Vierstimmig bei der KlangWelt
Parturient montes, nascetur ridiculus mus, sagte der römische Dichter Horaz – Es kreissen die Berge, zur Welt kommt nur ein lächerliches Mäuschen. Seit Nadja Räss als Intendantin und Operative Leiterin der KlangWelt Toggenburg ihren Rückzug in Raten bekanntgab, kreisst die Stiftung KlangWelt um ihre neue Organisationsstruktur.
Dabei ist eine schlag- und führungskräftige Organisation gerade jetzt, wo das bisher grösste Projekt der Stiftung KlangWelt, das Klanghaus, nach dem Absturz im Kantonsrat vor 23 Monaten (1. März 2016), zum zweiten Mal in die Räte und wahrscheinlich auch vor das St.Galler Stimmvolk kommt, mehr als nötig.
Als Räss die Geschäftsleitung im Juni 2016 abgab («Ich möchte einfach wieder mehr singen»), teilten sich diese die Geschäftsstellenleiterin Christina Rohner und der Präsident des Stiftungsrats, Mathias Müller als Delegierter des Stiftungsrats, sowie, als Projektleiterin Naturstimmenfestival, Nadja Räss.
Drei Co-Chefs also führten die Geschäfte der KlangWelt mit seinen Geschäftsfeldern Klangschmiede, Klangweg, Klangkurse, Klangfestival («Naturstimmen») sowie das Projekt Klangschwendi (erweitertes Projekt Klanghaus). Doch eigentlich wollte man einen Gesamtgeschäftsleiter oder eine Geschäftsleiterin – der oder die aber innert eines halben Jahres nicht gefunden wurde. In die Ungewissheit – Orientierungslosigkeit? – platzte dann auch noch der Rücktritt von Christina Rohner.
Frischer Wind von innen und aussen
Jetzt ist der Stiftungsrat fündig geworden und präsentierte in diesen Tagen eine neue Organisation mit drei neuen Namen. Womit es mit dem Delegierten des Stiftungsrats, Müller, nun vier Chefs wären: Raphael Gygax wird Leiter Dienste und Verantwortlicher Marketing im Vollpensum, Martin Sailer betreut die Weiterentwicklung von Klangschmiede und Klangweg im Teilpensum (30 Prozent), Peter Holdener wird als Intendant in Teilzeit (80 Prozent) das 8. Klangfestival 2020 programmieren.
Drei Neue also. Der eine, Sailer, ist als Kantonsrat und Betreiber des Unterhaltungstempels «Zeltainer» der lokalen Bevölkerung bekannt, er kommt aus Wildhaus. Der eine Neue, Gygax, war bis anhin unbekannt, trat im vergangenen August aber erstmals als neuer OK-Präsident der Jazztage Lichtensteig in Erscheinung. Der Dritte im neuen Bunde, ist im Toggenburg noch unbekannter, doch seine Reputation für die Aufgabe im Toggenburg scheint zu passen: Holdener ist Kulturmanager mit Vergangenheit als Programmschaffender im Theater Casino Zug und der Chollerhalle, des Moods im Schiffbau Zürich oder des Luzerner Festivals «In den Strassen».
Womit auch klar wird, dass sich Nadja Räss nach dem 7. Naturstimmenfestival im Mai ganz aus der KlangWelt zurückziehen wird. Ob die neue Geschäftsleitung mit vier gleichberechtigten Alphatieren für die anstehenden Aufgaben optimal aufgestellt ist, wird sich weisen. Mathias Müller meinte zum Triumvirat vom letzten Halbjahr: «Die Organisation hat sich etabliert.» Und: «Aufgrund der erfolgreichen Grundlagenarbeit von Räss kann der Betrieb nun ausgebaut werden. Die drei werden versuchen, frischen Wind in die Segel von KlangWelt Toggenburg zu blasen, um die spannende Vielseitigkeit des ‹Klangschiffes› weiterhin auf Erfolgskurs zu halten.»
