Valiers Polizeistrategie: Aufmarschieren und hinstehen

Der St.Galler Polizeikommandant Pius Valier gilt als Hardliner. Nach der Auseinandersetzungen mit einer illegalen «Party» auf dem Marktplatz vom Samstagabend räumte er an der Pressekonferenz am Montag Fehler ein: Er habe zu wenig Beamte aufgeboten. Kein Thema scheint hingegen Valiers  Polizeitaktik zu sein, die ein weiteres Mal dafür sorgte, dass eine Situation eskalierte. Sie heisst […]
Von  Andreas Kneubühler

Der St.Galler Polizeikommandant Pius Valier gilt als Hardliner. Nach der Auseinandersetzungen mit einer illegalen «Party» auf dem Marktplatz vom Samstagabend räumte er an der Pressekonferenz am Montag Fehler ein: Er habe zu wenig Beamte aufgeboten.

Kein Thema scheint hingegen Valiers  Polizeitaktik zu sein, die ein weiteres Mal dafür sorgte, dass eine Situation eskalierte. Sie heisst kurz zusammengefasst: Aufmarschieren, hinstehen und abwarten. Das provokative Bild, das die eine Phalanx von Polizisten in ihrer Robocop-Ausrüstung bietet, sorgt in der alkoholgetränkten Stimmung zwangsläufig dafür, dass die latente Aggressivität ihr Ziel findet – und sich entlädt.

Die genau gleiche Taktik verfolgte Valier 2008 beim Barragsspiel im Stadion Espenmoos, als er die aufgerüsteten Polizeitruppen noch vor dem Schlusspfiff auf dem Spielfeld aufmarschieren liess. Dort mussten sie  stehen bleiben, bis  Randalierer die Einladung annahmen, Gegenstände warfen und sich stundenlange Krawalle entwickelten. Die Prozesse danach zogen sich über zwei Jahre hin.

Anderswo ist man offensichtlich längst schlauer geworden. Das zeigt das Interview des deutschen Fussballmagazins «11 Freunde» mit Jürg Straubhaar, Chef des Berner Dialogteams, vom Mai 2012:

Kein Helm, kein Schlagstock: Berns Polizei rüstet beim Fussball ab
«Wir wirkten zu aggressiv»

Robocop war gestern: Berns Polizei setzt bei Fuflballspielen Beamte ein, die ohne Schlagstock und Helm auskommen. Wir sprachen mit Jürg Straubhaar, Chef des Berner Dialogteams, über aggressive Kollegen und fehlende Erfahrung im Umgang mit Fans.
INTERVIEW: ANDREAS BOCK BILD: IMAGO

Jürg Straubhaar, seit einiger Zeit verfolgt die Berner Polizei eine neue Strategie bei Fuflballspielen: Statt in Schutzpolizei-Montur erscheinen Beamte in normaler Uniform und einer neonroten Weste. Wieso?

Die Fronten zwischen Fans und Polizei hatten sich in der jüngeren Vergangenheit extrem verhärtet. Die Polizeiaufgebote wurden sukzessive aufgestockt und die Auseinandersetzungen nahmen zu. Man hat sich von beiden Seiten nur noch als Gegner wahrgenommen. Niemand sprach mehr miteinander. Das wollten wir ändern.

Und deswegen treten Sie nun weniger martialisch auf?

Wir haben über all die Jahre die sogenannte 3D-Strategie verfolgt: Dialog, Deeskalation, Durchgreifen. Dabei sollte der Dialog am Anfang stehen. De facto wurde aber nie gesprochen. Wir wirkten zu aggressiv. Ich habe mich oft tierisch über Kollegen geärgert, die hart eingriffen, wenn noch die Möglichkeit eines Dialoges bestand.



Für den Fan wirken Polizisten mit Schild, Panzer, Schlagstock und Helm nicht gerade dialogbereit.

Er wirkt anonym, das stimmt.

Fehlt den Schutzpolizisten auch die Erfahrung im Umgang mit den Fans?

Es klingt immer so einfach: Sprecht mit den Leuten. Leuten in meinem Alter – ich bin 55 – fällt das leichter. Doch viele Beamte sind erst Anfang 20. Und anders als in Deutschland haben sie keine spezielle Ausbildung für Einsätze bei Fuflballspielen. Die hiesigen Polizisten arbeiten im normalen Streifendienst und werden dann am Wochenende zu Spielen abgezogen. Deswegen ist das Projekt anfangs auch gescheitert.

Wann war das?

Deutschland hatte bei der WM Anti-Konflikt- und Kommunikationsteams eingesetzt. In Bern haben wir das danach einige Male versucht, doch es funktionierte nicht. Die Polizisten fühlten sich ohne Schutz nicht wohl. Wegen der angesprochenen Entwicklung haben wir uns in dieser Saison noch einmal zusammengesetzt. Auch mit Fanvertretern der jeweiligen Vereine, die uns ihre Wünsche mitteilten. Nun haben wir Polizisten in diesen Einheiten, die viel besser geschult sind. Wir haben mit den Dialogteams mittlerweile zehn Spiele begleitet.

Dabei starteten sie mit einem Risikospiel

Richtig. Das erste Spiel war Young Boys Bern gegen Servette Genf. Die Schutzpolizei wartete die ganze Zeit in Autos oder hielt sich in einiger Entfernung auf, eine Strasse weiter oder hinter einem Häuserblock. Wenn es also wirklich zu Randalen oder Schlägereien kommt, kann sie auf unser Signal eingreifen. Beim Spiel gegen Servette Genf blieb es aber ruhig.

Gab es denn andere Spiele, bei denen die Schutzpolizei eingreifen musste?


Bisher nicht. Vergangenes Wochenende spielten die Young Boys  gegen den FC Zürich, das war ebenfalls ein Risikospiel. Es gab ein paar kleinere Vorfälle. Auf dem Weg zum Zug griffen etwa Zürcher Fans in das Gleisbett und steckten Steine ein. Ich überlegte kurz, ob wir die Schutzpolizei benötigten. Schliefllich entschieden wir uns aber gegen einen Einsatz. Sie sollten nur ein bisschen näher kommen. Die Zürcher Fans konnten mit Gesprächen dazu bewegt werden, die Steine wieder zur¸ckzulegen.

Sie wollen nun die Schutzpolizei abrüsten. Ist das ein Modell für die ganze Schweiz?
In der Schweiz hat jeder Kanton die Hoheit über solche Entscheidungen. Bern als Bundesstadt hat aber bei vielen Dingen eine Vorreiterrolle und auf die hoffe ich auch dieses Mal. Denn ich denke, dass sich die Dialog-Teams bislang bewährt haben. Wir wollen die Teams auch aufstocken auf etwa 50 Leute – und zugleich die Schutzpolizei weiter minimieren. Ich wünsche mir Verhältnisse wie früher.

Früher war es nicht weniger gewalttätig.
Es gab Zeiten, da war es weitaus ruhiger. Und es gibt auch andere grosse Events, da kommen wir immer noch ohne Polizei-Hundertschaften aus. Beim Eishockey etwa.