The Making of KKS
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Die grösste Fan-Gemeinde hat die FDP-Bundesratskandidatin bei der Basis ihrer eigenen Partei. Aber das Volk kann am 5. Dezember unter der Bundeskuppel bekanntlich nicht wählen. Stattdessen werden das die Volksvertreterinnen und -vertreter tun. «Die werden es schon richtig machen», meint ein behäbiger FDP-Mann am 20. Oktober im Stadtsaal Wil an der Nominationsveranstaltung der Kantonalpartei.
Grosse Freude herrscht an diesem Samstagvormittag bei den FDP-Delegierten. Selbstverständlich ist es nicht, dass sich die 54-jährige Ständeratspräsidentin und St.Galler Alt-Regierungsrätin nach einem ersten gescheiterten Versuch vor acht Jahren jetzt ein zweites Mal um einen Sitz in der Landesregierung bewirbt. Die enthusiastische Zustimmung der Partei gibt ihr aber den nötigen Schub. Ein bisschen Personenkult kommt auch schon auf. «Unsere Karin kann nicht ahnen, bei wem überall sie unsere Karin ist», sagt Ortsparteipräsident Claudio Altwegg.
Volk sei Dank
Nach flotten musikalischen Intermezzi und Begrüssungsreferaten wird KKS von den über 300 Parteidelegierten mit einer Standing Ovation ins Rennen geschickt. Zuvor hat sie in ihrer Rede dem Volk gedankt, das sie dreimal in die St.Galler Regierung und zweimal als Standesvertreterin nach Bern gewählt hat. Ein spezieller Dank galt dem Parteivolk, das ihr als Landesmutter in spe bereits das Vertrauen zujubelt.
Es sei nicht verborgen geblieben, dass sie sich bis vor kurzem eine nochmalige Kandidatur nicht habe vorstellen können, sagt Keller-Sutter. «Letztlich waren aber zwei Aspekte für mich ausschlaggebend: Es war mir in den vergangenen sieben Jahren, in denen ich den Kanton St.Gallen im Ständerat vertreten durfte, möglich, sehr viel zu lernen und meine politischen Erfahrungen zu erweitern. Ich habe das Privileg, in den Kommissionen WAK, SGK und APK mitwirken zu dürfen. In diesen Kommissionen konnte ich bei diversen Geschäften einen Beitrag zur Lösungsfindung leisten. Ich konnte helfen, Brücken zu bauen und Kompromisse zu finden.»
In ihrer bald zu Ende gehenden Funktion als Ständeratspräsidentin habe sie zudem den Parlamentsbetrieb gründlich kennen gelernt und den Rat auch nach aussen vertreten. «Diese Kenntnisse der parlamentarischen Arbeit paaren sich mit weiteren wichtigen Erfahrungen, die ich für die Aufgaben einer Bundesrätin unabdingbar finde.»
Lob der «inneren Mitte»
Das politische Credo von KKS bedeutet Freisinn in katechetischer Auslegung: Föderalismus, direkte Demokratie, wettbewerbsfähige Wirtschaft und freiheitliche Gesellschaft. Als Leitschnur bei der Beurteilung politischer Fragen dienen ihr Losungen wie «Privat vor Staat», «Erwirtschaften vor dem Verteilen» oder «Freiheit vor Gleichheit». Das ist ihr innerer Kompass.
Er sei ihr wichtig, doch er hindere sie nicht daran, gemeinsam mit Andersdenkenden nach Lösungen im Sinne der Sache zu suchen, sagt Karin Keller-Sutter. «Wer keine eigenen Überzeugungen, wer keine innere Mitte hat, kann auch keine Kompromisse eingehen. Ich habe keine Berührungsängste und kann zuhören.»
Bei ihren Gegnern hingegen ist das Bild der «Eisernen Lady» oder dem «Blocher im Jupe» hängen geblieben: Anspielungen, die auf ihre harte Linie gegenüber Fussball-Ultras und Asylbewerbern abzielen, als sie noch Regierungsrätin war. Welche Attribute ihr als Bundesrätin zugedacht werden, ist noch völlig offen. Erst muss sie es ja auch noch werden.
Neben einer ausgeprägten neoliberalen Gesinnung hat die Wilerin auch einen starken Sinn fürs Empathische. Der soziale Aufstieg ihrer Eltern zu einem angesehenen Gastwirte-Ehepaar in der Äbtestadt Wil und die im Geschäft haushälterischen und im Leben freiheitlichen Werte des Vaters hätten sie beeindruckt und geprägt, sagt sie.
