Vier Häuser für die fünfte Dimension

Mit «Cloud Castle» haben sich vier Kunstinstitutionen des Dreiländerecks zusammengeschlossen. Ziel ist die bessere Vernetzung der regionalen Kunstszene. Den Auftakt macht im Januar Wu Tsang im Klanghaus Toggenburg. 

Versetzt das Klanghaus in Schwingung: Wu Tsang. (Bild: Gina Folly) 

Das Kunst­mu­se­um St.Gal­len, das Kunst­haus Bre­genz, das Kunst­mu­se­um Liech­ten­stein und das Bünd­ner Kunst­mu­se­um Chur ha­ben sich zu ei­ner trans­na­tio­na­len Ko­ope­ra­ti­on im Drei­län­der­eck zu­sam­men­ge­schlos­sen. Ge­mein­sam schaf­fen die vier re­nom­mier­ten Kunst­in­sti­tu­tio­nen «Cloud Cast­le», ei­ne Platt­form für im­mersi­ve Kunst­pro­jek­te an ver­schie­de­nen Or­ten. In­spi­riert vom deut­schen Be­griff «Luft­schloss» soll die­se grenz­über­schrei­ten­de Zu­sam­men­ar­beit nicht nur aus den je­wei­li­gen White Cu­bes der vier In­sti­tu­tio­nen aus­bre­chen, son­dern auch das Pu­bli­kum bün­deln.

Das Pro­jekt «Cloud Cast­le» ist aus ei­ner frü­he­ren Zu­sam­men­ar­beit der vier Häu­ser im Be­reich Mar­ke­ting ent­stan­den. Die Idee, Künst­ler:in­nen ein­zu­la­den und Kunst­wer­ke in Auf­trag zu ge­ben, brach­te das Vor­ha­ben schliess­lich ins Rol­len. Lang­fris­tig soll das Pro­jekt die Ver­net­zung der re­gio­na­len Kunst­sze­ne för­dern und ei­nen trans­na­tio­na­len Dia­log er­mög­li­chen.

Kein Ruf nach Gla­mour

Die en­ge Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen den vier In­sti­tu­tio­nen hat auch die Di­rek­tor:in­nen – Tho­mas D. Trum­mer (Bre­genz), Ste­phan Kunz (Chur), Le­ti­zia Ra­ga­glia (Va­duz) und Gi­an­ni Jet­zer (St.Gal­len) – ein­an­der nä­her­ge­bracht. «Un­se­re Ko­ope­ra­ti­on ist fast in­tim», sagt Gi­an­ni Jet­zer. «Wenn es uns ge­lingt, die­se Ver­bun­den­heit auch auf un­ser Pu­bli­kum zu über­tra­gen, wä­re das ein gros­ser Er­folg», fügt Le­ti­zia Ra­ga­glia hin­zu. Die Idee zu «Cloud Cast­le» ent­stand aus der per­sön­li­chen Ver­bun­den­heit der vier Häu­ser, die sich al­le an eher pe­ri­phe­ren Or­ten und nicht in städ­ti­schen Me­tro­po­len be­fin­den. «Un­se­re Lie­be zu künst­le­ri­schen Ex­pe­ri­men­ten führ­te schliess­lich zur Idee, Luft­schlös­ser statt In­se­ra­te zu bau­en», so Jet­zer.

«Cloud Cast­le» sym­bo­li­siert ei­nen im­ma­te­ri­el­len Raum, der die vier künst­le­risch di­vers po­si­tio­nier­ten In­sti­tu­tio­nen ver­bin­det und die Be­su­cher:in­nen in ei­ne ge­mein­sa­me Er­fah­rung ein­be­zieht. «Es geht uns nicht um Gla­mour, son­dern um die Kraft der Kunst», be­tont Ra­ga­glia. Als «fünf­te Di­men­si­on» ver­eint das Luft­schloss flüch­ti­ge, je­doch ver­bind­li­che Kunst­for­men und for­dert das Pu­bli­kum zu ei­ner kon­ti­nu­ier­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung mit den Pro­jek­ten und der ei­ge­nen Wahr­neh­mung auf. Jet­zer sagt: «Der Pro­zess steht im Zen­trum, nicht das fer­ti­ge Re­sul­tat.»

