, 9. August 2018
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The heat is on

Andreas Niedermanns Kriminalroman «Blumberg» ist weit mehr als ein Sommerkrimi. Die gleichnamige Protagonistin aus Wien hätte das Zeug zu einer Serien-Heldin. von Florian Vetsch

Andreas Niedermann ist in Basel geboren und lebt heute als Autor und Verleger in Wien. (Bild: pd)

Haben auch Sie eine Schwäche für weibliche Ermittlerinnen? Imponieren Ihnen Frauen wie die scharfsinnige, aber alkoholkranke Inspektorin Jane Tennison aus der britischen Fernsehserie Prime Suspect, die hochsensible, aber psychisch labile CIA-Agentin Carrie Mathison aus Homeland, die kombinatorisch unüberbietbare, aber autistisch gefärbte Kommissarin Saga Norén aus Die Brücke, die unglaublich couragierte, ihr Privatleben aber sträflich vernachlässigende «Kommissarin Lund» oder Lisbeth Salander aus Stieg Larssons mehrfach verfilmter Millennium-Trilogie, eine Figur, die in ihrer Kindheit und Jugend massiv missbraucht wurde, sich aber zur investigativen Hackerin mit hohem Selbstverteidigungspotential entwickelt?

Beeindrucken Sie diese Frauenfiguren? Dann könnte Ihnen die Titelheldin aus Andreas Niedermanns neuem Kriminalroman Blumberg gefallen, denn auch Isa Blumberg ist eine solche gebrochene Figur, gefährdet, aber taff und ausgestattet mit einem untrüglichen Sinn für Gerechtigkeit.

Andreas Niedermann: Blumberg. Songdog Verlag, 2018.

Wer das trendsetzende Potential solcher Anti-Heldinnen in Betracht zieht und den letzten Satz des Romans: «Dann ging es wieder weiter», ernstnimmt, der versteht Susann Klosseks Frage aus ihrer Rezension im «Literarischen Monat», ob denn eine Fortsetzung geplant sei. Denn auch Isa Blumberg aus Wien, wo Andreas Niedermann, Exil-St.Galler mit Jahrgang 1956, seit vielen Jahren lebt, hätte das Zeug zu einer Serien-Heldin: «Sie war dreiundfünfzig, Mutter eines erwachsenen Sohnes, sie war eine Journalistin, und sie war eine Punkerin gewesen, sie hatte eine Menge Ärger hinter sich gebracht, sie war durchsetzungsstark, sie liess sich nicht kleinkriegen, von niemandem.»

Zudem lebt Isa in einer aus den Fugen geratenen lesbischen Beziehung. Und über alldem bringt sie eine gewisse Tätlichkeitsbereitschaft mit, eine Neigung zu Gewaltausbrüchen… Welch Charakter!

Sozialkritische Seitehiebe

In einem Anti-Aggressionskurs trifft Isa Blumberg auf den Skinhead Jerk, dessen Bruder Ronny verschwunden ist. Blumberg erhält von ihm den Auftrag, den Verschwundenen zu finden. Das kommt ihr gelegen, hat sie doch gerade ihren Job als Ausstellungsaufsicht verloren, und so macht sie sich auf die Suche nach Ronny. Sie ordert ein Taxi, um an Informationen bei einem befreundeten Journalisten heranzukommen:

«Ein Ausländertaxi, zum Seipelplatz. Für Blumberg.»
«Ein was?»
«Ein Ausländertaxi. Seipelplatz.»
«Ein Ausländertaxi?»
«Haben Sie Inländertaxis?»
«Sicher haben wir das.»
«Dann haben Sie auch Ausländertaxis, oder?»

«Die Telefonistin in der Zentrale schwieg. Wer ein Inländertaxi bestellte, verlangte nach einem Eingeborenen-Chauffeur. Und Isa wusste von einigen Leuten, die ausdrücklich nach Inländertaxis verlangten. Sie fühlen sich dann sicherer, sagen sie, wobei nicht ausgeschlossen, ja sogar eher wahrscheinlich war, dass sie zusammen mit dem Inländerfahrer auf die Ausländer schimpfen wollten. So vertrieb man sich mit rassistischen Unterstellungen die Fahrzeit und versicherte sich ausführlich, dass man auf derselben Seite stand.»

Stadtlesen St.Gallen:
bis 12. August, Gallusplatz
stadtlesen.com

O Österreich! Wie tief darf die Hemmschwelle eigentlich noch sinken? – Diese Passage ist bei weitem nicht der einzige sozialkritische Seitenhieb, den Niedermann austeilt. Es gehört zu den Qualitäten dieses Kriminalromans, dass er nicht nur genregerecht die Spannung aufrechterhält, sondern auch viele präzise Blicke auf zeitgenössische Probleme freigibt, auf ökologische, psychologische, ideologische, die soziale Schere etc.

Nach einer Weile tuckert ein «alter miederfarbener Mercedes» heran – dieses Taximodell gibt übrigens das Motiv für das unprätentiöse, coole Cover ab, das der St.Galler Grafiker Yvo Egger für Blumberg gestaltet hat. Tatsächlich fährt die hochschwangere Kopftuchträgerin Düzen Gülcan den Schlitten. Die folgenden Fahrten mit Düzen legitimieren Susann Klosseks Einschätzung, Niedermanns Roman sei auch ein «Roadmovie» – ein Roadmovie durch Wien im Hochsommer.

