnungszonen und kreative Werkstätten, in denen die Welt von morgen bereits heute erprobt wird. Das Festival «Make Things Anywhere» bietet die ideale Gelegenheit, diese kreative Kultur näher kennenzulernen.

Dieser Beitrag erschien im Juniheft von Saiten.