«Um eine Bewegung am Laufen zu halten, muss man Verbindungen schaffen»
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Saiten: Marina, du gibst die Archivleitung im Juli ab, arbeitest aber trotzdem noch weiter. Mit welchem Stoff beschäftigst du dich im Moment?
Marina Widmer: Eines meiner aktuellen Projekte ist das Buch zur italienischen Migration in die Ostschweiz von 1850 bis heute. Das Grobkonzept steht, jetzt sind wir auf der Suche nach Leuten, die mitschreiben und übersetzen. Das Buch wird zweisprachig sein und voraussichtlich im Herbst 2023 beim Limmatverlag erscheinen. Es ist eine Vertiefung zu unserem Fotobuch Grazie a voi, das 2018 erschienen ist. Auch beim aktuellen Projekt arbeiten wir wieder mit dem Centro Socio-Culturale San Gallo und der Società Dante Alighieri zusammen.
Ihr sucht Leute, die mitschreiben – ein Aufruf?
MW: Ja, durchaus. Es wird verschiedene Textsorten geben: Übersichtsgeschichten, Porträts, Interviews und Vertiefungen zu einzelnen Themen, etwa zu den italienischen Arbeiterinnenheimen, zu sportlichen und kulturellen Vereinigungen oder zu Menschen, die am Arbeitsplatz gestorben sind. Wer interessiert ist, kann sich bei uns melden.
Judith, woran arbeitest du?
Judith Grosse: Ich beschäftige mich momentan stark mit dem Neuaufbau der Archivdatenbank und mit der ganzen IT-Infrastruktur. Da haben wir Nachholbedarf. Ausserdem plane ich ein Oral History-Projekt mit Personen aus den sozialen Bewegungen in der Ostschweiz, nicht nur in St.Gallen, sondern auch den ländlichen Regionen. Viele dieser Projekte «in der Provinz» waren ja langlebiger als jene in den grossen Städten, da sie aufgrund ihrer Kleinheit weniger zerfleddert sind. Diesen Aspekt finde ich sehr interessant und es gibt auch wenig Quellen und Forschung dazu. Aufgleisen wollen wir das Projekt entlang der Archiv-Schwerpunkte, sprich Frauenbewegung, Migrationsgeschichte, Jugend-, Umwelt- und Friedensbewegung sowie auch Politikerinnen mit nationalem Einfluss. Für mich als quasi Auswärtige ist ein solcher Einstieg in die Ostschweizer Bewegungsgeschichte genau das Richtige.
Ganz so auswärtig bist du ja nicht mehr. Du lebst mittlerweile in St.Gallen und arbeitest schon fast ein Jahr beim Archiv, wenn auch mit kleinem Pensum. Welches ist deine liebste, interessanteste Trouvaille bisher?
JG: Den Bestand «Werkstatt Frauensprache» mag ich sehr. Ab Mitte der 1980er-Jahre hat sich eine Ostschweizer Arbeitsgruppe mit feministischer Linguistik auseinandergesetzt und auch direkte Interventionen etwa zu sexistischer Werbung gemacht. Oder sie haben Postkarten mit Forderungen verteilt, die man dann verschicken konnte, zum Beispiel dass man «Frau» und nicht «Fräulein» gebrauchen soll in der Anrede. Einige dieser Frauen sind später auch in die Frauenbibliothek Wyborada eingestiegen.
Du bist in Deutschland aufgewachsen und hast die letzten Jahre in Zürich gelebt und gearbeitet. Wie bist du zum hiesigen Frauenarchiv gekommen?
JG: Ich war ohnehin auf Stellensuche, aber darauf aufmerksam geworden bin ich dank einem Kollegen, der damals mit mir bei Radio LoRa gearbeitet hat – dort habe ich auch bei der Erschliessung des Audioarchivs mitgearbeitet. Er hat mir das Inserat geschickt. Als Historikerin habe ich mich schon immer fürs Archivwesen interessiert, aber weniger für die grossen Institutionen, sondern mehr für die kleinen Bewegungsarchive. Als ich die Ausschreibung fürs Ostschweizer Frauenarchiv gesehen habe, war klar: Das ist es, hier will ich hin.