Der angesprochene Ausbau erfolgt nun erstmal auf Geschäftsleitungsebene. Die Aufgaben sind klar definiert: die Etablierung von KlangWelt Toggenburg als überregional bedeutende, wertschöpfungskräftige und kulturell Meilensteine setzende Institution mit USP (frei nach dem verstorbenen KlangWelt-Präsidenten Hans Bütikofer) sowie die Verwirklichung des Klanghauses am Schwendisee. Die neue Geschäftsleitung nimmt ihre Arbeit nach dem 7. Klangfestival Anfang Juni auf.
Licht am Ende des Tunnels
Es sei eine grosse Herausforderung, sechs Millionen Franken zu sammeln für das Klanghausprojekt, sagt KlangWelt-Präsident Mathias Müller. Doch das ist nur ein Aspekt des Unternehmens, das Projekt nach seiner Ablehnung ein zweites Mal in den Kantonsrat zu bringen. Man habe sehr intensiv in vier Projektgruppen gearbeit und tue dies noch bis im kommenden Sommer. Dabei werde das Klanghaus wesentlich weiterentwickelt und die ganze Klangthematik könne sich weiter etablieren: «Wir sehen Licht am Ende des Tunnels und hoffen, dass nun im Toggenburg auch ein kantonales Kultur-Schwerpunktprojekt umgesetzt werden kann.»
Das erweiterte und vertiefte Projekt mit stärkerem Einbezug der lokalen Wirtschaft, des Tourismus und der Bevölkerung heisst nun «Klangschwende» (von: Klanghaus am Schwendisee), was die Einbettung in die Region besser zum Ausdruck bringt. Müller, selbst Kantonsrat, wollte sich noch nicht festlegen, wann «Klangschwende» in die St.Galler Räte kommt.
Einsiedlerin in den Nesseln
Sie kann vorzüglich jodeln, die 39-jährige Einsiedlerin Nadja Räss. Sie kann aber auch ganz schön Staub aufwirbeln und sich danach in die Nesseln setzen. Nachdem sie 2012 bei KlangWelt Toggenburg als neue Intendantin und Nachfolgerin des Komponisten und Klangwelt-Gründers Peter Roth ihr Amt antrat, blieb kein Stein auf dem anderen bei der Toggenburger Klang-Institution. Organigramme wurden gekübelt, Mitarbeiter entlassen (oder gingen selber) und Strukturen neu aufgestellt. Doch der Innerschweizer Wirbelwind flaute ab im Laufe der Zeit und zeigte erste Erfolge. KlangWelt erschien bald in einem neuen, vielversprechenden Licht.
In ihrem letzten Amtsjahr trat Räss allerdings in ein grösseres Fettnäpfchen: Sie zeichnete verantwortlich für ein Werbebild, das mit einem Sennen im Bastrock und Fellmütze den Ur-Sinn des Naturstimmen-Klangfestivals symbolisieren sollte. Räss vertrat vor dem aufgebrausten Publikum im traditionell-ländlich-bäuerlich orientierten Obertoggenburg tapfer ihre Idee und setzte sich durch. Doch mit einem Bein hatte sie das Tal schon verlassen, war auf dem Sprung zurück in ihre Heimat Einsiedeln.
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Nadja Räss und Mathias Müller anlässlich eines Infoanlasses im Herbst 2017, links das «anstössige» Sennenbild.
Auch in der Innerschweiz weiss Räss, wie man Stürme entfacht. An der Hochschule Luzern, Departement Musik, wird ab kommendem Herbst das neue Fach «Jodeln» angeboten, wobei Nadja Räss als erste Dozentin engagiert wurde. Nun ist deswegen beim Zentralschweizerischen Jodelverband Feuer im Dach. Er befürchtet, dass das Jodeln durch den Hochschulunterricht verakademisiert wird. Aber vielleicht ist man beim ZSJV auch nur ein wenig neidisch: «Die Jodlerverbände bieten seit Jahrzehnten Jodlerkurse mit guten Ausbildnern an, die das nötige Fachwissen mit Bezug zu den regionalen Eigenheiten haben», meinte Richard Huwiler, dessen Präsident.