«Trance Art» aus dem Alchimistenstübchen

Den Ausserrhoder Peter Morger kennt man vor allem als Prosa-Schriftsteller und Mundart-«Lüüriker». Mit «Rond om Troge» ist jetzt eine kommentierte Sichtung seines umfangreichen fotografischen Nachlasses erschienen. Am 8. und 9. Juni wird sie in Herisau und Teufen präsentiert.
Von  Roman Hertler
Trogen im Winter, Fotografie von Peter Morger (Bilder: Kantonsbibliothek Trogen AR)

Es ist kaum bekannt, dass der Schriftsteller und Journalist Peter Morger auch ein ambitionierter Fotograf mit beachtlichem Œuvre war. Er selber schrieb dazu 1979: «Meine Fotografie ist ein Plädoyer für das Abseitige, das Aussenseiterische. (…) Meine Bilder sollen sowohl äusserlich wie innerlich voller Dichte und Spannung sein, sollen die Melancholie und Verlorenheit der gezeigten Dinge offenbaren – und damit meine eigene.»

Morger hatte offensichtlich ein Auge dafür, selbst in seinen Landschaftsfotografien schwingen diese Verlorenheit und diese Melancholie mit. Licht-und-Schatten-Spiele, konventionelle Szenen des Dorflebens, aber auch Abstrakteres, von hier und aus aller Welt: Morgers Bilder sind nie nur traditionalistisch und schon gar nicht verkitscht, wie das sonst in den appenzellischen Hogern gerne passiert. Zeitlebens hat er versucht, in seiner Fotografie das abzubilden, was er nicht in Worte fassen konnte.

«Wir erfahren aus Bildern nur das, was wir ‹bereits kennen›», schreibt Buchgestalter Gaston Isoz über die Gefühle, die Peter Morgers Bilder in ihm auslösen. Isoz ist ebenfalls im Appenzellerland aufgewachsen, bevor er sich nach Berlin davonmachte. Er kennt viele der Orte und Perspektiven, die Morger abgelichtet hat und auf denen man auch immer wieder erkennt, wie wenig sich das Gesamtbild Trogens und der Landschaft «rondomm» in den vergangenen Jahrzehnten letztlich verändert hat.

Fotografischen Schatz gehoben

Und doch scheint in Morgers Fotografien immer wieder diese Weltoffenheit durch, die eben auch Trogen und einer Handvoll anderer «gallischer Dörfer» der Schweiz eigen ist und diese jeweils gleich abstimmen lässt wie die links-progressiven Städte. Zumindest weisen Morgers Bilder und fototechnischen Montagen weit über eine romantisch verklärte Appenzellerland-Fotografie hinaus.

Dennoch denkt man beim Thema jüngere Landschafts- und dokumentarische Fotografie im Appenzellerland nicht zuerst an Peter Morger; es sind eher Namen wie Hans Peter Klauser, Herbert Maeder, Mäddel Fuchs oder Amelia Magro. Und im zeitgenössisch-künstlerischen Bereich wären es vielleicht Ueli Alder, Martin Benz, Luzia Broger, Georg Gatsas, Stefan Rohner und andere.

Man kennt Peter Morger vor allem als Schriftsteller, Verfasser von Prosa und Lyrik, oft in Mundart – und allenfalls als knipsenden Reporter bei der «Appenzeller Zeitung», einem «Brotjob», dem er stets ambivalent gegenüberstand. Doch der Nachlass, den Morger nach seinem Freitod 2002 der Ausserrhoder Kantonsbibliothek in Trogen vermacht hat, belegt auch den Reichtum seines fotografischen Schaffens.

Gaston Isoz, Rainer Stöckli, Peter Surber: Rond om Troge – Peter Morger als Fotograf, VGS Verlagsgenossenschaft St.Gallen, 2022. Zwei Broschuren im Schuber, Fr. 24.-.

Buchvorstellungen:
8. Juni, 18 Uhr, Bistro Steig, Industriestrasse 28, Herisau,
9. Juni, 19.30 Uhr, Bibliothek Teufen

vgs-sg.ch

Gaston Isoz hat diesen Schatz 2020 gehoben, hat in der Kantonsbibliothek tausende Fotos – Dias und Schwarz-Weiss-Negative – gesichtet, digitalisiert und katalogisiert. Isoz’ Arbeit lieferte die Grundlage für die Publikation Rond om Troge, die jetzt bei der Verlagsgenossenschaft St.Gallen erschienen ist. «Peter Morger als Fotograf», heisst der Untertitel.

Versammelt sind darin nebst Kommentaren im separaten Bändchen von Buchgestalter Gaston Isoz, Literaturkenner Rainer Stöckli und Saiten-Kollege Peter Surber knapp 50 klassische Fotografien und Reproduktionen von mechanisch oder chemisch bearbeiteten Dias, die eher psychedelisch wirken. Morger nennt es «Trance Art». Ein Grossteil seines fotografischen Nachlasses ist abstrakter, grafischer Natur. Das Schreiben und das Fotografieren seien für Morger gleichbedeutend und das Arbeiten am Material Teil seines bildnerischen Erzählens gewesen, schreibt Isoz in seinem Kommentar zum fotografischen Nachlass.

Den Kampf gegen die Abgründe verloren

Morger selber schreibt: «Ich bin kein Perfektionist. Technik ist für mich nicht Selbstzweck, sondern ein untergeordnetes Vehikel für die eigentliche Arbeit. Ich will technisch nicht mehr können, als ich unbedingt können muss. Meine Dunkelkammer würde manchen Braven das Schaudern lehren; sie gleicht als ehemalige Waschküche und Räucherkammer eher einem mittelalterlichen Alchimistenstübchen.»

So wenig die Alchimisten je im Stande waren, Gold herzustellen, so wenig gelang es Morger, sich durch sein eigenes Schaffen, das immer auch Reflexion seines Innenlebens war, aus der seelischen Dunkelheit und auch aus seiner Drogensucht, die er etwa in Rauschkarriere (1997) dokumentarisch-literarisch verarbeitet hat, zu befreien.

So ist seine psycho-topographische Skizzierung Trogens, das in Morgers Kurzgeschichte Trüen heisst, vielleicht auch als Blick in seine eigenen Abgründe zu lesen: «Nach dem nordig, stotzig, ganz am Rand von Högersland gelegenen Trüen kommt nichts mehr; das Ende der Welt klafft auf. Nur von tiefen, undurchdringlichen Tobeln wird gemunkelt; ein grässliches Schluchten-Ungeheuer soll sich im Loch Nass häuslich eingerichtet haben.»

Nebst den Kommentaren von Isoz, Stöckli und Surber versammelt das kleinere der beiden Bändchen, das im schmucken Schuber daherkommt, auch einige bisher unveröffentlichte Gedichte Morgers. Mit Rond om Troge wird nun aber – 20 Jahre nach seinem Tod – vor allem das fotografische Schaffen Peter Morgers endlich einem breiteren Publikum zugänglich.

Peter Morger, 1955-2002.

Dieser Beitrag erschien im Juniheft von Saiten.