Vielstimmig naturtönig

Obertongesang hat über Jahrtausende hinweg nicht an Faszination verloren. Der 20-köpfige Chor Partial ist mit seinem Programm zwischen Obertonwelt und alpinen Musikpraktiken nun erstmals live in St.Gallen zu hören.
Von  Peter Surber
Der Chor Partial um Christian Zehnder und Marcello Wick. (Bilder: pd)

Obertongesang ist immer noch eine geheimnisumwitterte Kunst. Die Physik sagt, dass ein Ton nicht einfach ein Ton ist, sondern seine Qualität und Lebendigkeit erst dank den mitschwingenden Ober- und Untertönen erhält. Deren Reihe lässt sich am einfachsten durch unterschiedliche Teilungen einer Saite erleben und aufschlüsseln. Ein besonders «auffälliger» Oberton, das schief tönende Alphorn-Fa, ist aus der Naturmusik geläufig. Aber um die Töne im eigenen Körperinstrument, mit der eigenen Stimme zu entwickeln, braucht es mehr als Physik. Es braucht vor allem Übung.

Tibetische Mönche üben lebenslang an ihrem archaischen Obertongesang. In den Kursen von Christian Zehnder und Marcello Wick dauert der Lernprozess etwas weniger lang – süchtig kann er aber auch machen. Jetzt treten die beiden Profis mit einem Chor an die Öffentlichkeit.

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Der Chor Partial sucht in vergessenen Rufen zwischen Tradition und Experiment neue Wege, um mit Obergesang klangliche Vielfalt im Chorgesang zu schaffen.

Er heisst Partial und besteht aus gut 20 Frauen und Männern aus allen Ecken der Schweiz, die sich in Obertonkursen gefunden haben – meist Laien, aber vom Obertongesang faszinierte «Freaks», wie Marcello Wick sagt. Das Konzert handelt laut Titel Von Klanghöhen und Berglauten. Es umfasst Eigenkompositionen von Zehnder und Wick, zur Hauptsache durchkomponiert, teils mit improvisatorischen Elementen sowie Bearbeitungen, etwa einem Stück von Johannes Brahms oder einem schwedischen Volkslied. Das Programm bewege sich bewusst zwischen der Obertonwelt und dem «normalen» Tonsystem, sagt Marcello Wick.

Partial: 25. November, 20 Uhr, Kirche St.Mangen St.Gallen
partial.ch

Naturstimmen on tour: 18. November, 20 Uhr, Tonhalle St.Gallen
klangwelt.ch/naturstimmen

Und es knüpfe, wie der Konzerttitel antönt, eher an alpine Musikpraktiken, an Jodel und Naturtongesang an als an esoterische Traditionen, in denen der Obertongesang auch eine Rolle spielt. Spirituell in einem weiten Sinn sei der Obertongesang jedoch durchaus, sagt Wick – wie im Grunde jedes Singen. Marcello Wick kennt man von experimentellen Konzerten im Quartett Stimmsaiten. Und in der Hamlet-Inszenierung am Theater St.Gallen erklang sein Ober- und Untertongesang solo als Live-Soundtrack. Jetzt wird daraus ein ganzer Chor; 2016 für das Naturstimmen-Festival im Toggenburg entstanden, gibt Partial im November in St.Gallen sein erstes Konzert.

Bereits eine Woche vorher ist das Naturstimmen-Festival seinerseits «on tour»: Das Trio Han Vivi aus Benin, der Schweizer Jugendchor jutz.ch sowie der Toggenburger Jodler Christian Metzler bieten in der Tonhalle St.Gallen einen Vorgeschmack auf das Festival 2018.

Dieser Text erschien im Novemberheft von Saiten.