, 4. September 2019
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«Trump und Brexit» kann man überall lesen

Lokaljournalismus gestern, heute und – vor allem – morgen: Darüber wurde am Dienstag in der St.Galler Smarthalle diskutiert, auf Einladung des «St.Galler Tagblatts». Es besteht Grund zur Hoffnung.

Wie es so ist: Alle am Handy. (Bilder: co)

Pünktlich zum dritten Schweizer Digitaltag wurde gestern Dienstag an der St.Galler Neugasse 30 die Smarthalle eröffnet. Mit viel Klimbim, VR-Brillen und farbigen Screens. Zehn Wochen lang will die Stadt dort der Bevölkerung die Themen Digitalisierung und Smart City näherbringen, in Zusammenarbeit mit verschiedenen Unternehmen und Institutionen, darunter auch die FHS, die im Obergeschoss einen Co-Working-Space betreibt. Google beteiligt sich natürlich auch an diesem munteren Multiplayer-Game.

Es braucht diese Charme-Offensive. Weil manche, gerade die etwas älteren Semester, nicht sehr viel wissen über dieses Internet und seine Möglichkeiten. Weil wir Menschen und die Gesellschaft als Ganzes regelmässig überfordert sind vom technologischen Wandel. Aber auch, weil gewisse Ängste sehr berechtigt sind, weil die schöne neue Smartwelt auch ihre Schattenseiten hat, etwa in Sachen Datenschutz oder Mündigkeit.

Aber bis die algorithmen-basierte Polizeiarbeit, die Gesichtserkennung in den Innenstädten und die selbstfahrenden Autos kommen, werden noch einige Terrabytes den Datenstrom hinabfliessen. Trotzdem stellt uns die Digitalisierung schon heute vor einige handfeste Probleme.

Zum Beispiel Journalismus: Im Print sind die Inserateeinnahmen eingebrochen, die Unternehmen informieren via Social Media an der Presse vorbei, die Leserinnen, wenn man überhaupt noch welche hat, haben sich das Bezahlen vor lauter Gratiszeitungen abgewöhnt und Fake News machen schneller die Runde als die geklauten Pornoheftli früher in der Primarschule.

Lokaljournalismus: der wichtigste Erfolgsfaktor

Es ist nicht überall gleich schlimm, aber überall wird nach freshen publizistischen Rezepten im Umgang mit der Digitalisierung gesucht. So auch beim «St.Galler Tagblatt», das gestern Abend zum Gespräch in die Smarthalle lud. Dabei ging es nicht um den ersten Bund, sondern um den zweiten, den Lokal- und Regionalbund. Oder wie «Tagblatt»-Online-Chef Martin Oswald treffend bemerkte: «Das Lokale ist für uns der wichtigste Erfolgsfaktor, denn ‹Trump und Brexit› kann man überall ein bisschen lesen.»

Martin Oswald erklärt den Newsroom.

Zuvor berichtete Christine Bolt, Leiterin Lesermarkt beim «Tagblatt», von den grössten Herausforderungen für die NZZ-Tochter: 80 Prozent der Leserschaft ist über 50, die Jungen kommen nicht nach, die Werbung stockt – oder zusammengefasst: «Unser grosses Problem ist eigentlich das Geld.» Es gebe verschiedene Lösungsansätze, erklärte sie, und einer davon sei es, «gemeinsam mit der Leserschaft Produkte zu entwickeln».

Smarthalle St.Gallen: bis 23. November.

Infos und Programm: stadt.sg.ch

Gesagt, getan. Oder zumindest versucht, denn nach einer kurzen Einführung von Online-Chef Martin Oswald waren die rund 25 Anwesenden an der Reihe. Die übergeordnete Frage: Wie informieren wir uns in Zukunft? Dazu wurden an vier Tischen drei Unterfragen diskutiert, jeweils eine Viertelstunde lang, danach wurden die wichtigsten Antworten gesammelt. Diese Fragen sind wohl nicht ganz uneigennützig, aber vor allem sind sie Teil eines nationalen Forschungsprojekts, dessen Resultate im Dezember vorgestellt werden sollen.

Frage 1: Wie verändert sich für Sie persönlich das Leben durch den digitalen Wandel in den Medien? Die Antworten waren weniger schwarzmalerisch als erwartet. Sicher, es wurden einige bekannte Probleme formuliert, etwa Schnelligkeit vor Qualität, Medienkonzentration, das dauernde Hängen am Handy oder eben die berüchtigten Fake News, aber es gab auch Positives. Online-Journalismus sei auch eine Bereicherung, war zu hören, oder dass man sich dank Twitter & Co. auch direkt an der Quelle informieren bzw. die News selbständig verifizieren könne.

Ähnlich bei Frage 2 – Digitaler Wandel in der Medienwelt: Was befürchten Sie, was erhoffen sie sich? Zwar befürchten viele, dass die Konzentration weiter zunimmt, dass die Digitalisierung zu schnell voranschreitet und dass die sogenannten Filterbubbles uns den Blick aufs grosse Ganze verstellen können, aber eine Hoffnung ist auch, dass «das Internet» die Welt demokratischer macht. Gut, diese These ist eigentlich widerlegt, zumindest im Moment, aber im Kleinen hat es nach wie vor basisdemokratisches Potenzial.

Internet für alle

Das meiste politische Potenzial hatte schliesslich Frage 3: Was kann die Schweiz und was können Sie konkret tun, damit wir alle von der Digitalisierung profitieren? Der am einfachsten zu realisierende Ansatz kam von zwei nicht mehr ganz jungen Frauen. Man müsse die Älteren einfach «zwingen», sich ordentlich mit dem Internet und der Digitalisierung auseinanderzusetzen, sprich mehr Kurse anbieten, den Leuten einen Schupf geben. Ein weiterer Ansatz war die Einführung einer Klarnamenpflicht auf Onlineportalen. «Damit sich die Leute nicht mehr so unflätig äussern.»

Die Schweiz sei keine Insel, gab einer der Tische zu bedenken, darum brauche es übergreifende, gemeinsame Rezepte. Und die eigentlich selbstverständlichste Forderung kam gleich von zwei Tischen: Wenn alle profitieren sollen, muss man auch den Zugang zum Internet und entsprechenden Geräten für alle gewährleisten.

Ein Thema stand dabei wie der unsichtbare Elefant im Raum: die staatliche Medienförderung. Gross darüber diskutiert wurde am Dienstagabend leider nicht. Christine Bolt liess sich lediglich zu einem «Das wird auch bei uns sehr kontrovers diskutiert» hinreissen. Immerhin.

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