In Frauenangelegenheiten markiert KKS gerne die Stauffacherin. Bei aufgeschlossenen FDP-Damen kommt sie damit gut an. An einem Apero-Tischchen im Stadtsaal Wil antworten uns nach der Nomination einige Frauen auf die Frage, warum gerade sie in den Bundesrat gehört: «Weil sie die Beste, die Fähigste und die Kompetenteste unter allen Kandidierenden ist und die Frauen wirklich ernst nimmt!» Die Sätze klingen nicht abgesprochen, sie kommen offenbar aus Überzeugung.
Wie wird man Bundesrätin? Wie funktioniert «the Making of KKS» – reicht es, sich selbst zu erfinden und zu präsentieren? Oder hat sie insgeheim einen Spin-Doctor, der sie diskret und möglichst wirksam ins öffentliche Rampenlicht zu schieben versucht?
«Es gibt keine Kampagne»
Nachfrage bei Christoph Graf, Geschäftsführer der kantonalen FDP. Über ihn laufen alle Medienkontakte, was die Bundesratskandidatur angeht. Ein gewiefter Kommunikationsfachmann. «Nein, der Spin-Doctor von KKS bin ich nicht», sagt er. Karin Keller-Sutter sei im politischen Geschäft und im Umgang mit den Medien erfahren genug, um sich selber zu managen. Da brauche es keine speziellen Ratschläge. Natürlich tausche man sich aus über die Medienarbeit, die Kontakte mit Personen und Interessengruppen, die für eine Bundesratskandidatur wichtig seien. «Wir sprechen fast täglich einmal oder mehrere Male miteinander», sagt Graf.
Die Geschäftsstelle der FDP hält ihr den Rücken frei. Sie organisiert und koordiniert Termine. Aber eine Kampagne werde für die Wahl in die Landesregierung keine gefahren, heisst es, auch liege kein Konzept für das Vorgehen bei der Öffentlichkeitsarbeit vor. «Wir arbeiten auf niederschwelligem Niveau und sagen viele Interview-Anfragen ab», sagt Graf.
Das sei am Anfang nicht von allen Kommunikationsunternehmen goutiert worden. Beispielsweise habe die SRG für jede Redaktion ein eigenes Interview gefordert. Jetzt aber sei die Koordination besser geworden. Die Medienarbeit sei vor allem auf die Sprachregionen und die ausgewogene Bedienung der Verlagshäuser ausgerichtet. Daneben seien auch die Vorbereitung des FDP-Fraktionsentscheids im Bundeshaus respektive das Kandidaten-Ticket und die Hearings bei den anderen Bundeshaus-Fraktionen ein wichtiger Teil der Öffentlichkeitsarbeit.
Die Lady und die Lady-Killer
Ohne Volksnähe geht es aber auch nicht. Die Präsentation ihrer drei Kandidaten, Regierungsrat Christian Amsler (SH), Ständeratspräsidentin Karin Keller-Sutter (SG) und Ständerat Hans Wicki (NW), scheint die FDP dem Fussball und dessen Public Viewings abgeguckt zu haben: Die Freisinnigen veranstalteten an drei Orten in der Schweiz (Muttenz, Winterthur und Yverdon-les-Bains) sogenannte Roadshows.
Winterthur, Festsaal des Kongress- und Kirchgemeindehauses an der Liebestrasse, 12. November: Anwesend ist fast ausschliesslich die eigene Parteigefolgschaft, etwas mehr als hundert Leuten. In homogen designtem und brav moderiertem Look können die Kandidatin und die Kandidaten auf dem Podium ihre politischen Ambitionen ausleben, aber bitte ohne der Konkurrentin oder dem Konkurrenten weh zu tun. Danach werden Fragen aus dem Publikum beantwortet. Die einzige Provokation, wenn man das so nennen kann, kommt vom Moderator selbst, der von der «Kronfavoritin» und den «zwei Statisten» neben ihr spricht. Das Publikum quittiert die spitze Bemerkung mit wohlwollendem Lachen.
KKS wird gefragt, wie sie mit ihrer Favoritenrolle umgehe. «Ich habe die Favoritenrolle nicht ausgesucht. Ich bin, wie ich bin und mache, was ich kann», sagt sie. Angesprochen auf die Apostrophierung «Eiserne Lady» während ihrer Zeit als St.Galler Regierungsrätin meint die Ständeratspräsidentin: «Das passt nicht schlecht zu einer Justizdirektorin. Schliesslich ist dieser Job ja keine Freizeitbeschäftigung.»