«Der Ventilator war ein Held»

The heat is on. Das gilt von der ersten bis zur letzten Seite. Der Hitze sind in dem Buch zahlreiche kurze, atmosphärisch intensive Passagen geschuldet, zum Beispiel diese:

«Einen Moment lang glaubte sie, vom Wasser her einen Luftzug zu verspüren, eine süsse Bewegung der Atmosphäre, aber es war nichts. Natürlich war nichts. Es hatte noch mindestens 35 Grad und die ganze verdammte Stadt pumpte die tagsüber gespeicherte Hitze aus ihren Mauern in die Strassen.»

Oder diese:

«Zu ihren Füssen drehte der schwarze Raumventilator müde seine halben Runden und ächzte dabei laut in den Kehren, man konnte hören, wie die heiss gewordenen Zähne des Getriebes nicht mehr sauber griffen. Aber tapfer hielt er die Luft in Bewegung. Der Ventilator war ein Held.»

Auch wegen solcher Passagen ist Blumberg ein Sommerkrimi par excellence. Er schmeckt, könnte man sagen, am besten mit einem kühlen Getränk im Baumschatten oder auf dem Balkon – so heiss wird es, wenn Isa Blumberg recherchiert! (Freilich ist die Lektüre nicht jahreszeitenabhängig; im Winter könnte sie einem blumig brennenden Kirsch nach einem fetten Fondue im Abgang gleichen oder eine tüchtig wärmende Bettflasche abgeben.)

Andreas Niedermanns Blumberg ist jedoch weit mehr als ein unterhaltsamer Sommerkrimi, nicht nur durch die Sozialkritik, sondern auch durch die elaborierte Sprache, die Beschreibungskompetenz des in vielen Lebens- und Berufsbereichen erfahrenen Autors.

Superbastard comes to town: 20. November, 20 Uhr, Noisma im Kult-Bau. Mit Susann Klossek, Benedikt Maria Kramer & Andreas Niedermann.

Das Motto des Romans stammt aus dem Kohelet, dem Prediger Salomo; es lautet: «Wo viel Träume sind, da ist Eitelkeit und viel Gerede.» Das gilt für Links wie Rechts, für Alt wie Jung, für Männer wie Frauen, für einflussreiche, mächtige wie scheinbar bedeutungslose Menschen. Mitten im Roman taucht noch ein Zitat aus demselben alttestamentarischen Weisheitsbuch auf: «Eine Generation geht, eine andere kommt.» Dieses Zitat widerspiegelt einerseits im Kontext Isas Schwierigkeiten mit ihrer Gegenspielerin Penelope, einer dunkelhäutigen 17-Jährigen, deren Jugend sie provoziert und deren Verstocktheit sie zur Weissglut treibt; anderseits drückt der Satz den grossen, für den Kohelet typischen Vanitas-Gedanken aus, der in verschiedenen Zusammenhängen in Blumberg aufleuchtet.

Das «Sonnenmiststück» wird eines Tages erlöschen

Der Prediger Salomo ist ein archimedischer Punkt in Andreas Niedermanns Schriften, vergleichbar etwa der Bedeutung, die das Neue Testament für Johnny Cash hatte. Theologisch interessierten Germanistinnen und Germansiten sei das Licht gesteckt, dass «Der Kohelet im Werk von Andreas Niedermann» ein fruchtbares Thema für eine Untersuchung auf dem Feld der Schweizer Gegenwartsliteratur abgäbe.

Im theologischen Kontext, den bereits das Motto als Isotopie anlegt, agiert auch Isas Sohn Kilian; er amtet als katholischer Priester. Als die Ex-Punkerin, während ihr Sohn eine Beichte abnimmt, in der barocken Kirche, in der er arbeitet, auf ihn wartet, gehen ihr unter anderem folgende, an die Einsicht in die Vanitas anschliessenden Gedanken durch den Kopf:

«Aber jede Tätigkeit unterlag einer zeitlichen Begrenzung. Und letztlich war alles zeitlich begrenzt. Das war die Art von Gedanken, die man in einer Kirche haben konnte. So wie man in einem Erotikshop vermutlich an Sex dachte, war man hier sehr schnell bei Ewigkeit und Endlichkeit. Selbst das Sonnenmiststück, das draussen vom Himmel auf den Platz tropfte, würde eines Tages erlöschen und vergehen. Sie machte auch nur ihren Job. Das war bekannt. Nichts war ewig, für immer, forever, everlasting. Nur der Tod, der war für immer. Wenn auch nicht für Christen. Für die war das Leben ewig. Aber wie konnte das Leben ewig sein, wenn auch das All vergänglich war? Selbst Gott hätte keinen Platz mehr, wenn nur noch nichts war. Das war es, was zwanzig Minuten in einer Kirche aus ihr machten: eine melancholisch spöttelnde Nihilistin, die wusste, dass es Gott gab, die aber nicht an ihn glauben mochte, weil sie ihn für ein Arschloch hielt.»

Der Exil-St.Galler Niedermann führt hier auf engem Raum verschiedene Motive seines Romans zusammen. Wie nebenher streift er Metaphysisches, ganz natürlich, gekonnt, jenseits von aller Pseudotiefe. Und er schreibt mit scharfer Feder bzw. gepfefferter Tastatur.

Unschicklich wäre es, die Handlung von Andreas Niedermanns Kriminalroman Blumberg im Weiteren wiederzugeben. Niemand sei abschliessend der Spannung beraubt – mit Isa Blumberg ist sie garantiert.

Andreas Niedermann liest im Birli aus «LOG – Aufzeichnungen 2008/2009, Wien – Wald (AR)»

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