Unter der Haut
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Drei Frauen. Verena, die Mutter, die sich einst von Erik trennte und mit Ida ein neues Leben begann, die krank und geschwächt die Nähe zu ihren Töchtern sucht. Fenna, die jüngere der Töchter, schwanger von Luc, zugleich verunsichert wie entschlossen. Und Rahel, die Erzählende, die von Martin schwanger sitzengelassen wurde und bei Boris in seinem grossen Haus Asyl findet, wieder schwanger wird und sich immer tiefer in den Verstrickungen von Mutterschaft, Selbstzweifeln, Enge und Verunsicherung wiederfindet.
«Rahel trommelte mit beiden Fäusten auf ihre Stirn…. Hier drin ist alles weg. Absolut leer!»
Wäre Rahels Leben nicht von den Pflichten einer Mutterschaft zugedeckt worden, wäre sie Sängerin, Texterin geblieben. Aber was in ihrem Bauch zu wachsen begann, nahm ihr die Freiheit, auch jene, jener Stimme nachzugehen, von der sie einst glaubte, sie mache ein ganzes Leben aus. Und weil sich mit dem Schriftsteller Boris, seinem grossen Haus, seiner Unaufdringlichkeit und seiner Fürsorge alles wie von selbst zu fügen schien, gibt sich Rahel auch in eine zweite Schwangerschaft. Ein Kind allerdings, dass sich in eine nicht bereite Welt verirrt hat, das sich nach der Geburt fremd anfühlt. Zeichen, die Boris nicht verstehen kann, denen Boris immer hilfloser gegenübersteht.
«Sie wollte fort, weit weg.»
Was uns betrifft ist keine Beziehungskiste. Was uns betrifft ist eine wilde Reise durch die Weiblichkeit. Selten verunsicherte mich die Lektüre eines Buches so sehr – weil ich ein Mann bin. Nicht weil ich nicht verstehen könnte, was geschrieben steht, was erzählt und gefühlt wird. Aber ich lese diesen Roman mit dem Blick eines Mannes, eines Vaters, lese ihn von der anderen Seite, von gegenüber, in einer seltsamen, bei der Lektüre eigenartigen Distanz, die sich noch verstärkt dadurch, dass der Roman aus maximaler Nähe erzählt, dass mich die Weiblichkeit wie ein Strudel mitnimmt, ohne mich zu erschlagen.
«Jede webt ihre Geschichten aus ihren Erfahrungen und trägt sie anders.»
Was uns betrifft betrifft so sehr, weil Laura Vogt ihre Leserinnen und Leser auf eine Reise mitnimmt in jenes Reich, dass sich scheinbar unendlich weit von Freiheit befindet, erdrückende Enge bedeutet, die alles zudeckt, alles vereinnahmt und doch durch nichts gleichzusetzen ist, das in seiner Einmaligkeit berauscht, das von etwas kosten lässt, was sonst verborgen bliebe. Was uns betrifft ist kein Frauenbuch, aber ein Buch, das so nur von einer Frau geschrieben werden kann. Umso aufschlussreicher für den Mann, umso kraftvoller und unmittelbarer für die Frau.
Der Autorin gelingen unglaublich sensible Beobachtungen und Schilderungen. Frausein wird Wahrnehmung, dieses Frausein, das mit Zeugung, Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft untrennbar verbunden ist, wird durchs Lesen zur Tiefenerfahrung. Laura Vogt schreibt sich durch die Haut hindurch in den Bauch der Frau. Vielleicht auch in die Erkenntnis, dass es zwischen Frau und Mann letztlich nur zum liebenden Verständnis kommen kann, ohne die Geheimnisse des jeweils anderen Geschlechts ergründen zu können. Dass der Mann Eindringling und Ausgeschlossener bleibt.
«Ein Haus, ein Mann, ein Sohn, eine Tochter, ein Stück Garten und dann doch auf einmal diese Leere.»
Rahel trifft sich mit ihrer Schwester und ihrer vom Krebs geschwächten Mutter, zwei Tage allein, ohne Kinder, weil Boris mit ihnen weggefahren ist. Sie sind allein in seinem Haus, wie damals, als sie allein waren, bei ihren «Dämlichabenden». Aus Distanz wird mit einem Mal Nähe, gewinnen sie zurück, was sie verloren glaubten: Verena ihre Familie, Fenna ihre Entschlossenheit und Ruhe und Rahel ihre Stimme, ihre Sprache, ihr Schreiben. Laura Vogts Roman ist vielschichtig, entblättert sich nur bis zu einem Kern, der verschlossen bleibt und die Fragen, was uns denn zusammenhält, nicht beantworten kann und will.
«Ich habe immer gemeint, Singen und Schreiben bedeutet vor allem Loslassen und Abschied. Abstand nehmen … Aber es ist viel mehr als das. Es ist auch Neuanfang. Weitergehen.»
Laura Vogt, Jahrgang 1989, ist in Ausserrhoden aufgewachsen, studierte am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Sie schreibt neben Prosa auch lyrische, dramatische und journalistische Texte und ist als Mentorin und Schriftdolmetscherin tätig. 2016 erschien ihr Debütroman So einfach war es also zu gehen bei der Verlagsgenossenschaft St. Gallen.
Was uns betriff ist eine Reise. Die Reise einer Mutter mit ihrem Kind, von der unmittelbaren Verbindung über die permanente Entfremdung und Entfernung ab Geburt bis zum Gefühl, dass damit auch Entfernung und Entfremdung mit sich selbst einhergeht. Eine Reise weg von den festgelegten Vorstellungen von Familie aus der Vergangenheit in die Weite einer Gegenwart, in der man sich zu verlieren droht. Eine Reise von aussen in die Fänge einer Familie und wieder hinaus. Eine Reise zwischen Tochter- und Muttersein.
Dieser Beitrag erschien im Märzheft von Saiten.