Die beiden «Statisten» werden gefragt, ob sie sich mit ihren Kandidaturen nicht als «Lady-Killer» vorkämen. Beide verneinen. Wicki sagt: «Als Ständerat bin ich aus dem Schatten meiner Cousine, der Skilegende Erika Hess, herausgetreten. Das wars dann schon mit dem Lady killen.» Laut «Blick» erhofft sich die 31-fache Weltcupsiegerin, dass bei der Wahl ihres nahen Verwandten wieder sportliche Tugenden in den Bundesrat einziehen würden. Amsler soll laut Moderator als Jugendlicher den Berufswunsch «Bundesrat» in ein Poesiealbum geschrieben haben. In Winterthur präzisiert er: «Ich bekenne mich immer zu dem, was ich gerne will.»
Bei der Beurteilung des Umsetzungsprozesses bei der Masseneinwanderungs-Initiative weichen die Drei in ihren Meinungen kaum voneinander ab. Für KKS ist der Inländervorrang ein wichtiger Schritt bei der Lösung des Problems. Was man noch in den Griff bekommen müsse, sei die illegale Einwanderung und die Abhängigkeit vieler Asylbewerber von der Fürsorge.
Amsler meint, dass der Kanton Schaffhausen auf Fachkräfte angewiesen sei und deshalb die Grenzgänger sehr wichtig seien. Zudem sei das angrenzende Bundesland Baden-Württemberg der grösste Handelspartner des Kantons. Ohne eine Steuerung könne die Einwanderung zwar nicht bewältigt werden. Aber dazu müssten mit den Nachbarstaaten gemeinsame Lösungen angestrebt werden. Wicki bezieht nicht klar Stellung, wünscht aber eine verträgliche Umsetzung des SVP-Volksbegehrens.
Zum Migrationspakt meint KKS, dass es wichtig sei, dass das Vertragswerk vors Parlament komme. Offen sei die Frage, wie verbindlich der Pakt wirklich sei. In punkto «Soft Law» müsste da schon noch über die Bücher gegangen werden, weil bei der internationalen Umsetzung plötzlich einiges verbindlich werden könnte. Für Wicki ist bei dem Pakt, wie er jetzt da steht, vieles «schöngeistig», und den Migranten werde damit einiges vorgegaukelt, was nicht machbar sei. Amsler meldet Vorbehalte gegen den Pakt an, präzisiert diese aber nur so weit, dass man sich nicht auf die Linie des ungarischen Ministerpräsidenten Orban einlassen dürfe.
KKS und die Ostschweiz: Die CVP lobt…
Wir haben Ostschweizer Stände- und Nationalräte ausserhalb des FDP-Reviers über die Bundesrats-Avancen von KKS befragt. Einige haben ein Statement abgegeben, andere hielten sich bedeckt.
Ivo Bischofberger, Innerrhoder CVP-Ständerat, hat eine Vorstellung, die sich in Stein meisseln liesse: «Persönlich bin ich überzeugt, dass KKS die Wahl in den Bundesrat ehrenvoll schaffen wird und sodann im Regierungs-Kollegium gute und wertvolle Arbeit für Land und Volk leisten wird. Dabei wird sie ihre Ostschweizer Wurzeln nicht vergessen. Und das wird für unseren Landesteil sicher von Vorteil sein.»
Auch Thomas Ammann, St. Galler CVP-Nationalrat, hat grosse Erwartungen: «Es ist an der Zeit, dass die Ostschweiz wieder im Bundesrat vertreten ist», sagt er. «Karin Keller-Sutter bringt das nötige Rüstzeug für dieses hohe Amt mit und verdient die Unterstützung.»
«Aus Ostschweizer Sicht ist das Argument der Vertretung unseres Landesteils im Bundesrat schon sehr wichtig», sagt auch der St.Galler CVP-Nationalrat Nicolo Paganini. «Diese Chance sollte nicht verpasst werden. Karin Keller-Sutter verkörpert mit ihren Haltungen auch die FDP gut, ist deshalb von ihrer Partei getragen und beherrscht nach vielen Jahren im Ständerat die Mechanik des Parlaments. Sie hat als langjährige Regierungsrätin Erfahrungen als Exekutivpolitikerin, spricht viele Sprachen, ist fleissig und deshalb dossierfest.»
Dass KKS in den Räten einen intakten Ruf habe, könne er bestätigen. Die Rolle als Ständerätin sei aber eine komplett andere als jene einer Justiz- und Sicherheitsdirektorin. KKS würde sich als Bundesrätin an ihrem freiheitlichen Kompass orientieren. Wie sich dieser verhalte, werde stark von der Departementszuteilung abhängen. An ein konzertiertes Störmanöver aus den Reihen der SVP bei der Wahl am 5. Dezember glaubt Paganini nicht: «Sie ist unter den FDP-Kandidaten und Kandidatinnen die klare Favoritin und ich gehe davon aus, dass sie auch bei der SVP viele Stimmen machen wird.»
