Das Kunstmuseum St.Gallen, das Kunsthaus Bregenz, das Kunstmuseum Liechtenstein und das Bündner Kunstmuseum Chur haben sich zu einer transnationalen Kooperation im Dreiländereck zusammengeschlossen. Gemeinsam schaffen die vier renommierten Kunstinstitutionen «Cloud Castle», eine Plattform für immersive Kunstprojekte an verschiedenen Orten. Inspiriert vom deutschen Begriff «Luftschloss» soll diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit nicht nur aus den jeweiligen White Cubes der vier Institutionen ausbrechen, sondern auch das Publikum bündeln.
Das Projekt «Cloud Castle» ist aus einer früheren Zusammenarbeit der vier Häuser im Bereich Marketing entstanden. Die Idee, Künstler:innen einzuladen und Kunstwerke in Auftrag zu geben, brachte das Vorhaben schliesslich ins Rollen. Langfristig soll das Projekt die Vernetzung der regionalen Kunstszene fördern und einen transnationalen Dialog ermöglichen.
Kein Ruf nach Glamour
Die enge Zusammenarbeit zwischen den vier Institutionen hat auch die Direktor:innen – Thomas D. Trummer (Bregenz), Stephan Kunz (Chur), Letizia Ragaglia (Vaduz) und Gianni Jetzer (St.Gallen) – einander nähergebracht. «Unsere Kooperation ist fast intim», sagt Gianni Jetzer. «Wenn es uns gelingt, diese Verbundenheit auch auf unser Publikum zu übertragen, wäre das ein grosser Erfolg», fügt Letizia Ragaglia hinzu. Die Idee zu «Cloud Castle» entstand aus der persönlichen Verbundenheit der vier Häuser, die sich alle an eher peripheren Orten und nicht in städtischen Metropolen befinden. «Unsere Liebe zu künstlerischen Experimenten führte schliesslich zur Idee, Luftschlösser statt Inserate zu bauen», so Jetzer.
«Cloud Castle» symbolisiert einen immateriellen Raum, der die vier künstlerisch divers positionierten Institutionen verbindet und die Besucher:innen in eine gemeinsame Erfahrung einbezieht. «Es geht uns nicht um Glamour, sondern um die Kraft der Kunst», betont Ragaglia. Als «fünfte Dimension» vereint das Luftschloss flüchtige, jedoch verbindliche Kunstformen und fordert das Publikum zu einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit den Projekten und der eigenen Wahrnehmung auf. Jetzer sagt: «Der Prozess steht im Zentrum, nicht das fertige Resultat.»
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Von links: Thomas D. Trummer, Kunsthaus Bregenz, Stephan Kunz, Bündner Kunstmuseum, Letizia Raggaglia, Kunstmuseum Liechtenstein, Gianni Jetzer, Kunstmuseum St.Gallen. (Bild: Roland Rasemann)
Doppelter Auftakt
Mit der Wahl von Wu Tsang für die erste künstlerische Position präsentieren die Institutionen eine der renommiertesten multimedialen Kunstschaffenden der Gegenwart. Wu Tsang, die 2022 an der Biennale in Venedig zu sehen war, bewegt sich zwischen Theater, Tanz, Film und bildender Kunst. Die US-Künstlerin hat eine enge Verbindung zur Schweiz, die sich unter anderem in einer Einzelausstellung 2015 im Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich oder der Arbeit als Regisseurin am Schauspielhaus Zürich manifestiert, wo sie in diesem Jahr Carmen auf die Bühne brachte. Bei «Cloud Castle» schöpft Tsang nun aus der vertieften Auseinandersetzung mit Georges Bizets Oper.
Im Klanghaus Toggenburg, dem neu geschaffenen Ort für Klangexperimente inmitten der Voralpenkulisse, wird im Januar Carmen in den Bergen in einer Umgebung von höchstem Niveau akustischer Raumplanung inszeniert. Mit diesem Auftakt versetzt die Künstlerin nicht nur das Luftschloss, sondern auch das Klanghaus, das im Mai offiziell eröffnet wird, zum ersten Mal in Schwingung. Ein Podcast dient als immaterielles auditives Zeugnis der vorausgehenden Aktivitäten der vier Institutionen. Zusätzlich planen Wu Tsang und das künstlerische Team die Aufnahme einer LP, um die im Klanghaus entstehenden Momente der Werkentwicklung festzuhalten.
Wir-Gefühl in der Kunst
«Cloud Castle» kann sich nur durch den kontinuierlichen Austausch zwischen den vier Institutionen lebendig und überraschend entwickeln. Würde eine der Institutionen das Projekt allein realisieren, wäre das Ergebnis ein völlig anderes, ist sich Letizia Ragaglia sicher. Die Zusammenarbeit thematisiert auch das vieldiskutierte «Wir-Gefühl» in der Kunst, das in einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft besonders relevant ist. Kunst vereint unterschiedliche Perspektiven und Identitäten, ohne den Raum für individuelle Ausdrucksformen einzuschränken.
So schafft auch «Cloud Castle» einen Raum, in dem nicht nur die vier Direktor:innen der Institutionen als Kollektiv auftreten, sondern vor allem auch die Wahrnehmungen und Identitäten der Besucher:innen miteinander in den Diskurs treten können. In diesem Kontext gewinnt das Konzept des «Trembling Thinking», das der Philosoph Édouard Glissant prägte, zunehmend an Bedeutung. Letizia Ragaglia beschreibt es als eine Form des offenen Denkens ohne feste Grenzen. Der Vorteil für das Publikum: Kunstkonsument:innen sind nicht mehr an eine einzige institutionelle Position gebunden, sondern können sich von den fluiden, sich ständig verändernden Perspektiven ansprechen lassen.
Carmen in den Bergen von Wu Tsang: 11. Januar, 16 bis 17 Uhr, Klanghaus Toggenburg
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