Essen, München, Berlin, Zürich und jetzt St.Gallen: Wie erlebst du die Ostschweizer Frauenszene bisher?
JG: Es wäre vermessen, jetzt schon viel dazu zu sagen. Im vergangenen Jahr habe ich mich auf die Archivarbeit konzentriert, erst langsam komme ich unter die Leute. Interessant finde ich, dass es hier immer noch viele ältere Institutionen wie das Archiv oder die Wyborada gibt. In anderen Städten haben solche Initiativen nicht überlebt, dafür ist die Vielfalt an Gruppen und Organisationen andernorts tendenziell grösser. Ausserdem habe ich den Eindruck, dass die Zusammenarbeit zwischen Jung und Alt hier einfacher ist, vermutlich weil die Ostschweiz kleiner ist und man sich eher kennt. In Zürich sind die Dinge stärker ausdifferenziert.
Was hast du mitgenommen aus Deutschland?
JG: In Berlin habe ich total viel gelernt, während meiner Zeit an der Humboldt-Uni von 2005 bis 2009 war dort sozusagen die Hochzeit der Gender-Studies. Gleichzeitig war mir vieles zu verkopft und teilweise auch zu anstrengend. Um eine Bewegung am Laufen zu halten, muss man Verbindungen schaffen und nicht ständig um Abgrenzung bemüht sein, sonst kommt man ins Stocken, ebenso wenn es zu akademisch wird. Klar liebe ich es, Theorie zu lesen, aber am Ende geht es auch darum, was wir – du und ich – konkret damit anfangen.
MW: In den 90er-Jahren haben wir einmal die sozialen Bewegungen in München und in der Ostschweiz verglichen und festgestellt: Gemessen an der Grösse läuft hier ziemlich viel.
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Marina Widmer, 1956, hat bis Sommer 2022 das Archiv für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte der Ostschweiz in St.Gallen geleitet und ist hauptverantwortlich für die Jubiläumsausstellung «Klug und kühn – Frauen schreiben Geschichte». In diesem Jahr wird ihr der Grosse Kulturpreis der Stadt St.Gallen verliehen.
JG: Diesen Eindruck habe ich auch. In Leipzig gibt es übrigens ein ähnliches Projekt – allerdings ist es feministische Bibliothek und Archiv zusammen. Als ich kürzlich dort war, ist mir aufgefallen, wie aktiv dieses genutzt und wie kollektiv es geprägt wird, gerade auch von jüngeren und queeren Personen. Hier können wir uns für St.Gallen vielleicht noch etwas abschauen.
Zurück in die Ostschweiz der 80er-Jahre, als die Wyborada gegründet wurde. Marina, wie müssen wir uns diese Zeit vorstellen?
MW: Am besten kann ich das mit einer Anekdote erzählen: Wir haben die Frauenbibliothek Wyborada eröffnet und wollten damit natürlich auch in der Vadiana präsent sein, mit einem Zettelkasten. Also haben wir Kontakt zum damaligen Leiter Peter Wegelin aufgenommen, der gerne bereit war, das mit uns zu besprechen. Als er in unsere Bibliothek, damals noch an der Harfenbergstrasse, gekommen ist, hat er uns ganz verschwörerisch zugeraunt: «Also wenn meine Leute wüssten, wo ich jetzt gerade bin…»
Aber er ist immerhin gekommen.
MW: Ja, er war ein freier Geist und wir konnten schliesslich auch unseren Zettelkasten in der Vadiana platzieren. Die 1980er-Jahre waren bewegte, lustvolle Zeiten, der Schwung war gross, wir haben uns unseren Platz genommen – in die bürgerliche Presse zu kommen, war jedoch schwierig. Die Solidarität unter den Frauen war gross, so nahmen beispielsweise an der Pressekonferenz zugunsten der Wyborada wichtige Schriftstellerinnen der Ostschweiz teil: Erica Engeler, Eveline Hasler und Helen Meier.
Aus der Bibliothek ist dann auch die Idee zum Archiv entstanden. Gab es Vorbilder?