… die SVP zieht mit…
Roland Rino Büchel, St.Galler SVP-Nationalrat, verlässt sich auf das Faktische. Er sei nicht Mitglied des Ständerates und könne deshalb die Frage, ob KKS «Brückenbauerin» und «Kompromissbeschafferin» sei, vorerst nicht beantworten. «Sie hat im Hearing in der SVP-Fraktion die Möglichkeit zu zeigen, wofür sie steht und was sie bisher geleistet hat», sagt er. Die Frage, ob KKS als Bundesrätin in das alte Muster der rechts-konservativen Politikerin zurückfallen werde, sei in seiner Parteifraktion gewiss traktandiert.
Wird es bei der Wahl am 5. Dezember Widerstand aus den SVP-Reihen geben? «Ich glaube eher nicht, kann diese Frage aber nicht abschliessend beantworten», sagt der SVP-Politiker. «Ihre beiden Gegner scheinen mir, gerade für eine Partei, welche sich gerne als Elite sieht, nicht wirklich überragend zu sein. Alle drei haben in den Hearings die Möglichkeit, sich gut zu verkaufen.»
Ein weiteres frauenbekennendes Statement kommt von der Thurgauer SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr: «Da ich erst seit einem Jahr in Bundesbern bin, kenne ich die Verstrickungen untereinander und innerhalb der Parteien noch zu wenig. Demzufolge kann ich mich auch noch nicht umfassend äussern», sagt sie. «Generell befürworte ich die Kandidatur von Karin Keller-Sutter und sehe in ihr eine optimale Vertretung der Ostschweiz. Sie bringt die nötige Sachkompetenz, die Erfahrung und eine persönliche Stärke auf jeden Fall mit.»
… die SP hat Zweifel
Die St.Galler SP-Nationalrätin Claudia Friedl fordert von der FDP, dass sie wieder eine Frau in die Landesregierung schickt und sagt auch, welches Profil diese Bundesrätin haben sollte: «Ich habe den Anspruch, dass sie sich für Frauenanliegen einsetzt: Gleichstellung, Lohngleichheit und Elternurlaub. Ich erwarte auch, dass sie ein Interesse an Umwelt- und Naturschutz als Grundlage für die nächsten Generationen hat.» Darin sei KKS noch nicht fassbar. Friedl würde weiter erwarten, dass sich eine FDP-Frau im Bundesrat für Friedensfragen und internationale nachhaltige Entwicklungen einsetzt. Bei KKS sei das noch diffus.
«Wichtig ist ebenfalls, dass sich die freisinnige Vertreterin in der Landesregierung für eine offene Schweiz und gute Bedingungen bei der EU engagiert», sagt Friedl. «Im Grundsatz macht Karin Keller-Sutter das auch.»Andererseits sei sie klar wirtschaftsliberal positioniert. Enttäuscht habe die Ständeratspräsidentin, als sie per Stichentscheid die Motion Grin versenkte, die einen Ausschluss des Palmöls aus dem Freihandel verlangt habe.
Die Thurgauer SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher zeichnet ein differenziert-kritisches Bild von KKS. Die FDP habe durch den Rücktritt von Johann Schneider-Ammann einen vakanten Sitz in der Landesregierung. Die Besetzung durch eine Politikerin oder einen Politiker aus den eigenen Reihen sei unbestritten. «Brückenbauerin und Kompromiss-Beschafferin ist sie aber nur von Fall zu Fall», sagt Graf-Litscher. Ein Beispiel dafür sei die Altersreformdebatte.
Im politischen Umgang attestiert sie iher Gradlinigkeit. «Man weiss eigentlich immer, woran man mit ihr ist», sagt die Thurgauerin. «Ihre Einstellung ist klar wirtschafts-liberal. Daran wird sie auch als Bundesrätin nichts ändern. Als St. Galler Justizdirektorin hat sich KKS im Kampf gegen die häusliche Gewalt verdient gemacht. Die Tätigkeit in diesem Amt war im Vergleich zum Ständerat thematisch eingeschränkt. Um aber die politische Karriere zu forcieren, braucht es zur Profilierung einen grösseren Themenkreis und die Mitarbeit in vielen Kommissionen, eben auch im sozialpolitischen Bereich. In das erweiterte Themenspektrum hat KKS als Ständerätin und Ständeratspräsidentin gut hineingefunden, blieb aber in ihrer politischen Einstellung immer auf Linie. Im Brückenbauen zwischen den Parteien und politischen Standpunkten hebt sie sich nicht explizit ab. Da gibt es andere, die mehr unternehmen.»