Unruhige Insel
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«Hell is empty and all the devils are here.» Diesen Shakespeare-Satz zitiert Sunanda Deshapriya vergangenen Freitagabend im Cabi-Antirassismustreff in St.Gallen. Sein Vortrag über die aktuellen Zustände in Sri Lanka beginnt mit einer einstündigen Verspätung, es gibt Probleme mit dem Beamer, die auch das spontan aus dem nahe gelegenen Frauenarchiv herbeigeschaffte Ersatzgerät nicht zu lösen vermag. Es fehlt der richtige Adapter.
Das zahlreich erschienene Publikum nimmts gelassen, unterhält sich über die Bilder des sri-lankischen Aktivisten und Künstlers Sarath Maddumage, mit denen Hilfsgelder gesammelt werden sollen, und lässt sich Gemüsewähe und Fruchtsalat schmecken. Die Wasserkrüge müssen an diesem schwülwarmen Sommerabend immer wieder nachgefüllt werden.
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If the beamer breaks down… Sarath Maddumage, Sunanda Deshapriya und ein Helfer, allesamt etwas ratlos.
Von der gemütlichen Szenerie im Linsebühlquartier geht es gedanklich aber rasch in weniger paradiesische Gefilde. Sri Lanka ist bankrott und es droht eine ausgewachsene Hungerkrise. Davon erfährt man in hiesigen Medien, wo der Krieg in der Ukraine alles überschattet, allerdings kaum etwas. Umso wichtiger sind solche Anlässe wie jener im CaBi.
Hyperinflation und Hungerkrise
Mit den Shakespeare’schen Teufeln meint Journalist Sunanda Deshapriya den Rajapaksa-Clan, der Sri Lanka seit 2005 praktisch in Eigenregie anführt – und jetzt an den Rand des Abgrunds getrieben hat. Der Bürgerkrieg ist zwar seit 2009 mit dem Sieg über die LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) offiziell für beendet erklärt worden. Dieser hat mit der aktuellen Krise und den Protesten in Colombo und anderen Städten aber höchstens am Rande zu tun.
Der Inselstaat im indischen Ozean liegt wirtschaftlich am Boden. Zu verantworten hätten das die Kleptokraten des Rajapaksa-Clans, erklärt Deshapriya. Die Korruption hat sich im System festgesetzt. Es gibt kaum noch ausländische Währungsreserven. Damit ist der Aussenhandel praktisch lahmgelegt. Die Schiffe, die Benzin und Gas bringen, kehren wieder um, ohne ihre Fracht in den sri-lankischen Häfen zu löschen.
Es gelangen kaum noch Lebensmittel und medizinische Güter ins Land, die Preise schnellen in die Höhe. Die globalen Energiepreise, die derzeit wegen des Ukrainekonflikts ansteigen, tun ihr Übriges. «Die Inflationsrate beträgt derzeit 38 Prozent», sagt Deshapriya. Wer ins Spital wolle, müsse selber Wundfaden mitbringen. Die Menschen stehen tagelang Schlange, um Gas zum Kochen und Benzin für die Transporte zu beschaffen. Vor einer Woche ist ein Mann gestorben, nachdem er tagelang in einer Warteschlange ausgeharrt hatte. Etliche weitere mussten dehydriert ins Spital. Die Schulen wurden geschlossen, auch damit werden Benzinkosten gespart.
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Teilweise stehen die Menschen tagelang Schlange für ein bisschen Gas, das sie zum Kochen benötigen. (Bild: pd)
Kommt hinzu, dass der selbstherrliche Präsident Gotabaya Rajapaksa von einem Tag auf den anderen beschlossen hat, synthetische Düngemittel für den gesamten Landwirtschaftssektor zu verbieten. Nur noch Bio-Anbau ist erlaubt. Was grundsätzlich zu begrüssen ist, bedeutet für das unvorbereitete Land Ernteeinbussen von rund einem Viertel. Mit fatalen Folgen vor allem für die ärmere Bevölkerung, gerade auch in der jetzigen Lage, wo aufgrund der Devisenknappheit kaum noch Reis oder andere Grundnahrungsmittel importiert werden können. Die Vorräte werden immer knapper. Vier bis fünf Millionen Menschen seien von einer Hungerkrise bedroht.