MW: Wenige. Das Archiv entstand mehr aus einem grundsätzlichen Bedürfnis nach Dokumentation und Aufarbeitung der Geschichte heraus. Die Politische Frauengruppe (PFG) beispielsweise hat schon früh einen internen historischen Bildungszyklus organisiert. Jede für sich hat ein Thema übernommen und aufgearbeitet.
Um das zu institutionalisieren, braucht es Geld…
MW: Für die Dokumentationsstelle haben wir erstmals 1990/91 Geld erhalten. Die ersten 50ʼ000 Franken bekamen wir von einer Liechtensteinischen Stiftung, der Kanton St.Gallen sprach dann nochmal denselben Betrag. Damit konnten wir zwei Jahre arbeiten. Wir stiegen also in die verschiedenen Archive und sammelten alles Frauenspezifische, was uns auffiel, aus den Kantonen St.Gallen, den beiden Appenzell und dem Fürstentum Liechtenstein. Das war der Grundstock fürs spätere Frauenarchiv und für die ersten Publikationen.
Wie läuft es aktuell mit der Geldbeschaffung?
MW: Ich bin stolz! Neu bekommen wir vom Kanton 80ʼ000 Franken pro Jahr, bisher waren es 40ʼ000. Die Nachricht kam gerade Mitte Juni. Über eine Erhöhung des jährlichen städtischen Beitrags wird voraussichtlich im Herbst abgestimmt.
JG: Das Geld kommt vom kantonalen Lotteriefonds – eine grosse Erleichterung für unsere Arbeit. Und auch eine gewisse Anerkennung für das Archiv als Institution und die geleistete Arbeit, denke ich.
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Judith Grosse, 1985, ist in Essen aufgewachsen und Historikerin mit Schwerpunkt Geschlechter-, Wissens- und transnationaler Geschichte. Nach ihrer akademischen Tätigkeit war sie bei Radio Lora in Zürich für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Im Juli 2022 übernimmt sie die Leitung des Archivs.
MW: Jedenfalls bin ich sehr froh, dass Judiths Lohn auf die nächsten Jahre finanziert ist. Ich weiss, was es heisst, wenn das nicht der Fall ist.
Nun ist der Betrieb gesichert. Jahrelang war es jedoch schwer, an Geld zu kommen. Wie hat sich das Archiv über Wasser gehalten?
MW: Um die Fixkosten für die Räume zu minimieren, haben wir regelmässig Arbeitsplätze untervermietet. Dazu kamen Spenden, zum Teil sehr namhafte, Mitgliederbeiträge, ein Legat und 2015 der Anerkennungspreis.
JG: Und natürlich jede Menge ehrenamtliche Arbeit…
MW: Genau. Da wir keine Regelfinanzierung hatten, mussten wir uns stets von Projekteingabe zu Projekteingabe hangeln. So kam wenigstens ein bisschen Geld rein. Der Grossteil der Arbeit an diesen Projekten war aber letztlich unbezahlt. Die Finanzierung war jahrelang ein Flickwerk.
Schläft man gut, wenn man nicht weiss, wieviel Geld man noch hat?
MW: Das muss Frau aushalten können, sonst ist das nicht machbar. Zeitweise habe ich noch die Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht aufgebaut und für die Gewerkschaft vpod gearbeitet, hin und wieder war ich auch arbeitslos. Dafür hat man eine maximale Freiheit, kann selber seine Schwerpunkte setzen und hat keine Vorgesetzten, die einem das Leben schwer machen können.
Wenn Geld keine Rolle spielen würde: Was wären eure Herzensprojekte?
JG: Erstmal würde ich mir ein grosses «Gesamtpaket Datenbanklösung» leisten, womit man sowohl die Papierbestände wie auch audiovisuelle Medien verwalten und online durchsuchbar machen kann. Und eine schicke neue Website, die zum Stöbern in den Beständen einlädt. Ausserdem würde ich die Ressourcen zur Erschliessung und Verzeichnung unserer Bestände aufstocken – das ist eigentlich die aufwändigste Arbeit in jedem Archiv. Schliesslich möchte ich uns an die nationalen und internationalen Archivportale anbinden und sicherlich auch einen Grossteil der technischen Infrastruktur erneuern, also in leistungsstärkere Geräte und eine gute Server-Lösung investieren.
