Typisch helvetisch

Schon wieder eine Komödie: «Moskau einfach» von Micha Lewinsky feierte in Solothurn Premiere. Keine politische Abrechnung, aber auch nicht ganz harmlos.
Von  Andreas Kneubühler
Spion mit oder ohne Schnauz: Philippe Graber. (Bild: pd)

Mit Schweizer Spielfilmen ist das so eine Sache. Bloss zwei feierten dieses Jahr in Solothurn Premiere. Und nur einer ist gelungen. Es ist ausgerechnet eine Komödie. Dabei wäre das Thema so ernst: Der Überwachungsstaat und die Fichenaffäre. Es funktioniert trotzdem, muss aber nicht der einzige Film über das Thema bleiben.

Die eine Solothurner Spielfilmpremiere fand am prestigeträchtigen Freitagabend statt. Jagdzeit zeigt die Welt der Abzocker-Manager, wie sie spätestens seit den 80er-Jahren (Wall Street) immer wieder filmisch verarbeitet wurde. Von allen möglichen Tätern und Opfern, die sich bei der Zerschlagung einer Firma zugunsten des schnellen Profits finden liessen, entschied sich Regisseurin Sabine Boss (Der Goalie bin ig) ausgerechnet für einen Vertreter des oberen Kaders, den Finanzchef. Es ist ein gut bezahlter Workaholic, der sich am besten erholt, wenn er im Keller mit dem Hochleistungsgewehr auf virtuelle Wildsauen ballern kann.

Die Handlung, die sich an tatsächliche Begebenheiten anlehnen soll, suggeriert, dass dieser Zahlenmensch mit dem Druck durch das neue Management nicht zurechtkommt. Damit die verhängnisvolle Entwicklung glaubhaft wirkt, wechselt der Film auf die subjektive Ebene: Ein schriller Ton lässt das Publikum in der ausverkauften Reithalle zusammenzucken. Es ist der Tinnitus des armen Buchhalters. Danach folgen auch noch andere elektronische Störgeräusche und plötzlich treibt der Finanzchef seine Untergebenen nur noch schreiend an. Dabei droht ihnen die Entlassung – und nicht ihm. Das geht so weiter bis zum Suizid. Weil es sich nur um eine Filmfigur und nicht um eine reale Person handelt, kann man getrost die Schultern zucken: «So what».

Brisantes Thema, als Komödie erzählt

Die andere Spielfilmpremiere war der Eröffnungsfilm, Micha Lewinskys Moskau einfach. Es setzt sich damit eine kleine Tradition im Schweizer Unterhaltungskino fort: Brisante Themen werden als Komödien erzählt. Ein Beispiel dafür ist natürlich Die Schweizermacher. Ein anderes war zuletzt Die göttliche Ordnung, der Film, der den Kampf um das Frauenstimmrecht im Stil eines Schwanks auf die Leinwand brachte – und Erfolg hatte.

Nun also «Moskau einfach, der Fichenskandal 1989», wie es etwas verhängnisvoll in der Unterzeile auf der Werbung heisst. Der Film ist allerdings keine politische Abrechnung, auch keine psychologische Studie wie Das Leben der Anderen über die Arbeit der Stasi in der DDR, sondern eine typisch helvetische Filmkomödie, mit Mike Müller in einer der tragenden Rollen.

«Moskau einfach!» von Micha Lewinsky: ab 13. Februar in den Kinos

moskaueinfach.ch

Die Handlung spielt in den letzten Tagen des bieder-bösen Überwachungsstaates, kurz bevor alles aufflog und Moritz Leuenberger seine grossen Momente als Präsident der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) bekam. – Und auch bevor sich eine neue Version des Nachrichtendienstes konstituierte, die um einiges umfassender Daten sammelt, als in den alten Archivschränken voller Karteikärtchen je zu finden waren.

Der Rahmen der Geschichte ist eine anspielungsreiche Liebesgeschichte zwischen dem Schnüffler (Philippe Graber) und der Ausspionierten (Miriam Stein). Ausgeteilt wird gegen alle. Der linke Theaterintendant lässt sich bar bezahlen und liefert das Geld im Plastiksack in der Bar beim Privatbankier ab. Und fast noch schlimmer, er inszeniert den Unterhaltungsabend einer Zürcher Zunft, damals der Hort des Bösen, vor allem aber das Machtzentrum der Schweiz im Kalten Krieg.

Gefühlt überall dabei: Mike Müller.

Vieles ist sehr gelungen. Beispielsweise diese Volte: Um die linke Theatertruppe des Zürcher Schauspielhauses zu infiltrieren, wird dem Polizisten Viktor der Schnauz abrasiert und der Seitenscheitel verstrubbelt. Dazu bekommt er Jeans, die richtigen Bücher ins Gestell und ein Poster von Che an die Wand. Was passiert? Im Stück muss er nach einigen Irrungen und Wirrungen die Rolle des Spions übernehmen. Und bekommt den Schnauz wieder angeklebt. Und sieht fast wieder so aus wie vorher.

Auf jede Bewerbung eine Absage

Manchmal scheint es, als wolle Lewinsky einfach alles in seinen Film packen. Er bringt den berühmtesten Ficheneintrag – «Trinkt abends gerne ein Bier» ­– unter, karikiert das links-alternative Lokalradio «Lora» und illustriert mit dem tapsigen Moderator auch gleich noch die fatale Wirkung der Schnüffeleien: Ein Ficheneintrag verhindert, dass er eine Stelle als Lehrer erhält. Auf jede Bewerbung eine Absage, der Grund wird nie genannt.

(Vor-)Premieren in Anwesenheit von Regisseur Micha Lewinsky: 7.2. 20.15 Uhr Kiwi Loge Winterthur, 16.2.17.30 Uhr Cinema Luna Frauenfeld, 16.2. 19 Uhr Liberty Cinema Weinfelden, 6.3. 19.30 Uhr Roxy Romanshorn, 21.3. 10.30 Uhr Kinobar Leuzinger Rapperswil

Nicht einmal den Vorwurf der Harmlosigkeit kann man machen. Den einzigen beklemmenden Moment des Films hat der Regisseur für eine wirklich grosse Szene reserviert. Es ist, als Miriam Stein als Odile am Zunftabend zuerst die Vertreter von Armee und Wirtschaftsfreisinn fast zu Tränen rührt, weil sie so nett und adrett die Hymne der Aktivdienstgeneration, Gilberte de Courgenay, singt. Nur, um dann zu einer immer furioseren Tirade darüber anzusetzen, wie mit der linken Brut eigentlich umgegangen werden sollte, sodass es selbst den kältesten Krieger im Saal zu viel wird. Das Schweigen nach ihrem Auftritt ist eisig.