Innensicht: Unterm Stuck des Kreispostdirektors
Sagt man Gästen von auswärts, dass dieses Bibliotheksgeschoss samt Café St Gall in der Hauptpost lediglich ein Provisorium ist, erntet man ungläubiges Staunen. Doch was Provisorien so an sich haben, gilt auch hier: Sie leben in der Regel lange.
Café St Gall, Gutenbergstrasse 2 058 229 09 98, cafestgall.ch
So wird es auch noch dauern, bis vielleicht im sanierten oder neu gebauten Union-Gebäude ein definitiver, noch grosszügigerer Bibliotheksstandort in Betrieb gehen kann. Wir können uns also noch ein paar Jahre ins Café St Gall setzen, das die Architekten Ivo Barão und Peter Hutter zusammen mit Kantonsbaumeister Werner Binotto 2015 in der Südostecke der mächtigen Hauptpost eingerichtet haben.
Das Gebäude selbst entstand nach Plänen der damals berühmten Architekten Pfleghard & Haefeli und ging 1915 in Betrieb. Otto Pfleghard, ein Konditorsohn, wuchs in St.Gallen auf und ging hier zur Schule. Die Hauptpost wurde einst so grosszügig geplant, weil die St.Galler Wirtschaft bis zum Ersten Weltkrieg brummte. Tempi passati. Seit 2009 gehört das Gebäude dem Kanton.
In der Ecke des Café St Gall war einst das Büro des Kreispostdirektors, an der Decke entdeckt man noch den lädierten Stuck. Darunter sitzen wir neben der farbenfrohen Textilwand aus den Ateliers der Jakob-Schlaepfer-Designerinnen und -Designer und zwischen Ständern mit einer internationalen Zeitungsauswahl. Von den Bibliotheksregalen ist das Lokal mit einer «Heftli»-Wand abgetrennt, die alles bietet, «was wir gerne lesen, aber nie abonnieren würden», wie die NZZ-Journalistin letzten Sommer über das «einzige Kaffeehaus mit eigener Bibliothek» schrieb. Hier findet man alles, vom Yoga-Magazin bis zur Gartenpflege (und zu Saiten). Geführt wird der Betrieb vom Thurgauer Sozialunternehmer Renato Blättler, der inzwischen auch das «Concerto» in der Tonhalle übernommen hat.