Das tönt nach viel Infrastruktur und wenig Inhalt…
JG: Ja, wir machen im Moment vieles gleichzeitig. Teilweise hält uns das auf bei der eigentlichen Archivarbeit. Ich würde mir darum eine fixe IT-Fachperson im Haus wünschen, die die Geräte und die Infrastruktur fit hält und pflegt. Das wäre eine grosse Entlastung. So hätte ich den Rücken frei für die Öffentlichkeits- und Projektarbeit.
Wo würdest du dich denn thematisch noch gerne vertiefen?
JG: Ich würde das Archiv gerne migrationsgeschichtlich weiter ausbauen. Dazu braucht es allerdings auch wieder Kontakte und für die Erschliessung Leute, die die jeweiligen Sprachen sprechen. Auch bei den aktuellen queeren Projekten und jüngeren feministischen Gruppen würde ich gern weitersammeln und natürlich auch bei der Sozial- und Alltagsgeschichte der Region. Vieles hängt ja zusammen. Personen, die in Frauenbewegungen aktiv waren, sind auch sonst politisch aktiv gewesen, da gibt es etliche Querbezüge, was auch in der Geschichte des Archivs abzulesen ist: Ausgehend von der Frauen- und Geschlechtergeschichte kamen schnell die Sozialen Bewegungen und das Thema Migration hinzu.
Nicht zu vergessen: dein Oral History-Projekt.
JG: Ja, Oral History und audiovisuelle Medien waren immer auch ein Schwerpunkt des Archivs, den ich weiter pflegen und ausbauen möchte – gerade auch in Hinblick auf die Geschichtsvermittlung. Die Arbeit daran ist aufwändig, aber eben auch sehr aufschlussreich: Etwa bei sozialen Bewegungen ist auch immer die Frage, was dokumentiert wird und was nicht. Manches wird etwa aus Angst vor Repression vernichtet. Und wenn man mit den Leuten spricht, kommen nochmal ganz andere Geschichten hervor. Oft bekommt man erst im Gespräch einen Eindruck, wie das Flair einer Bewegung ist oder war. Wo haben die sich getroffen? Was gabs da für Kneipen? Wer hat sich mit wem unterhalten? Wie ist eine Person politisiert worden? Oral History ist ein tolles Medium, um solche Eindrücke abzuholen und fassbar zu machen.
Die Frauen und bewegten Menschen heutzutage archivieren nicht mehr gleich wie jene früher. Und vieles ist bereits öffentlich durch die Sozialen Medien. Wie geht man damit um?
JG: Ein schwieriges Thema, da alles öffentlich, aber nichts langfristig gespeichert ist. Es gibt bereits erste Ansätze zu Social Media-Archivprojekten, aber das ist unglaublich aufwändig. Wir haben zwar das Gefühl, dass unser ganzes Leben durcharchiviert ist, weil unzählige Fotos und Nachrichten auf unseren Handys gespeichert sind, aber letztlich finden wir vieles irgendwann nicht mehr in den Untiefen der Clouds. Wir sind in einer Übergangszeit, wo vieles hybrid abgeliefert wird, teils auf Papier, teils digital – dafür braucht es Knowhow und eine taugliche Archiv-IT-Infrastruktur.
MW: Ich gebe zu, ich bin froh, muss ich mich jetzt nicht mehr um diese Probleme kümmern. Die ganze Frage der Digitalisierung ist eine grosse Herausforderung.
Abschied und Willkommen: Übergabe der Archivleitung:
30. Juni, 18 Uhr, Raum für Literatur, Hauptpost St.Gallen.
Mit Maria Pappa, Sandra Meier und einem künstlerischen Beitrag von Lisa Lisi.
Blicken wir zurück: Auf welche Meilensteine bist du stolz, Marina, was habt ihr erreicht?