Von links: Thomas D. Trummer, Kunsthaus Bregenz, Stephan Kunz, Bündner Kunstmuseum, Letizia Raggaglia, Kunstmuseum Liechtenstein, Gianni Jetzer, ​Kunstmuseum St.Gallen. (Bild: Roland Rasemann)

Dop­pel­ter Auf­takt

Mit der Wahl von Wu Tsa­ng für die ers­te künst­le­ri­sche Po­si­ti­on prä­sen­tie­ren die In­sti­tu­tio­nen ei­ne der re­nom­mier­tes­ten mul­ti­me­dia­len Kunst­schaf­fen­den der Ge­gen­wart. Wu Tsa­ng, die 2022 an der Bi­en­na­le in Ve­ne­dig zu se­hen war, be­wegt sich zwi­schen Thea­ter, Tanz, Film und bil­den­der Kunst. Die US-Künst­le­rin hat ei­ne en­ge Ver­bin­dung zur Schweiz, die sich un­ter an­de­rem in ei­ner Ein­zel­aus­stel­lung 2015 im Mi­gros Mu­se­um für Ge­gen­warts­kunst in Zü­rich oder der Ar­beit als Re­gis­seu­rin am Schau­spiel­haus Zü­rich ma­ni­fes­tiert, wo sie in die­sem Jahr Car­men auf die Büh­ne brach­te. Bei «Cloud Cast­le» schöpft Tsa­ng nun aus der ver­tief­ten Aus­ein­an­der­set­zung mit Ge­or­ges Bi­zets Oper.

Im Klang­haus Tog­gen­burg, dem neu ge­schaf­fe­nen Ort für Klang­ex­pe­ri­men­te in­mit­ten der Vor­al­pen­ku­lis­se, wird im Ja­nu­ar Car­men in den Ber­gen in ei­ner Um­ge­bung von höchs­tem Ni­veau akus­ti­scher Raum­pla­nung in­sze­niert. Mit die­sem Auf­takt ver­setzt die Künst­le­rin nicht nur das Luft­schloss, son­dern auch das Klang­haus, das im Mai of­fi­zi­ell er­öff­net wird, zum ers­ten Mal in Schwin­gung. Ein Pod­cast dient als im­ma­te­ri­el­les au­di­tives Zeug­nis der vor­aus­ge­hen­den Ak­ti­vi­tä­ten der vier In­sti­tu­tio­nen. Zu­sätz­lich pla­nen Wu Tsa­ng und das künst­le­ri­sche Team die Auf­nah­me ei­ner LP, um die im Klang­haus ent­ste­hen­den Mo­men­te der Werk­ent­wick­lung fest­zu­hal­ten.

Wir-Ge­fühl in der Kunst

«Cloud Cast­le» kann sich nur durch den kon­ti­nu­ier­li­chen Aus­tausch zwi­schen den vier In­sti­tu­tio­nen le­ben­dig und über­ra­schend ent­wi­ckeln. Wür­de ei­ne der In­sti­tu­tio­nen das Pro­jekt al­lein rea­li­sie­ren, wä­re das Er­geb­nis ein völ­lig an­de­res, ist sich Le­ti­zia Ra­ga­glia si­cher. Die Zu­sam­men­ar­beit the­ma­ti­siert auch das viel­dis­ku­tier­te «Wir-Ge­fühl» in der Kunst, das in ei­ner zu­neh­mend plu­ra­lis­ti­schen Ge­sell­schaft be­son­ders re­le­vant ist. Kunst ver­eint un­ter­schied­li­che Per­spek­ti­ven und Iden­ti­tä­ten, oh­ne den Raum für in­di­vi­du­el­le Aus­drucks­for­men ein­zu­schrän­ken. 

So schafft auch «Cloud Cast­le» ei­nen Raum, in dem nicht nur die vier Di­rek­tor:in­nen der In­sti­tu­tio­nen als Kol­lek­tiv auf­tre­ten, son­dern vor al­lem auch die Wahr­neh­mun­gen und Iden­ti­tä­ten der Be­su­cher:in­nen mit­ein­an­der in den Dis­kurs tre­ten kön­nen. In die­sem Kon­text ge­winnt das Kon­zept des «Trembling Thin­king», das der Phi­lo­soph Édouard Glis­sant präg­te, zu­neh­mend an Be­deu­tung. Le­ti­zia Ra­ga­glia be­schreibt es als ei­ne Form des of­fe­nen Den­kens oh­ne fes­te Gren­zen. Der Vor­teil für das Pu­bli­kum: Kunst­kon­su­ment:in­nen sind nicht mehr an ei­ne ein­zi­ge in­sti­tu­tio­nel­le Po­si­ti­on ge­bun­den, son­dern kön­nen sich von den flui­den, sich stän­dig ver­än­dern­den Per­spek­ti­ven an­spre­chen las­sen. 

Car­men in den Ber­gen von Wu Tsa­ng: 11. Ja­nu­ar, 16 bis 17 Uhr, Klang­haus Tog­gen­burg
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