«#GoHomeGota»
Gebannt lauscht das Publikum im CaBi Sunanda Deshapriyas Berichten. Er spricht Englisch, Judith Grosse, die neue Leiterin des Frauenarchivs, übersetzt das Gesagte alle paar Minuten ad hoc. Deshapriya wohnt in Colombo und Genf, er hat seine Verwandten in Sri Lanka aufgrund der Krise allerdings schon seit einiger Zeit nicht mehr besuchen können. Er betreibt die englischsprachige Website srilankabrief.org, wo er über die demokratischen und Menschen-Rechte berichtet und Beweise für die Verstösse dagegen sammelt, «damit der Rajapaksa-Clan sich irgendwann einmal für seine Verbrechen vor einem internationalen Gericht verantworten muss», wie er sagt.
Im CaBi berichtet er ausserdem aus erster Hand, wie auch seine Frau, seine Tochter und sogar die fünfjährige Enkelin an den Demonstrationen und Platzbesetzungen teilgenommen haben. Das war, als der Protest noch friedlich war. Im April 2022 haben Jugendliche aus der singhalesischen Mittelschicht, vor allem in und um Colombo, begonnen, wegen der dauernden und langanhaltenden Stromausfälle und der allgemeinen Wirtschaftskrise gegen die Regierung zu protestieren. #GoHomeGota, stand auf den Schildern und Transparenten. Tausende schlossen sich den Protesten in Colombo an oder richteten eigene Camps in anderen Landesteilen ein.
«Das Schönste an diesen Protesten war, dass die Frauen, vor allem jüngere, dabei eine entscheidende Rolle eingenommen haben», sagt Deshapriya. Die Regierung warnte, an die konservativen Männer gerichtet, öffentlich davor, solche protestierenden Frauen zu heiraten, und zeigte dazu Bilder von ihnen, in die sie benutzte Kondome hinein gephotoshopt hatte. Die Proteste waren bis zu einem gewissen Punkt progressiv und integrativ, auch muslimische und christliche und sogar tamilische Gruppen haben sich dem mehrheitlich singhalesischen Protest angeschlossen.
Je grösser die Bewegung wurde, desto schwieriger wurde es allerdings, an der Gewaltlosigkeit festzuhalten. Eine Situation, die Deshapriya selber aus seiner Zeit bei den Protesten von 1971 kennt. Als ein Mob aufgebrachter Männer Anfang Mai diesen Jahres mehrere Häuser von Regierungsmitgliedern in Colombo anzündete, liess die Polizei sie absichtlich gewähren. Sie hätte die Eskalation problemlos verhindern können, die Regierung wollte allerdings einen offiziellen Grund, die bislang friedlichen Proteste nunmehr mit Gewalt niederschlagen zu können.
Appell an Schweizer Behörden
Mittlerweile hat der Präsident nebst Polizei und Militär auch eigene «zivile» Schlägertrupps engagiert, die mit Stöcken und Eisenstangen auf die Demonstrierenden losgehen. «Es ist absolut wichtig, dass die Proteste jetzt wieder friedlich werden», betont Deshapriya mehrfach. Er will die Hoffnung darauf nicht aufgeben, auch wenns im Moment nicht so aussieht, dass sich nochmals eine progressive Bewegung formiert. Zu viele Menschen wurden in diesem blutigen Frühling auf Sri Lanka verhaftet, verletzt oder gar getötet.
Der Machtapparat des hochmilitarisierten Inselstaats sitzt nach wie vor fest im Sattel, auch wenn mittlerweile ein Minister seinen Posten geräumt hat. Der Rajapaksa-Clan hat nach wie vor das Sagen.
«Was können wir hier in der Schweiz tun, um Sri Lanka zu helfen», fragt eine junge Frau im Publikum. «Zuerst einmal ist wichtig, dass die Welt von den aktuellen Vorkommnissen in Sri Lanka erfährt», antwortet Deshapriya. «Dann ist es wichtig, dass Druck auf die Schweizer Regierung ausgeübt wird. Sie soll allfällige Hilfslieferungen an politische Bedingungen knüpfen: Demokratische Grund- und Menschenrechte müssen unbedingt eingehalten werden.»