MW: Ich bin auf jedes einzelne Projekt und auf jede einzelne Ausstellung stolz. Und dass wir alles stets im Kollektiv gemacht haben. Das Archiv hat immer davon gelebt, dass sich viele Leute engagiert und an der Arbeit beteiligt haben. Besonders hervorheben möchte ich das vielfältige Projekt rund um die Schriftstellerin Elisabeth Gerter: Wir bemühten uns um eine Neuauflage ihres Romans Die Sticker, organisierten eine Lesekampagne «diestickerlesen», liessen Die Sticker in einen Comic übersetzen, stellten Gerter in einer Ausstellung in St.Gallen und Basel vor und schrieben mit dem Literaturhaus Basel und dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund einen Schreibwettbewerb aus. Am meisten freut mich aber, dass wir dank Stadt und Kanton jetzt endlich auf sicheren finanziellen Füssen stehen. So kann ich das Archiv beruhigt an Judith übergeben und muss mir keine Sorgen machen, dass sie sich die nächsten Jahre mit Fundraising abstrampeln muss.
Gibt es einen Archivschatz, den du noch gern gehoben hättest, aber nicht mehr dazu gekommen bist?
MW: Ja! Olga Lee-Rüesch. Aufgewachsen ist sie im Rheintal, später zog sie nach New York, wo sie Psychologie studierte und ihren chinesischen Ehemann kennengelernt hat. In den 1920er-Jahren ist sie mit ihm nach China ausgewandert und hat dort die ganze Revolution miterlebt. Später hat sie am Goethe-Institut in Peking gearbeitet. Und sie wurde von der Schweiz ausgebürgert und als eine der ersten Ausländerinnen in China eingebürgert. Nach der Scheidung von ihrem Mann ist sie bis zu ihrem Tod in China geblieben. Diese Geschichte hätte ich sehr gerne einmal aufgearbeitet und niedergeschrieben. Ein bisschen was über sie haben wir im Archiv, aber leider hat mir immer die Zeit gefehlt.
Du bist bekannt dafür, deinem Ärger gern Luft zu machen. Worüber willst du nochmal richtig sackern?
MW: Ich finde es peinlich, dass wir bei all unseren vielen Projekten immer wieder von den Ausserrhoder Kulturstiftungen unterstützt wurden, aber praktisch nie von den St.Galler Kulturstiftungen. Und wenn, dann nur mit sehr wenig Geld. Geschlechter- und Sozialgeschichte ist bei den Stiftungsrät:innen wohl noch nicht angekommen und nicht ihre Priorität.
Fällt es dir leicht, die Leitung abzugeben?
MW: Ja, absolut.
Judith, wo legst du als neue Chefin die Schwerpunkte?
JG: Mir ist es wichtig, die Institution lebendig zu halten und weiter zu professionalisieren. Das zusätzliche Geld will ich investieren in Dinge, die liegengeblieben sind, sprich in die Datenbank- und IT-Struktur. Ausserdem will ich mich weiter vernetzen mit anderen Projekten und Frauenarchiven, ich will Bildungsprojekte vorantreiben, Querbezügen unter den einzelnen Bewegungen nachgehen und natürlich weitere Bestände heben und sie nach aussen tragen. Denn auch wenn unser Bestand mittlerweile recht ansehnlich ist, gibt es noch viele Lücken. Zumal wir Frauen der heutigen Generation ja einen anderen Blick auf frühere Bewegungen haben. Marina war in der 80er-Bewegung noch dabei, wir heute stellen nochmal ganz andere Fragen an diese Zeit – da gibt es auch spannende Forschungen von jüngeren Historikerinnen. Für mich ist das ungemein interessant, da ich zuvor vor allem zur alten Frauenbewegung im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert geforscht habe.
Wo steht das Frauenarchiv in zehn Jahren?
MW: Es hat drei bis vier 80-Prozent-Stellen für die verschiedenen Arbeitsbereiche. Aus dem «Ein-Frau-Orchester», das alles gleichzeitig machen muss, ist ein eingespieltes Profiensemble geworden.
JG: Genau, die Arbeitsbereiche wären dann ausdifferenziert. Jemand ist für die IT zuständig, jemand für die Erschliessung, jemand für Administration und Fundraising und jemand für die Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit. Das Archiv ist eine angesehene, gut finanzierte Institution, die rege genutzt wird und ein florierendes Netzwerk pflegt. Es bleibt ein offener, zugänglicher Ort für alle, die sich für Geschichte interessieren. Das wäre unsere Vision.